Schlaflosigkeit scheint für viele vor allem ein Problem Erwachsener zu sein, aber auch viele Kinder leiden unter den Symptomen von Schlaflosigkeit. Neue Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die meisten betroffenen Kinder auch im Jugendalter oder darüber hinaus diese Probleme haben werden. Wie definieren Experten Schlaflosigkeit? Wer hat ein höheres Risiko, Schlafstörungen zu erleiden? Und wie können wir anhaltende Schlafprobleme vermeiden? Hier ein Überblick über die Fakten.
Von der Kindheit bis hin zur Pubertät ist es nicht ungewöhnlich, dass Menschen unter Schlaflosigkeit leiden, also Problemen beim Ein- und/oder Durchschlafen.
In einer US-amerikanischen Studie mit 700 Kindern im Alter von 5 bis 12 Jahren gaben etwa 20 % der Kinder an, unter den genannten Symptomen zu leiden. In einer Studie mit mehr als 4.000 älteren Kindern im Alter von 11 bis 17 Jahren stellten Forscher fest, dass etwa 25 % unter einem oder mehreren Symptomen von Schlaflosigkeit litten. Ähnliche Werte für Schlaflosigkeit bei Jugendlichen wurden auch in europäischen Ländern festgestellt.
Wenn Kinder einige Symptome von Schlaflosigkeit aufweisen, leiden sie dann an einer Schlaflosigkeit? Kann man bei Kindern Schlaflosigkeit feststellen?
Ja, bei Kindern wird Schlaflosigkeit diagnostiziert. Doch für die Diagnose braucht man mehr als nur ein paar Symptome. Um festzustellen, ob es sich bei den Beschwerden eines Kindes um eine Schlafstörung handelt, verwenden viele Ärzte die Kriterien, die in der fünften Ausgabe des Diagnostischen und Statistischen Handbuchs für Psychische Störungen (DSM) aufgeführt sind. Laut dieser medizinischen Quelle muss eine Person alle diese Anzeichen aufweisen:
- Es fällt dir schwer, einzuschlafen, durchzuschlafen oder du wachst zu früh auf und zwar mindestens drei Mal pro Woche über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten;
- Du bist unzufrieden mit der Menge oder Qualität deines Schlafs;
- Deine Probleme lassen sich nicht hinreichend durch eine bestehende psychische Störung oder Erkrankung (wie Depressionen), durch eine andere Schlafstörung (wie eine Störung des Tagesrhythmus oder eine schlafbezogene Atemstörung) oder durch die Auswirkungen einer Substanz (wie Koffein) erklären;
- du erlebst aufgrund deiner Schlafprobleme eine “ medizinisch erhebliche“ Beeinträchtigung oder Probleme
- deine Schlafprobleme bleiben bestehen, obwohl du genug Gelegenheit zum Schlafen bekommst.
Es gibt aber auch andere klinische Definitionen, und bei einigen muss die Dauer der Symptome nicht ganz so hoch sein. In einer früheren Ausgabe des DSM mussten die Symptome zum Beispiel nur einen Monat lang anhalten.
Schlaflosigkeit bei Babys und Kleinkindern?
Wie sieht es bei den jüngsten Kindern aus? Es steht außer Frage, dass Säuglinge und Kleinkinder Symptome von Schlaflosigkeit aufweisen können. Einige dieser Kinder erhalten auch eine offizielle Diagnose.
Die wohl gängigste Diagnose ist die „verhaltensbedingte Insomnie im Kindesalter“, bei der die Kinder erstens gelernt haben, das Einschlafen mit bestimmten Bedingungen zu verknüpfen (z. B. der Anwesenheit eines Elternteils), und ohne diese nicht einschlafen können, oder es zweitens in der Familie Probleme mit dem Setzen von Grenzen gibt, so dass die Kinder sich angewöhnt haben, das Schlafengehen zu verweigern oder zu verzögern.
Darüber hinaus leiden einige kleine Kinder unter „psychophysiologischer Insomnie“, bei der sie zu ängstlich, emotional oder körperlich erregt sind, um gut zu schlafen. Das Problem hierbei ist, dass Kinder lernen, die Nacht mit diesen Gefühlen zu assoziieren, wodurch sie darauf konditioniert werden, übermäßig erregt zu sein, wenn die Schlafenszeit naht.
