Kinder formen – Welchen Einfluss Eltern auf die Entwicklung ihrer Kinder haben

Schon lange bin ich fasziniert von der Debatte über Erbanlagen und Erziehung. Wird ein Kind durch die Erbanlage geformt (das, womit Kinder geboren werden) oder ist es die Erziehung (wie das menschliche Umfeld Kinder formt)?

Einige Experten gehen von einer prozentualen Verteilung aus. Viele Studien über Zwillinge (die oft verwendet werden, um den Einfluss der Genetik zu messen) gehen davon aus, dass es ungefähr die Hälfte Erbanlagen sind und die andere Hälfte Erziehung. Das ist mir ein bisschen zu einfach dargestellt.

Man kann die Debatte auch so sehen, dass die Erbanlagen das menschliche Potenzial und die Erziehung den menschlichen Einfluss darstellt. Unsere Genetik legt also mögliche Wege für Kinder fest, die sich nach Geschlecht, Gemüt und Intelligenz richten. Das bedeutet, dass sich die Gehirne von Jungen und Mädchen unterschiedlich entwickeln, dass Kinder mit einem individuellen Gemüt geboren werden, das sich im Laufe der Zeit nicht sehr verändert und dass Kinder in verschiedenen Bereichen besondere Begabungen und Fähigkeiten haben (manche schreiben gerne, andere sind eher sprachbegabt, künstlerisch veranlagt, sportlich und so weiter).
Man könnte sagen, dass die Genetik einen Einfluss auf die Entwicklung der Kinder hat. Doch das sind nur Vermutungen und keine Tatsachen.

Andererseits haben Kinder in einer Familie, die sich aus biologischer Sicht deutlich unterscheiden (z. B. ein hochgradig angespanntes Temperament im Gegensatz zu einem ruhigen Charakter), oft viele Gemeinsamkeiten. Es sind die Gemeinsamkeiten zwischen Kindern innerhalb einer Umgebung, die den Einfluss der Erbanlagen zeigen. Haben alle Kinder einer Familie eine Eigenschaft, ein Merkmal oder einen Wert gemeinsam (z. B. Toleranz, Ausdauer, Unabhängigkeit, Freundlichkeit), dann kann man dies mit Sicherheit auf den Einfluss der Eltern oder Erzieher zurückführen. Es ist ganz klar die Erziehung und nicht die Erbanlage, welche diese Ähnlichkeiten verursacht.

Welchen Einfluss Eltern auf die Entwicklung ihrer Kinder haben

Erziehung ist die Kunst, Kinder zu prägen. Deshalb ist es sinnvoll, sich zu überlegen, welche Möglichkeiten wir haben, um unsere Kinder zu beeinflussen.

Das Vorleben ist wahrscheinlich die wirkungsvollste Art, um Kinder zu prägen. Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist eine tiefe Beziehung. Kinder erleben unsere Macken und Schwächen hautnah. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sich viele Kinder in ihren Beziehungen ähnlich verhalten wie ihre Eltern, zum Beispiel wie sie Konflikte lösen oder vermeiden. Der US-amerikanische Psychologe Martin Seligman hat in seiner Studie über Optimismus und Pessimismus herausgefunden, dass die meisten Kinder ihr Verhalten an dem Elternteil orientieren, mit dem sie die meiste Zeit verbringen. Seligmans Arbeit legt nahe, dass Erwachsene darauf achten sollten, wie sie über sich selbst und die Welt sprechen. Denn Kinder sind wie ein Schwamm und saugen den Optimismus und/oder Pessimismus der Eltern regelrecht auf.

Die Botschaften, die wir als Eltern durch unsere Worte und unser Verhalten tagtäglich vermitteln, prägen auch die Kinder, die wir großziehen. Wenn du einem Kind sagst, dass es etwas kann und es genauso behandelst, dann vermittelst du ihm eine eindeutige Botschaft, die in etwa so lautet: „Ich glaube wirklich, dass du das kannst.“ Handlungen sind überzeugender als Worte, wenn es um die Vermittlung von wichtigen Botschaften an Kinder geht.

Eigenschaften, die Eltern schätzen, haben einen großen Einfluss auf ihre Kinder. Wenn du zum Beispiel Wert auf Hartnäckigkeit legst, dann wirst du das vermutlich bei jedem Kind auf unterschiedliche Art und Weise fördern. Möglicherweise verdrehst du verzweifelt die Augen, wenn dein Kind jede Nacht länger aufbleibt. Dennoch freust du dich im Stillen darüber, dass dein Kind durchhält, wenn es darauf ankommt. Wenn du Hartnäckigkeit schätzt, wirst du dein Kind dazu bewegen, sich bei den Hausaufgaben mehr anzustrengen, statt ihm zu erlauben, zu schnell aufzugeben. Deine Werte zeigen sich in dem, wofür du dich einsetzt und worüber du oft mit deinen Kindern streitest.

Der Lebensstil, den du führst, trägt ebenfalls dazu bei, deine Kinder zu formen. „Immer nur Arbeit und kein Spaß“ ist ein Lebensstil, den gestresste Eltern ihren Kindern vorleben. Der Lebensstil wirkt sich auf deinen Spannungspegel und dein Wohlbefinden aus und das wirkt sich auch auf deine Kinder aus. Noch wichtiger ist aber: Dein Lebensstil ist ein Muster für das Leben, das deine Kinder wahrscheinlich als Erwachsene leben werden. Gut, dein Kind wird nicht genau so leben wie du, aber der Einfluss deines Lebensstils ist deutlich genug, um Schuldgefühle zu wecken und kann zu Konflikten führen, wenn deine Kinder einen Lebensstil wählen, der nicht mit deinen Vorstellungen übereinstimmt.

Kinder zu Leuten formen. Das ist es, was Eltern jeden Tag leisten. Klingt vielleicht ein bisschen gruselig, vielleicht sogar etwas kontrollierend. Aber das ist es nicht.

Es ist der Entwicklungsprozess, den wir alle auf dem Weg zu unserem eigenen Erwachsensein durchlaufen haben. Tatsächlich ist dieser Prozess das Herzstück einer guten Erziehung. Und er macht uns wahrhaftig zu Menschen.

Und genau dieser Entwicklungsprozess – die Prägung von Kindern – macht die Erziehung zu einer so wichtigen und hoffentlich auch erfüllenden Aufgabe.

Bildquelle: https://unsplash.com/photos/G8gzkaqTqOA


Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu.

Datenschutzerklärung