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Neuroimaging – Eine Technologie, die traditionelle Forschungsmethoden ersetzen kann?

by Lara

Es gibt mittlerweile einige Technologien, die uns „Schnappschüsse“ des Gehirns in Aktion liefern. Das funktionelle Neuroimaging zeigt uns, welche Teile des Gehirns „aufleuchten“ oder aktiv werden, wenn wir denken, lernen oder fühlen. So können Forscherinnen und Forscher das Gehirn abbilden und herausfinden, wo bestimmte Informationen verarbeitet werden.

Noten lesen? Ein winziger Punkt an deinem Hinterkopf – der rechte obere parietale Kortex – wird aktiv.

Schuldgefühle? Mehrere Hirnregionen leuchten auf, darunter der mediale präfrontale Kortex (MPFC), ein Bereich, der mit sozialen Emotionen und der Fähigkeit verbunden ist, die Perspektive einer anderen Person zu berücksichtigen.

Diese Art von Informationen kann uns zu einem neuen Verständnis vieler Dinge führen – zum Beispiel auch dem Verständnis von Empathie.

„Ich kann deinen Schmerz nachempfinden“ ist vielleicht mehr als nur eine Redewendung.

Neuroimaging-Studien deuten darauf hin, dass die Hirnregionen, die an der Verarbeitung eigener Schmerzen beteiligt sind, auch dann angeregt werden, wenn wir Schmerzen anderer beobachten. Zudem ist Empathie nicht nur ein Phänomen der Erwachsenen. Studien mit Neuroimaging zeigen, dass die Gehirne von Kindern auf dieselbe Weise funktionieren.

Was können wir durch Neuroimaging über Babys lernen?

Psychologen haben viele ausgeklügelte Methoden entwickelt, um herauszufinden, was Babys vor ihrer Sprachentwicklung denken. Die Gehirnforschung bietet einen weiteren Ansatz: Man beobachtet die Gehirnaktivität, um zu sehen, ob Babys zwischen verschiedenen Anreizen unterscheiden können.

Mithilfe von Neuroimaging fanden Forscher/innen heraus, dass die Gehirne von 3 Monate alten Babys den Unterschied zwischen 4 und 8 Objekten erkennen können! Haben die Babys bewusst über die Menge nachgedacht? Das können wir nicht mit Sicherheit sagen. Aber die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Gehirne von Babys einen „Zahlensinn“ besitzen.

Gehirnaktivitäten bei Kindern mit Beeinträchtigungen

In dem Maße, wie Neurowissenschaftler/innen ein Bild von der normalen Gehirnfunktion erstellen, bekommen wir eine bessere Vorstellung davon, wie sich die Gehirne von Kindern mit verschiedenen Beeinträchtigungen (wie Legasthenie, ADHS oder Autismus) von den Gehirnen normal entwickelter Kinder unterscheiden.

Das Verständnis dieser Unterschiede liefert Hinweise darauf, von welchen Hilfestellungen die Kinder am meisten profitieren.

Manche Kinder leiden zum Beispiel an Dyskalkulie – einer Lernschwäche in Mathematik. Was läuft im Gehirn schief? Man könnte annehmen, dass etwas mit dem Teil des Gehirns nicht stimmt, der zählt und genaue Berechnungen durchführt. Doch Studien mit Hilfe von Neuroimaging zeigen etwas anderes.

Wurden Kindern mit Dyskalkulie eine Reihe von Gegenständen vorgelegt, die sie zählen sollten, war ihre Gehirnaktivität nicht anders als die anderer Kinder.

Der eigentliche Unterschied im Gehirn zeigte sich, wenn die Kinder ihr „Zahlenverständnis“ einsetzen mussten, ein intuitives Gefühl für die relative Größenordnung einer Zahl.

Sollten Kinder mit Dyskalkulie weniger präzise, eher qualitative Urteile fällen – also Mengen schätzen, ohne tatsächlich zu zählen -, reagierte ihr Gehirn anders.

Womöglich profitieren Kinder mit Dyskalkulie also von Übungen, die ihnen helfen, einen besseren Zahlensinn zu entwickeln. Künftige Studien könnten diese These überprüfen.