Leiden Jungen und Mädchen gleichermaßen an Schlaflosigkeit?
Es ist unklar, ob es bei kleinen Kindern geschlechtsspezifische Unterschiede gibt. Sobald die Kinder in die Pubertät kommen, ändert sich das aber.
Das zeigt die erste Studie, die ich oben bereits erwähnte: Forscher fanden heraus, dass etwa 20 % der Kinder zwischen 5 und 12 Jahren unter Schlaflosigkeitssymptomen litten. Wenn du nach Alter und Geschlecht differenzierst, wirst du einen deutlichen Unterschied bei den 11- und 12-Jährigen feststellen: Während bei den Jungen in diesem Alter 17 % unter Symptomen der Insomnie litten, waren es bei den Mädchen 30 %.
Auch in einer Studie mit mehr als 10.000 Teenagern in Norwegen entdeckten Forscher einen deutlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Anhand der Richtlinie „mindestens 3 Nächte pro Woche, über mindestens 3 Monate“ fanden die Forscher heraus, dass etwa 12,5 % der Jungen unter Schlaflosigkeit litten. Bei den Mädchen waren es dagegen fast 24 %.
Solche Tendenzen wurden auch in weiteren Studien nachgewiesen und setzen sich bis ins Erwachsenenalter fort. Frauen leiden häufiger an Schlaflosigkeit, und zwar beginnend mit dem Anfang der Menstruation.
Woran liegt das? Frauen leiden auch häufiger als Männer an Depressionen und Angstzuständen. Diese psychischen Probleme stehen mit Schlaflosigkeit in Verbindung. Es ist also möglich, dass die kulturellen und sozialen Aspekte des Geschlechts eine höhere Anzahl an psychischen Problemen mit sich bringen, die wiederum zu einer höheren Rate an Schlaflosigkeit führen.
Doch auch wenn Forscher das psychische Befinden berücksichtigten und als Faktor herausrechnen, stellten sie fest, dass Frauen öfter von Insomnie betroffen sind. Zudem nehmen die Schlafprobleme von Frauen tendenziell zu, wenn es zu Schwankungen der Geschlechtshormone kommt (während des Menstruationszyklus und in bestimmten Phasen wie Pubertät, Schwangerschaft und Wechseljahren). Außerdem gibt es Untersuchungen an Tieren, die geschlechtsspezifische Unterschiede des Schlafs mit Geschlechtshormonen und -chromosomen in Verbindung bringen. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede beim Risiko für Schlaflosigkeit sind also nicht nur sozialer oder kultureller Natur. Sie können auch biologische Gründe haben.
Verschwinden die Symptome der Schlaflosigkeit bei einem Kind von allein wieder?
Das ist eine Frage, die sich viele Eltern stellen. Wächst mein Kind aus der Schlaflosigkeit heraus? Leider bieten uns die besten verfügbaren Erkenntnisse keine Klarheit. Bei einigen Kindern verfliegt die Schlaflosigkeit wieder. Bei anderen kommt und geht sie gelegentlich. Und bei einem beträchtlichen Teil der Kinder bleibt die Schlaflosigkeit aber bis ins Erwachsenenalter bestehen.
Die neuesten Erkenntnisse stammen aus einer 15 Jahre langen Studie, die von Julio Fernandez-Mendoza und seinen Kollegen durchgeführt wurde.
Das Team begann mit der Zufallsauswahl von 500 Kindern im Alter von 7 bis 9 Jahren aus einer großen, repräsentativen Stichprobe in Pennsylvania. Diese Kinder verbrachten die Nacht in einem Schlaflabor, so dass die Forscher ihren Schlaf objektiv messen konnten (mit Hilfe der Polysomnographie).
Zudem befragten die Forscher die Eltern, ob ihre Kinder erstens Probleme beim Einschlafen hatten oder zweitens häufig in der Nacht aufwachten. Wenn ein Elternteil angab, dass eines oder beides “ häufig“ oder “ sehr häufig“ stattfand, wurde das Kind als von Insomnie betroffen eingestuft.
