Man hat das Gefühl, dass immer mehr Jungen wütend, aggressiv und gewalttätig werden. In den Nachrichten wird regelmäßig von jungen Männern berichtet, die sich auf der Straße Schlägereinen liefern. Immer häufiger kommt es auch auf den Schulhöfen zu körperlicher Auseinandersetzung und Gewalt, an der meistens Jungen beteiligt sind.
Was steckt hinter diesem aggressiven Verhalten?
Ian Lillico, Experte für Jungenerziehung, glaubt, dass ein Großteil der Aggressionen, die sich zu Hause und in der Schule abspielen, auf die Ablehnung von Gefühlen der Jungen zurückzuführen ist. Wenn man Jungen nicht zuhört, ihnen nicht vermittelt, wie sie ihre Gefühle erkennen und handhaben können, dann werden sie in emotionsgeladenen Situationen oder in solchen, aus denen sie sich nicht herausreden können, oft aggressiv und handgreiflich. Mädchen hingegen, denen eine solche Stimme verwehrt wird, handeln aus ihrer Not heraus oder verinnerlichen diese, was zu Essstörungen und Depressionen führen kann Die nach außen gerichtete Aggression von Jungen kann hingegen anderen schaden.
Hilf ihnen, negative Gefühle auszusprechen
Wie kannst du also Jungen dabei helfen, ihre Gefühle auf gesunde und angemessene Weise auszudrücken, damit sie nicht wütend, aggressiv oder gewalttätig werden? Hier sind einige Ideen:
Ein gesundes Umfeld für Jungen sieht folgendermaßen aus: “ Nichts kann so schrecklich sein, dass ein Junge nicht darüber reden können sollte, aber es gibt gleichzeitig auch Handlungen, die nicht akzeptabel sind.“ Zunächst einmal solltest du die Mentalität „So sind Jungs eben.“ nicht einfach so akzeptieren und hinnehmen. Auch wenn Jungen eher dazu neigen, Konflikte körperlich zu lösen, müssen wir als Eltern und Lehrkräfte alles in unserer Macht Stehende tun, um ihnen zu helfen, ihre Gefühle verbal oder auf eine andere akzeptable Art und Weise auszudrücken. Das kann ein bisschen schwierig werden, vor allem, wenn ihre Äußerungen einem Geschwisterkind oder einem Freund gegenüber angreifend werden können. Wenn ein Junge auf ein Geschwisterkind wütend ist, ist es besser, ihm zu sagen: “ Ich kann dich nicht ausstehen“, als es zu schlagen, was er vielleicht gerne tun würde. Es ist noch besser, wenn er seine Gefühle formulieren kann, die sich auf das Verhalten und nicht auf die Person beziehen. Zum Beispiel: „Ich kann es nicht ausstehen, wenn du mir meine Sachen wegnimmst, das ist nicht fair!“
Mitunter brauchen Jungen Hilfe, um ihren negativen Gefühlen auszudrücken. Dazu kann es nötig sein, sich mit ihnen zusammenzusetzen, wenn sie wütend sind. Dann kann man ihnen helfen, sich zu beruhigen und fragen, worüber genau sie wütend sind. Wenn ein Junge zuhause über längere Zeit Anfeindungen ausgesetzt ist, musst du dich vielleicht mit beiden Kindern zusammensetzen und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Gedanken über den anderen in einem kontrollierten Rahmen zu äußern.
Gelegentlich musst du dich mit beiden Kindern zusammensetzen, um reinen Tisch zu machen. Achte darauf, dass du beiden Kindern gegenübersitzt. Gib beiden die Chance, sich über das Verhalten seines/ihres Geschwisters zu äußern. Sag etwas wie: „Simon, mir ist aufgefallen, dass jedes Mal, wenn deine Schwester etwas sagt, du wütend wirst und sie beschimpfst.“ „Jana, du scheinst dich immer mit deinem Bruder zu streiten. Hat das einen Grund?“ Danach kannst du sie fragen, was sie gerne an dem anderen ändern würden, was er tun oder lassen soll. Du wirst oft Kommentare hören wie: “ Ich will nur, dass du aufhörst, mich ‚dumm‘ zu nennen. Ich kann es nicht leiden, wenn du das tust. Ich finde es wirklich schrecklich.“
Freiraum und Ruhe zum Verarbeiten
Die Erziehungswissenschaftlerin Maggie Dent sagt, dass Jungen einen ruhigen Ort brauchen, um ihre Gedanken zu ordnen. Manche Jungen sind wie ein Aufziehspielzeug, das so lange weiterläuft, bis die Puste ausgeht. Sie haben zwei Modi – schnell und aus. Diese Jungen profitieren auch von etwas Freiraum und Stille. Sie können nur nicht zu viel davon ertragen.