Fehlvorstellungen über das Neuroimaging

Viele Menschen sind von der Hirnforschung so beeindruckt, dass wir manchmal unsere Skepsis gegenüber neuen Studien zurückstellen, wenn wir von ihnen hören.

In einigen Darstellungen wird die Hirnforschung mit einer Form des Gedankenlesens gleichgesetzt. Neuroimaging wird als ein direkter Einblick in die Psyche angesehen, der uns zeigt, ob jemand klug oder dumm, glücklich oder deprimiert, mitfühlend oder selbstsüchtig ist.

Daraus ergibt sich, dass bildgebende Untersuchungen des Gehirns andere Ansätze zum Verständnis des Verstandes ersetzen können. Wozu mit den Probanden reden, wenn man ihre Gedanken auch lesen kann? Warum sollte man Menschen Aufgaben stellen, wenn man mit Hilfe der Bildgebung des Gehirns feststellen kann, wie klug sie sind?

Es mag auch den Anschein haben, dass Gehirnstudien besonders „wahr“ oder autoritativ wirken. Ist die neurologische Forschung nicht bedeutender und wichtiger als die psychologische Forschung, wenn der Geist ein Produkt des Gehirns ist? Ist die Neurologie nicht wesentlich wissenschaftlicher?

Tatsächlich sind all diese Vorstellungen falsch.

Neuroimaging ist kein Gedankenlesen

Studien mit Neuroimaging sagen uns etwas über das normale Gehirn. Sie können uns sagen, dass ein bestimmtes Aktivitätsmuster charakteristisch für die meisten Menschen ist, die an Depressionen leiden. Oder dass ein anderes Muster bei den meisten Kindern mit Legasthenie zu finden ist.

Doch die Muster sind nicht perfekt zuzuordnen. Wenn du versuchst, allein anhand der Gehirnaktivität vorherzusagen, wie Menschen veranlagt sind, machst du eine Menge Fehler.

Als Forschende beispielsweise versuchten, mithilfe von Neuroimaging Täuschungen zu erkennen, wurden 33 % der Menschen, die die Wahrheit sagten, fälschlicherweise als Lügner identifiziert.

Neuroimaging ersetzt nicht die trationellen Ansätze der Verhaltensforschung

Die Erfassung der Gehirnaktivität ist nicht „wissenschaftlicher“ als die Untersuchung des Verhaltens. Neuroimaging ist ein spannendes Hilfsmittel, um die Mechanismen des Gehirns zu verstehen. Es bereichert unser Verständnis der Art und Weise, wie Gehirne Informationen verarbeiten.

Es ist jedoch falsch zu glauben, dass die Hirnforschung die traditionellen Ansätze zum Verständnis von Verhalten übertrumpfen oder ersetzen wird. Und es ist ein Irrtum zu glauben, dass die Hirnforschung in irgendeiner Weise gründlicher und wissenschaftlicher ist oder „die Wahrheit“ ans Licht bringen kann.

Der Grund? Zu wissen, wie das Gehirn aussieht, sagt uns nicht, wie Menschen denken oder sich verhalten. Nicht allein.

Um die Bilder der Gehirnaktivität zu interpretieren, müssen wir wissen, was die Menschen tun, während die Gehirnaktivitäten stattfinden. Wir müssen ihre tatsächlichen Verhaltensweisen in der realen Welt erfassen.

Und Neuroimaging kann uns nicht sagen, welche Übungen dazu führen, dass Kinder klüger werden, sich besser fühlen oder benehmen.

Verbessern Nickerchen die Merkfähigkeit von Kindern? Man könnte versuchen, die Gehirnaktivitäten von ausgeschlafenen und Kindern mit wenig Schlaf zu vergleichen.

Aber das Wissen über die Gehirnaktivitäten sagt nichts darüber aus, wie viel sich ein Kind merkt. Um das herauszufinden, muss man ihr Verhalten beobachten. Stell den Kindern Fragen. Gib ihnen Aufgaben, die sie lösen müssen.