Auf diese Weise hatten die Forscher einen Referenzwert für alle Kinder der Studie und dieser Referenzwert entsprach den bisherigen Tendenzen. Bei etwa 24 % der Kinder wurden die Symptome von Insomnie festgestellt.
Wie ging es weiter? Diese Langzeitstudie wurde unterbrochen, bis die Kinder im mittleren Teenageralter waren. Dann wurden sie zu einer weiteren Untersuchung und Befragung eingeladen, um ihre Schlafgewohnheiten zu überprüfen. Danach gab es eine weitere Pause in der Datenerfassung, bis die Studienteilnehmer ungefähr 24 Jahre alt waren. Bei dieser letzten Untersuchung schliefen die Teilnehmer/innen nicht mehr im Labor, sondern füllten einen Fragebogen zu ihren Schlafgewohnheiten aus.
Wie häufig traten Symptome von Insomnie während der Teenagerjahre auf? Im jungen Erwachsenenalter? Ungefähr 36 % der Studienteilnehmer/innen hatten im Alter von 16 Jahren Symptome, und fast 42 % berichteten bei der Befragung im Erwachsenenalter über Probleme mit Schlaflosigkeit.
Das Ziel dieser Studie war es aber nicht, eine Reihe von statistischen Momentaufnahmen zu gewinnen. Was die Forscher wirklich herausfinden wollten, war, ob die Schlaflosigkeit einer Person über einen längeren Zeitraum hinweg anhält. Deshalb untersuchten sie die Entwicklung jedes einzelnen Kindes über eine Zeitspanne von 15 Jahren. Folgendes fanden sie heraus.
Von den Personen, die zu Beginn der Studie (im Alter von 7 bis 9 Jahren) unter Insomnie litten, hatten etwa 54 % auch im Teenageralter noch mit diesen Beschwerden zu kämpfen. Zudem berichteten fast 62 % der Kinder, die schon früh Probleme hatten (vor der Pubertät), auch als Erwachsene von Schlaflosigkeit.
Und hier noch ein anderer Blickwinkel. Über alle Untersuchungen hinweg gab es vier verschiedene mögliche Entwicklungen der Kinder mit Schlaflosigkeit. Diese lassen sich in der folgenden Reihenfolge darstellen:
- Anhaltende Schlaflosigkeit. 43 % der Kinder, die anfangs unter Schlaflosigkeit litten, zeigten auch im Teenager- und Erwachsenenalter Symptome.
- Rückbildung. Bei 27% der Kinder verbesserte sich die Situation. Sie berichteten weder bei der Überprüfung im Teenageralter noch im Erwachsenenalter von Schlaflosigkeit.
- Auf und Ab. Bei 19 % der Kinder besserte sich die Lage im Teenageralter, aber als Erwachsene litten sie erneut unter Schlaflosigkeit.
- Anhaltende Schlaflosigkeit während der Kindheit und Jugend. Dies war der geringste Anteil der Kinder mit früh auftretenden Beschwerden. Etwa 11 % hatten auch im Jugendalter noch Symptome, bei der Untersuchung als Erwachsene allerdings keine mehr.
Andererseits untersuchten die Forscher auch Kinder, die zu Beginn der Studie keine Schlafstörungen aufwiesen. Was geschah mit ihnen im Laufe der Zeit?
- Fortwährend normaler Schlaf. 48% der Kinder, die zu Beginn der Studie keine Symptome von Schlaflosigkeit zeigten, blieben bis zum Ende der Studie symptomfrei. Hurra!
- Normaler Schlaf bis ins Teenageralter. Etwa 21% der Kinder schliefen in der Jugend weiterhin normal, litten dann aber im Erwachsenenalter unter Schlaflosigkeit.
- Auf und Ab. 16% der guten Schläfer litten als Jugendliche unter Schlaflosigkeit, schliefen dann aber als Erwachsene wieder normal.
- Anhaltende Schlaflosigkeit nach Beginn der Pubertät. 15% der Kinder, die anfangs normal schliefen, litten sowohl im Teenager- als auch im Erwachsenenalter unter Schlaflosigkeit.
