Als Beraterin für Teenager:innen sehe und höre ich eine Menge Dinge. Aber ich wette, du kannst nicht erraten, wie meine denkwürdigsten und liebsten Sitzungen aussehen. Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich alle meine Kund:innen wirklich liebe und es eine Ehre und ein Privileg ist, mit jedem einzelnen von ihnen zu arbeiten. Aber es gibt ein paar Sitzungen, die mir besonders in Erinnerung bleiben, und sie beginnen alle auf die gleiche Weise: Ohne den Teenager oder die Teenagerin.
Normalerweise kommen die Eltern allein ins Büro, weil sie ihr Kind nicht aus dem Auto bekommen haben. Und ich liebe das. Warum? Weil ich dann in der Lage bin, die Teenager:innen genau dort zu treffen, wo sie sind und wenn sie es am wenigsten erwarten. Ich gehe zum Auto, spreche durch das Fenster, wenn das Auto verschlossen ist, oder, wenn ich Glück habe, sitze ich mit ihnen im Auto und sage: „Ich verstehe. Ich würde auch nicht hier sein wollen.“ Das bedeutet, dass ich die Chance habe, mich in die Patient:innen einzufühlen, bevor ich etwas anderes tue. Und das ist schon ein guter Anfang, um eine Verbindung herzustellen. So kann ich sie innerhalb der ersten Stunde aus dem Auto holen und ins Büro bringen.
Das ist nicht immer so gelaufen. Und diese einfühlsame Reaktion war nicht immer mein Ding. Als ich aufwuchs, war ich ein schrecklicher Babysitter, denn wenn die Kinder Gefühle äußerten, die ich nicht verstand, waren meine ersten Reaktionen weniger hilfreiche Sätze wie „Beruhige dich“, „Komm drüber weg“ oder „Das ist doch nicht so schlimm“.
Aber selbst wenn ich Recht gehabt hätte – sie sollten sich beruhigen, darüber hinwegkommen und es ist keine große Sache – waren diese Antworten zwar logisch, aber nicht hilfreich.
Das Problem ist, dass eine logische Antwort nicht das ist, was unser Gehirn inmitten eines emotionalen Tiefs braucht. Das gilt besonders für Teenager:innen. In dieser Phase funktionieren die Gehirne von Jugendlichen ganz anders als die Gehirne von Erwachsenen. Wir wissen, dass das Gehirn etwa 25 Jahre braucht, um voll entwickelt zu sein. Das bedeutet, dass ein 12-jähriges und ein 25-jähriges Gehirn nicht dasselbe sind und ganz unterschiedlich funktionieren. Die Entwicklung des Gehirns und der Umgang mit Emotionen muss erlernt werden und das ist kein einmaliges Ereignis. Es ist ein fortlaufender Prozess.
Während dieser Wachstumsjahre ist der emotionale Teil unseres Gehirns, die Amygdala, ULTRA empfindlich. Mit anderen Worten: Er ist superreaktiv. Für dich als Elternteil ist das wahrscheinlich keine Überraschung. Du hast es in Echtzeit mit deinen eigenen Teenager:innen erlebt! Aus diesem Grund interpretieren und erleben Teenager:innen Ereignisse viel intensiver. Hinzu kommt, dass der Teil unseres Gehirns, der für das logische Denken zuständig ist, der sogenannte präfrontale Kortex, noch an den neuronalen Verbindungen zur Amygdala arbeitet, um effizient und effektiv zu sein. Der präfrontale Kortex arbeitet also in einem langsameren Tempo. All das bedeutet, dass unsere Teenager:innen an diesem Punkt ihrer Entwicklung dazu verdrahtet sind, mehr emotional und weniger logisch auf eine bestimmte Situation zu reagieren. Das ist nicht nur normal, sondern auch ganz natürlich.
Was sollen wir also in der Zwischenzeit tun? Wie erziehen wir Kinder in dieser Phase?
Verstehe die Reaktionen deines Kindes
In intensiven Situationen reagiert das Gehirn automatisch mit Kampf, Flucht oder Erstarren. Du hast das wahrscheinlich in deiner eigenen Familie erlebt.
- In der Kampfhaltung rennen die Menschen auf den Konflikt zu, um zu gewinnen.
- In der Flucht-Mentalität rennen Menschen vor Konflikten weg, um sie ganz zu vermeiden.