Die Hirnforschung lässt also andere Bereiche – wie die kognitive Psychologie – nicht hinfällig werden. Ganz im Gegenteil. Wir brauchen verhaltensbezogene Daten, um aus den Informationen über das Gehirn schlau zu werden.

Und die Wissenschaft? Eine Studie wird nicht durch die verwendeten Methoden zu einer zuverlässigen und maßgeblichen Informationsquelle, sondern durch ihre Genauigkeit. Was eine Studie zu „guter Wissenschaft“ macht, ist die Art und Weise, wie sie entworfen und ausgeführt wurde.

Wie man den Geist richtig erforscht

Neuroimaging macht eine Studie nicht wissenschaftlich. Es ist lediglich ein Hilfsmittel – wie die Messung des Blutdrucks -, das Wissenschaftler/innen nutzen können.

Und wenn es um die Klärung praktischer Fragen geht, z. B. um die besten Lehrpläne oder Erziehungsmethoden, ist das Neuroimaging nicht besonders hilfreich. Zumindest noch nicht.

Um nachzuvollziehen, was ich meine, machen wir ein Gedankenexperiment.

Nehmen wir an, du möchtest wissen, ob schwacher Durst – also ein geringer Flüssigkeitsverlust – Kinder bei schulischen Aufgaben beeinträchtigt – Fällt es durstigen Kindern schwerer, Rätsel zu lösen?

Am einfachsten ist es, die kognitiven Leistungen von leicht dehydrierten Kindern zu testen.

Du könntest damit beginnen, eine Gruppe von Kindern zu suchen und sie in einer Sauna schwitzen zu lassen. Dann teilst du jedes Kind nach dem Zufallsprinzip einer von zwei Gruppen zu.

In der Gruppe MIT WASSER trinken die Kinder ausreichend Wasser, um den Flüssigkeitsverlust durch das Schwitzen zu ersetzen.

Unter der Bedingung DEHYDRIERT bekommen die Kinder ein wenig Wasser, aber nicht genug, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen.

Als Nächstes bittest du die Kinder, ein paar Rätsel zu lösen. Achte darauf, dass die Kinder nicht wissen, was deine Vermutung ist. Außerdem stellst du sicher, dass die Leute, die die Tests durchführen, keine Informationen darüber haben, welcher Gruppe die Kinder angehören.

Anschließend vergleichst du die beiden Gruppen. Falls die dehydrierten Kinder bei den Rätseln schlechter abschnitten, würdest du eine statistische Analyse durchführen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Experiment durch reinen Zufall so ausging?

Weisen die Statistiken darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit eines zufälligen Resultats gering ist, hast du eine ziemlich überzeugende Studie.

Dieser Ansatz – ein randomisiertes, kontrolliertes Experiment – ist der Maßstab für wissenschaftliche Studien. Haben wir Neuroimaging eingesetzt? Nein. Obwohl wir es könnten.

Wir wiederholen das Experiment – dieses mal mit Neuroimaging

Angenommen, du führst das Experiment noch einmal durch und schließt die Kinder zusätzlich an ein Gerät zum Neuroimaging an.

Welche Teile des Gehirns werden aktiviert, wenn die Kinder durstig sind? Zeigt die Bildgebung des Gehirns irgendwelche Unterschiede zwischen durstigen und nicht durstigen Kindern?

Wir nehmen an, dass sie das tut: Die Bildgebung des Gehirns zeigt Unterschiede in der Gehirnaktivität zwischen durstigen und nicht durstigen Problemlösern.

Was lernen wir daraus? – Neuroimaging hat uns nicht gezeigt, dass durstige Kinder schlechter im Lösen von Rätseln sind. Das hat der verhaltensorientierte Teil des Experiments erwiesen, in dem die Kinder Rätsel lösen sollten.

Die Bildgebung des Gehirns hat uns etwas anderes verdeutlicht: Wie Gehirne von durstigen Kindern aussehen, wenn diese versuchen, Rätsel zu lösen.