Das ist eine Menge an interessanten Informationen und die gute Nachricht ist, dass sich die Schlafstörungen bei einigen Kindern im Laufe der Zeit verbessern oder dass sie überhaupt keine Schlafstörungen entwickeln. Doch die wichtigste Erkenntnis ist folgende: Wenn ein Kind unter Schlaflosigkeit leidet, sollten wir nicht davon ausgehen, dass dies nur eine Übergangsphase ist. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Schlafstörungen anhalten.
Welche Kinder haben ein höheres Risiko für anhaltende oder wiederkehrende Schlaflosigkeit?
Wie bereits erwähnt, wissen wir, dass Mädchen häufiger an Schlaflosigkeit leiden als Jungen. Wir wissen auch, dass Schlaflosigkeit mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angstzuständen verbunden ist. Andere Personen, die ein höheres Risiko für Schlaflosigkeit haben, sind Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status, ethnische Minderheiten, fettleibige Menschen und Menschen, die zu den „Nachteulen“ gehören.
Als Fernandez-Mendoza und seine Kollegen ihre Daten durchsahen, stellten sie fest, dass alle diese Faktoren die Wahrscheinlichkeit erhöhten, dass Kinder dauerhaft unter Schlaflosigkeit leiden.
Sie stellten aber auch einen anderen wichtigen Faktor fest: Wie viel Schlaf ein Kind insgesamt bekommt. Die Forscher sammelten im Labor objektive Messungen der Schlafdauer. Sie wussten also, wie lange die Kinder durchschnittlich schliefen (etwa 7 Stunden und 42 Minuten), und die Forscher identifizierten jeden, der weniger als dieser Durchschnitt schlief, als „Kurzschläfer“.
Was bedeutet es überhaupt, wenn ein Kind weniger schläft als der Durchschnitt? Wenn Symptome von Schlaflosigkeit auftreten, hat dies eine ganze Menge zu bedeuten. Ein Kind mit Symptomen, das dennoch die normale Menge an Schlaf bekommt, hat eine etwa 60 % höhere Wahrscheinlichkeit, als Erwachsener an Schlaflosigkeit zu leiden. Doch wenn das Kind außerdem ein Kurzschläfer ist? Dann ist die Wahrscheinlichkeit 260 % höher.
Und während die Wahrscheinlichkeit, als Erwachsener an Schlaflosigkeit zu leiden, bei einem Teenager mit Symptomen, der ausreichend Schlaf bekommt, nur geringfügig (um 20 %) ansteigt, steigt sie bei Kurzschläfern drastisch an. In dieser Studie hatten Jugendliche mit Schlafstörungen, die weniger als der Durchschnitt schliefen, eine mehr als 5,5-mal so hohe Wahrscheinlichkeit, im Erwachsenenalter an Schlaflosigkeit zu leiden.
Was können wir dagegen tun?
Eventuell hast du schon gehört, dass Schlaflosigkeit “ vererbt“ wird, und das stimmt auch. Neben all den sozialen Faktoren, die wir besprochen haben, spielen auch genetische Faktoren eine Rolle bei der Entstehung von Insomnie. Sie erhöhen auch die Wahrscheinlichkeit, dass du eine Nachteule bist oder dass du kürzer schläfst als andere in deinem Alter.
Das bedeutet jedoch nicht, dass du unweigerlich an Schlaflosigkeit erkrankst, auch wenn genetische Faktoren dies begünstigen. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass sich etwas, das genetisch oder biologisch bedingt ist, nicht ändern lässt. Ganz im Gegenteil: Falls dein Kind unter Schlaflosigkeit leidet, ist die bessere und hilfreichere Denkweise diese: Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass mein Kind langfristige Probleme entwickelt, deshalb ist es besonders wichtig, dass ich meinem Kind Strategien für gesunden Schlaf beibringe.
Das gilt vor allem dann, wenn dein Kind generell nicht viel schläft.
Falls dein Kind also Symptome von Schlaflosigkeit aufweist – oder ein Kurzschläfer zu sein scheint – sprich mit dem Hausarzt.
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