- In der Freeze-Mentalität werden Menschen stagnieren und passiv. Es kann so aussehen, als würden sie der anderen Person zuhören, aber ihre eigene Meinung nicht teilen.
Je nach Persönlichkeit und Umfeld deines Kindes können diese Reaktionen sehr heftig ausfallen. Egal, ob ein:e Teenager:in sich völlig verschließt, wütend wird oder sich isoliert, dies wird mit Leidenschaft zum Ausdruck kommen, weil sein/ihr Gehirn in diesem Moment nicht funktioniert.
Biete deinem Kind mit deiner Reaktion Sicherheit
Wenn es sich sicher fühlt, beruhigt sich auch die Amygdala (das Gefühlszentrum). Wie kannst du also deinem Teenager oder deiner Teenagerin helfen, sich sicher zu fühlen? Indem du Einfühlungsvermögen zeigst. Akzeptiere und bestätige mit Verständnis, wo dein Kind steht. Und denk daran, dass Verständnis nicht gleichbedeutend mit Zustimmung sein muss. Verständnis gibt der anderen Person das Gefühl, gehört zu werden, und egal, ob wir mit ihr übereinstimmen oder nicht, wir können sie zumindest hören. Reagiere so, dass die Person froh sein kann, dass sie sich geöffnet hat. In Zukunft werden sie sich an diese Antwort von dir erinnern und wissen, dass du eine sichere Person bist, mit der man sich austauschen kann – was die Gespräche zu später Stunde viel angenehmer machen wird, da du einen Raum für zukünftige und tiefere Themen öffnest.
Versuche nicht sofort Lösungen zu finden
Warum? Sie wollen es noch nicht hören. Wenn es um den Umgang mit Emotionen geht, gilt: „Zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus“. Wenn wir auf starke Emotionen logisch reagieren, ist das, als würden wir in verschiedenen Sprachen kommunizieren. Wenn das Gehirn emotional angesprochen und umsorgt wird (die aktuelle Sprache, die es spricht), dann fühlt es sich sicher, langsamer zu werden und rational zu denken. Dann ist dein:e Teenager:in vielleicht offen für eine „Lösung“. Aber erst dann, wenn sich seine/ihre Gefühle bestätigt fühlen. Wenn wir zu früh versuchen, etwas zu reparieren, werden wir buchstäblich nicht gehört.
Berücksichtige die Bedürfnisse deines Kindes
Jeder Mensch will anders getröstet werden, und manche Wege funktionieren besser als andere. Finde heraus, was für deine:n Teenager:in am wichtigsten ist, indem du seine/ihre zwei wichtigsten Liebessprachen herausfindest und dort beginnst. Reagieren sie auf ermutigende Worte? Eine Umarmung oder ein Streicheln des Rückens? Auf eine Art Geschenk? Etwas, das für sie getan wird? Das zeigt ihnen auch, dass du bewusst an ihre Bedürfnisse denkst, was hilfreich sein wird, um Vertrauen zu gewinnen und später Ratschläge zu geben.
Eltern, euer Herz und euer Instinkt, zu helfen, sind notwendig und machen euch zu effektiven und guten Eltern. Aber wenn du lernst, wie du deine Kinder am besten liebst, und zwar auf die Art und Weise, die ihren Bedürfnissen und ihrer Entwicklung entspricht, wirst du noch besser werden. Die oben genannten Tipps sind wichtig, um deine:n Teenager:in zu verstehen und sein/ihr Vertrauen zu gewinnen, damit er/sie auf deinen Rat hören kann, wenn du ihn gibst.
Vergiss dich selbst nicht
Eines der wichtigsten Dinge bei der Anwendung dieser Techniken ist, dass du sie auch auf dich selbst anwendest. Du musst dir selbst Einfühlungsvermögen und Verständnis entgegenbringen, bevor du versuchst, diese Dinge jemand anderem zu geben. Und warum? Weil wir Menschen sind und das alles nicht selbstverständlich ist. Sei so gnädig mit dir selbst, wie du es auch mit deinem Teenager oder deiner Teenagerin bist. Du leistest großartige Arbeit, und deine Bereitschaft, dich weiterzuentwickeln und neue Fähigkeiten im Umgang mit deinem Teenager zu erlernen, ist der Beweis dafür.
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