Das ist interessant, hat aber nicht unbedingt eine praktische Relevanz. Wenn du also wissen willst, wie du Kindern beim Lernen helfen kannst – oder andere Bereiche ihres Lebens verbessern kannst – brauchst du wahrscheinlich kein Neuroimaging.

Deshalb stammen die meisten brauchbaren Informationen darüber, wie Kinder lernen – einschließlich der Informationen, die als „gehirngerechtes Lernen“ vermarktet werden – aus Studien über Wahrnehmung und Verhalten, nicht über Gehirne.

Warum sollte man sich also die Mühe machen, Neuroimaging in Studien dieser Art zu verwenden?

Der Nutzen vom Neuroimaging

Was sagt uns das Neuroimaging über Verhaltensweisen, was andere Verfahren nicht können?

Mein Beispiel hört sich so an, als ob die Bildgebung des Gehirns völlig entbehrlich ist, wenn man vorhersagen will, wie sich Menschen tatsächlich verhalten. Und in vielen Fällen ist das auch so.

Aber wie ich zu Beginn des Artikels erwähnt habe, kann die Bildgebung tatsächlich Erkenntnisse von praktischer Bedeutung liefern. Das Verständnis der Gehirnaktivität kann zu neuen, nachweisbaren Erkenntnissen über das Lernen führen.

Neuroimaging deutet darauf hin, dass Kinder mit Dyskalkulie besonders von Übungen profitieren, die ihnen helfen, ein intuitives Gefühl für Zahlen zu entwickeln. Die Forscher/innen können diese Vermutung nun in strengen, kontrollierten Verhaltensstudien überprüfen.

Und Neuroimaging kann noch mehr. Es kann uns Hinweise auf Denkprozesse geben, die durch Verhaltensmessungen allein nicht erkennbar sind.

Die Studie mit den Babys ist ein Beispiel dafür. Es ist schwer festzustellen, was sehr kleine Babys denken. Die Muster der Gehirnaktivität können nicht beweisen, was in ihren Köpfen vorgeht, aber sie sind ein Anhaltspunkt.

Die Bildgebung des Gehirns liefert auch Hinweise darauf, wie intensiv unsere Gehirne arbeiten. Erinnerst du dich an unser Experiment mit durstigen Kindern?

Es hat sich ergeben, dass mehrere Studien zu diesem Thema durchgeführt wurden. Die meisten, jedoch nicht alle, bestätigten, dass eine geringe Dehydration kognitive Leistungen beeinträchtigt.

Deshalb haben Matthew Kempton und seine Kolleg/innen beschlossen, ein zweites Experiment mit „durstigen Knoblern“ durchzuführen, bei dem auch die Gehirnaktivität gemessen wurde.

Die Ergebnisse? Kemptons Team fand keine Unterschiede in der Leistung beim Lösen von Rätseln zwischen den Bedingungen. Die Kinder waren genauso gut im Lösen von Problemen, egal ob sie durstig waren oder nicht.

Aber das Team fand einen interessanten Unterschied in den Gehirnen der Kinder. Wenn die Kinder durstig waren, zeigten sie ein Muster der Gehirnaktivität, das mit einem höheren Sauerstoffverbrauch verbunden war. Ihre Gehirne schienen mehr Energie zu verbrauchen, um die gleiche Aufgabe zu bewältigen.

Mit anderen Worten: Durstige Gehirne mussten sich mehr anstrengen, um dieselbe Leistung zu erbringen.

Und das ist eine nützliche Erkenntnis. Sie zeigt uns, dass Menschen möglicherweise einen Kosten tragen, der nicht in ihrem Verhalten sichtbar ist. Die Kinder lösten die Rätsel, waren dabei aber weniger effizient.

Würden sie genauso gut abschneiden, wenn sie zusätzliche Probleme zu bewältigen hätten – wie Ablenkungen, die es in jedem Klassenzimmer gibt? Womöglich nicht.

Neuroimaging liefert uns also wichtige Anhaltspunkte über mentale Prozesse. Wir müssen nur aufpassen, wie wir diese Hinweise interpretieren.

Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/mann-menschen-technologie-arzt-4226119/

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