Warum Kinder mehr Erwachsene als nur ihre Eltern im Leben brauchen

Ich bin in einer kleinen Kirchengemeinde aufgewachsen, in der die Jugendgruppe hauptsächlich aus mir und meiner Schwester Cathy bestand. Ganz im Ernst.
Anstatt mit meinen Eltern im Gottesdienst zu sitzen, verbrachte ich die meisten Sonntagvormittage damit, den Kindern des Pastors im Garten zuzusehen. Das war meine Kirchenerfahrung als Jugendlicher.
Mit 23 heiratete ich in der Kirche, die ich als Teenager gemieden hatte und suchte nach einer anderen Gemeinde für meine neu gegründete Familie. Das Ziel: Eine Gemeinde mit viel Jugendarbeit. Schließlich würden auch wir irgendwann ein Kind bekommen und ich wollte, dass es die Jugendgruppe bekommt, die ich nie hatte. Das ist es, was Eltern tun, sie geben ihren Kindern, was sie wollten und nie hatten.

Doch als unser Sohn Thomas neun Jahre alt war, beschlossen wir, ein Nomadenleben auf der Straße zu führen. Ja, das ist richtig. Bevor unser Sohn in die fantastische Jugendgruppe unserer Kirche eintreten konnte – die wir bewusst vor seiner Geburt ausgesucht hatten – fuhren wir mit ihm in einem VW-Bus weg.

Anstatt dauerhafte Beziehungen zu Gleichaltrigen zu knüpfen und sich mit erfahrenen Mitarbeiter/innen in der Schülerarbeit zu beschäftigen, musste unser Junge mit einem 38-jährigen ängstlichen Verkäufer und einer 35-jährigen unsicheren Introvertierten zurückbleiben. Was konnte da schon schiefgehen?

Unsere Lernkurve war steil

Das erste Jahr auf der Straße war holprig und anstrengend. Als Camping-Neulinge übernahmen mein Mann und ich Rollen und Verantwortlichkeiten, die wir so noch nie erlebt hatten. Die Lernkurve für alles, was mit dem Wohnmobil zu tun hat, war steil und es gab auch gleichzeitig neue Belastungen.

Mein Mann verließ seinen Job, um Unternehmer zu werden und ich tauschte die Rolle der Tagesmutter gegen die einer Vollzeitlehrerin. Und statt drei Personen, die sich ein paar tausend Quadratmeter Haus teilen, bewohnten wir 24 Stunden am Tag 30 Quadratmeter, jeden Tag.

Es war eine Herausforderung zu lernen, den Raum und einen Familiencomputer zu teilen, während wir ein Unternehmen gründeten, uns über Homeschooling informierten und uns daran erinnerten, die Reise zu genießen. Die Kernfamilie von Thomas war manchmal tatsächlich eine Kernfamilie.

Das abenteuerliche Leben hat uns sowohl belohnt als auch erschöpft. Wir liebten die Zeit mit der Familie, aber als das erste Reisejahr zu Ende ging, wurde uns klar, was wir geopfert hatten. Nein, uns wurde klar, was Thomas geopfert hatte.

Der lebenslustige kleine Junge, der seine Heimat verlassen hatte, spiegelte nun seine Eltern wider, ängstlich und unsicher. Das war nicht unser Plan gewesen.

In einer Reisepause traf ich mich mit der Jugendpastorin unserer Kirche auf einen Kaffee. Sie war eine enge Freundin und so erzählte ich ihr von meinen Sorgen und Ängsten. Pastorin Mandy versicherte mir, dass es Thomas gut gehen würde, aber sie ermutigte mich, ihn mit Gleichaltrigen und Jugendleiter/innen in Kontakt zu bringen. Die Kontakte würden uns allen gut tun.

Ihre Worte erinnerten mich daran, warum wir uns für diese Gemeinde entschieden hatten: Das Leben in der Isolation ist schwer.

Der Mensch ist dazu geschaffen, in einer Gemeinschaft zu leben, aber ich hatte zugelassen, dass meine Abenteuerlust die grundlegenden Beziehungen, die mein Sohn brauchen würde, unterbrochen hatte – genau die, die ich mir als Teenager gewünscht hatte.

Die Teilnahme an Jugendgruppen wurde zu einer Priorität für unsere Familie. Wir reisten immer noch ab und zu, aber Thomas verpasste nie ein Workcamp oder eine Jugendtagung. Seine Kleingruppenleiter, Jugendpastoren und andere erwachsene Ehrenamtliche wurden zu einem immer größer werdenden Einflusskreis.

Die Auswirkungen und der Beweis dafür fielen mir 2013 auf, als Thomas sein Abitur machen wollte. „Wenn du jemals etwas brauchen würdest und dein Vater und ich nicht erreichbar wären, wen würdest du anrufen?“, fragte ich. Thomas nannte ein paar Leute. „Ja, aber wenn du eine Krise hättest und uns nicht erreichen könntest, zu wem würdest du gehen, um Hilfe zu bekommen?“ Thomas nannte weitere Personen.

Mein Junge hatte einen Bekanntenkreis

Mein Junge zählte seinen Bekanntenkreis in der Kirche auf. Leiter von Kleingruppen. Jugendpastoren. Thomas zählte viele der erwachsenen Freiwilligen auf, die er kennengelernt hatte und die seit Jahren in sein Leben getreten waren.

Anstelle der traditionellen Abiturfeier lud Thomas seinen Freundeskreis zu einem Dankbarkeitsbrunch ein, um ihren Beitrag zu seinem Erfolg zu würdigen. Das ist es, was er sagen wollte:

Danke, dass ihr euch um mich kümmert.
Danke, dass ihr mich ermutigt habt.
Danke, dass ihr mich herausfordert.

Man sagt: „Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen.“ Ich würde sagen, dieses Dorf hat die Form eines Kreises.

Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/grune-und-weisse-zelte-in-der-nahe-von-baumen-939723/


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