Stell dir das vor!
Es ist sechs Uhr abends an deiner örtlichen Grundschule.
Eine Stretchlimousine hält auf dem Mitarbeiter:innenparkplatz, nur wenige Meter vom Sandkasten entfernt, in dem die Sechs- und Siebenjährigen tagsüber spielen.
Neugierig hältst du an, um zu sehen, welcher Prominente deiner Schule einen Besuch abstattet.
Ein Chauffeur steigt aus und hält die linke Tür auf.
Du reckst deinen Hals, um einen Blick auf den VIP-Besuch zu erhaschen. Ein zehnjähriges Mädchen, stolpert aus dem Auto, gefolgt von einem halben Dutzend ihrer Freundinnen, die alle versuchen, sich modisch auszustechen.
Sie versammeln sich, kichern und richten die Kleider, die nicht ganz passen. Dann marschieren sie gemeinsam am Sandkasten vorbei in die Sporthalle, um ihren Grundschulabschluss zu feiern.
Willkommen zur Grundschulabschlussfeier im Zeitalter nach der Jahrtausendwende, wo die Ankunft in einer Stretchlimousine für viele Kinder ein Muss ist!
Auch wenn nicht jede Abschlussfeier an jeder Schule so abläuft und nur relativ wenige Schüler:innen tatsächlich in einer Stretchlimousine zur Abschlussfeier ihrer Schule kommen, ist doch klar, dass viele Schüler:innen diese Möglichkeit in Betracht ziehen. Wie stark hat sich die Vorstellung von der Normalität verschoben?
Was ist an einer Stretchlimo zum Grundschulabschluss auszusetzen?
Nichts, wenn Stretchlimousinen und Hubschrauber zu den üblichen Verkehrsmitteln eines Kindes gehören. Wenn das der Fall ist, werden sie sich den Hubschrauberflug für ihr Abitur aufheben. Aber wenn sie wie die meisten Menschen sind, deren Eltern mit einem viertürigen Auto ohne Chauffeur herumfahren, dann ist die ganze Limousinen-Sache ein bisschen übertrieben.
Ist es nicht gut, den Kindern ab und zu etwas zu gönnen? Ja, es ist gut, Kinder zu besonderen Anlässen etwas anders und sogar etwas erwachsener zu behandeln. Das bedeutet aber nicht, dass wir Kinder wie Erwachsene behandeln. Das Problem, das entsteht, wenn du deine Kinder für eine Nacht in eine Limousine setzt, ist, dass du ihnen ein Geschenk machst, das nicht nur schäbig ist, sondern auch noch unangenehme Unterschiede macht. Lass mich das erklären.
Stretch-Limousinen waren einst ein Phänomen, das mit Berühmtheit und Status verbunden war. Heute gibt es sie wie Sand am Meer. Sie werden eher von Teenagern und Frauen in den 20ern für eine Nacht voller Saufgelage genutzt, als dass sie echte Berühmtheiten transportieren. Wenn du deinem Kind erlaubst, wie ein Erwachsener in einer Limousine zu fahren, schließt du es stillschweigend an alle anderen Aktivitäten an, die mit diesem Verkehrsmittel verbunden sind.
Worum es am Tag des Grundschulabschlusses eigentlich gehen sollte
Der Grundschulabschluss sollte ein Tag sein, an dem Kinder zusammenkommen, um ihre Grundschulzeit zu feiern und die Lehrkräfte und Freund:innen zu würdigen, mit denen sie diese kurze, formende Reise geteilt haben. Die Fahrt in einer Stretchlimousine ist ein selbstgefälliger Akt, der allen sagt: „Hey, seht mich an! Ich bin ziemlich cool, weil ich mich älter verhalte, als ich wirklich bin.“ Dadurch grenzt sich ein Kind sofort von denen ab, die nicht mit einer Stretchlimousine kommen. Es gibt meiner Meinung nach zwei unterschiedliche Gruppen von Eltern: Diejenigen, die ihrem Kind erlauben, mit einer Limousine zu fahren, und diejenigen, die sich geweigert haben dem Drängen ihres Kindes nachzukommen.
Wenn du also darüber nachdenkst, deinem Kind zu erlauben, mit einer Stretchlimousine zu seiner Abschlussfeier in der Grundschule zu fahren, dann solltest du das noch einmal überdenken. Hast du Schwierigkeiten, das übliche „Das machen doch alle anderen auch“-Argument deines Kindes zu entkräften? Dann helfen dir vielleicht die folgenden Sätze: „Ich glaube nicht, dass es für dein Alter angemessen ist. Du solltest mich noch einmal fragen, wenn du die weiterführende Schule beendet hast. Ich denke, dann macht es vielleicht mehr Sinn. Bis dahin wünsche ich dir viel Spaß bei deinem Grundschulabschluss. Vergiss nicht, deinen Lehrerinnen und Lehrern für alles zu danken, was sie für dich getan haben. Und sieh zu, dass du so viel Zeit wie möglich mit deinen Klassenkameradinnen und -kameraden verbringst. Denn sie machen diesen Abend zu etwas Besonderem, nicht dein Verkehrsmittel.“
Beglückwünsche dich selbst dazu, dass du gegen den Trend der gängigen Ansichten geschwommen bist, denn das ist eines der schwersten Dinge, die man als Elternteil tun kann.
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