Ermutige sie zu Auszeiten, damit sie sich entspannen können
Die ständige Geschäftigkeit von Jungen kann laut Maggie Dent stressig sein, da der erhöhte Cortisolspiegel, der durch das ständige „Go-go-go“ entsteht, zu ernsthaften Angstzuständen und später zu angstbedingten psychischen Gesundheitsproblemen führen kann. Permanente Geschäftigkeit kann auch zu Schlafmangel führen. Es ist nicht leicht, den Körper und den aktiven Kopf zum Schlafen zu bewegen. Deshalb sind Entspannung und Auszeiten für Jungen so wichtig. Wenn sie zu viel zu tun haben, sind sie sehr reizbar, was bedeutet, dass sie unter Stress leicht ausrasten können, anstatt sich zu entspannen. Baue Entspannungsübungen in ihren Tagesablauf ein.
Ermutige sie dazu, sich auf sinnvolle Weise auszutoben
Wenn aggressives Verhalten anhält, solltest du regelmäßige Zeiten einplanen, in denen die Jungen ordentlich Dampf ablassen können. Draußen können Jungen das eher – sei es bei organisierten Aktivitäten, beim Erkunden der Natur oder der Nachbarschaft – und insbesondere bei gemeinsamen Aktivitäten mit anderen. Das Spielen an der frischen Luft hilft Jungen auch beim Schlafen. Das ist wichtig, wenn man ihnen beim Umgang mit Wut und Aggression helfen will. Jungen, die zu Wut und aggressivem Verhalten neigen, haben in der Regel auch schlechte Schlafgewohnheiten. Schlafmangel führt zu Gereiztheit und zunehmenden Problemen beim Umgang mit Emotionen.
Untersuche ihr Umfeld auf Aggressionen
Viele Jungs sind anfällig dafür, aggressive Verhaltensweisen zu übernehmen, welchen sie ausgesetzt sind. Daher ist es wichtig, dass die Männer in ihrer Umgebung ein gesundes emotionales Verhalten vorleben, an dem sich die Jungen orientieren können. Wenn die Männer in ihrem Umfeld ständig wütend und aggressiv sind (entweder physisch oder verbal), weist das nicht nur den Weg, sondern gibt ihnen durch das schlechte Vorbild auch die Erlaubnis, genauso zu sein. Achte auch auf die Videos, die sie sich anschauen, die Computerspiele, die sie spielen und die Bücher, die sie lesen. Auch wenn nicht alle Jungen durch den Inhalt der Bilder, Spiele und Schriftstücke, denen sie ausgesetzt sind, negativ beeinflusst werden, besteht kein Zweifel daran, dass einige Jungen für Aggressionen in ihrer Umgebung empfänglich sind- vor allem, wenn sie von Helden und Menschen gezeigt werden, welche sie respektieren und bewundern.
Bring Jungen bei, mit Bedacht zu reagieren
Die meisten Jungen reagieren zum Glück gut auf Eltern, Lehrer/innen oder Trainer/innen, die bereit sind, sie dabei zu unterstützen, sich selbst besser zu kontrollieren und besser zu kommunizieren. Es ist hilfreich, wenn sie wissen, dass du dich um sie kümmerst und dass du sie respektvoll behandelst. Ermutige deinen Sohn dazu, nachzudenken, bevor er handelt. Das ist leichter gesagt als getan, denn viele Jungen neigen zu reaktivem Handeln und nicht besonders zum Nachdenken. Das heißt nicht, dass sie nicht auch mal innehalten und nachdenken können, aber es braucht vielleicht etwas Übung. Hier ist eine Strategie, die du ausprobieren kannst: Ermutige deinen Sohn dazu, sich vorübergehend von einer stressigen Angelegenheit oder einer Situation, die ihn wütend macht, zu entfernen. Sich aus der Situation zu entfernen muss zu seinem Standardverhalten werden. Danach sollte er ein paar Mal tief durchatmen, um sich zu entspannen, was wichtig ist, wenn er über seine Emotionen nachdenken und nicht reagieren will.
Frag Jungen was sie von etwas halten
Ein Junge spottet vielleicht, wenn du ihn fragst, wie er sich fühlt. Diese Reaktion kommt vielleicht daher, dass es ihm unangenehm ist, über seine Gefühle zu sprechen. Möglicherweise ist es auch in seiner Gruppe nicht üblich, über Gefühle zu sprechen. Als Einstieg in seine Gefühlswelt wirst du mehr Erfolg haben, wenn du ihn fragst, was er über etwas denkt. „Was hältst du davon, dass du nicht in die Mannschaft aufgenommen wurdest?“ „Schrecklich. Ich finde es schrecklich. Der Trainer mag mich nicht.“ Seine Antwort wird höchstwahrscheinlich auf einer emotionalen Ebene erfolgen, und das möchtest du erreichen.
Emotionales Selbstmanagement beginnt mit der Bestätigung durch Erwachsene. Lass ihn wissen, dass es normal und okay ist, wütend, verärgert oder enttäuscht zu sein. Hilf ihm dabei, seine Emotionen auszudrücken und finde Möglichkeiten, einen Abstand zwischen seiner Gefühlen der Wut und dem Handeln zu schaffen. Je größer der Abstand ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er aggressiv reagiert.
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