Wieso sollten wir uns um Stress bei Babies kümmern?
Niemand möchte ein gestresstes Baby haben. Stress ist ansteckend und macht alle Beteiligten unglücklich.
Ist der Stress chronisch – also ein normaler Bestandteil des Alltags – drohen den Kindern langfristige gesundheitliche Schäden.
Wenn Babys einem hohen Wert des Stresshormons Cortisol ausgesetzt sind, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie später im Leben Verhaltensprobleme und stressbedingte Krankheiten aufweisen.
Im schlimmsten Fall kann schädlicher Stress das Wachstum des Gehirns beeinträchtigen und die Lebenserwartung verkürzen.
Doch es gibt gute Neuigkeiten für Eltern, die sich gestresst fühlen. Wir können eine Menge tun, um Babys vor den Auswirkungen von gefährlichem Stress zu schützen.
Experimente an Tieren haben zum Beispiel erwiesen, dass sich Säuglinge, die viele fürsorgliche Zuwendung erfuhren, mit größerer Wahrscheinlichkeit zu stressresistenten Erwachsenen entwickeln – selbst wenn sie mit bestimmten Risiken für stressbezogene Probleme geboren wurden.
Und dasselbe scheint auch für Menschen zu gelten.
Als Helen Sharp und ihre Kolleg/innen die Entwicklung von Babys verfolgten, bei denen ein hohes Risiko besteht, dass sie Krankheiten im Zusammenhang mit Stress entwickeln, fanden die Forscher/innen Beweise für die schützende Wirkung von Zärtlichkeit:
Babys mit hohem Risiko entwickelten sich normal, wenn ihre Mütter sie in der frühen Kindheit viel umarmten und liebkosten.
Andere Untersuchungen belegen die Stärke der elterlichen Einfühlsamkeit und Reaktionsfähigkeit – der Fähigkeit, die Signale eines Babys zu deuten und ihm rechtzeitig zu geben, was es braucht.
So haben Eltern, die mehr Feinfühligkeit an den Tag legen, in der Regel auch Babys mit niedrigeren Cortisolwerten. Und es sind die Säuglinge, die mit einem „schwierigen“, leicht verstörbaren Temperament auf die Welt gekommen sind, die am meisten davon profitieren.
In Studien, in denen Kinder über eine längere Zeitspanne hinweg begleitet wurden, haben solche Babys bessere Werte als ihre entspannteren Altersgenossen – insofern sie von einfühlsamen, aufmerksamen Eltern betreut wurden.
Erziehung macht also einen großen Unterschied. Aber wie geht das am besten? Und was können Eltern tun, um einfühlsam und stressabbauend zu werden?
Hier ist ein wissenschaftlich fundierter Leitfaden zur Verringerung von Stress bei Säuglingen.
1. Körperliche Nähe
Biete viel körperliche Zärtlichkeit… aber achte darauf, was deinem Baby gefällt und was nicht.
Wie bereits erwähnt, scheinen liebevolle Zärtlichkeiten Babys vor schädlichem Stress zu schützen und Forscher/innen glauben zu wissen, warum.
Zärtliche Berührungen lösen im Gehirn die Ausschüttung verschiedener Stress abbauender Chemikalien aus, darunter Oxytocin (das sogenannte „Liebeshormon“) und körpereigene Opioide (natürliche Schmerzmittel).
Diese haben eine entspannende Wirkung und helfen, die Produktion von Cortisol zu hemmen.
Dadurch wird der Körper weniger strapaziert, und das Gehirn entwickelt mit größerer Wahrscheinlichkeit ein langfristiges Muster der Stressresistenz.
Körperliche Zuneigung ist also ein hervorragendes Mittel zum Stressabbau. Doch bedenke: Es gibt Babys, die schlecht auf Berührungen reagieren. Sie empfinden sie womöglich als störend, einschüchternd oder überwältigend.
Studien haben gezeigt, dass viele Babys keine sanften Berührungen mögen. Sie scheinen eine kräftigere Art der Berührung zu bevorzugen.
Babys können es auch als belastend empfinden, wenn man sie unabhängig von einer freundlichen, vielfältigen Interaktion berührt.
In Experimenten mit Neugeborenen sank der Cortisolspiegel, wenn sie von einer Bezugsperson gestreichelt wurden, die sie schaukelte, Augenkontakt hielt und beruhigend auf sie einredete. Wurden sie jedoch schweigend berührt – ohne Schaukeln oder Blickkontakt – stieg der Cortisolspiegel bei diesen Babys an.
Wir sollten also unsere Herangehensweise an die Vorlieben des Babys anpassen und das bedeutet manchmal, uns zurückzuhalten.
Manchmal fühlen sich Babys überreizt und wollen sich zurückziehen, was Stress verursachen kann, wenn wir ihre Bedürfnisse nicht berücksichtigen.
In einer Studie haben Forscherinnen und Forscher Mütter und Säuglinge beim gemeinsamen Spielen beobachtet. Sie haben festgestellt, ob die Mütter auf die Wünsche ihrer Säuglinge nach Berührungen geachtet haben oder nicht. Babys, die man ungewollt berührte, hatten einen höheren Cortisolspiegel.
2. Gedanken von Babys nachvollziehen
Es ist nicht leicht, sich in die Gedanken deines Babys hineinzuversetzen und die Dinge aus seiner Perspektive zu sehen. Wann hast du dich das letzte Mal verletzlich, abhängig und bewegungsunfähig gefühlt und warst nicht in der Lage, dich mit Worten auszudrücken?
Je besser du die Gefühle deines Babys verstehst, desto besser sind deine Chancen, den Stress zu minimieren.
Nimm zum Beispiel die Zeit während des Badens. Bereitest du erst alles vor und ziehst das Baby aus, bevor du es badest? Oder ziehst du das Baby erst aus und lässt es dann warten, bis das Bad soweit ist?
Amie Hane und Lauren Philbrook (2012) weisen darauf hin, was in letzterem Fall schiefgehen kann.
Angenommen, die Mutter versucht, das Baby mit einem Arm zu halten, während sie mit dem anderen das Bad vorbereitet. Nehmen wir an, dass dem nackten, wartenden Baby kalt wird.
Nun weint und zappelt das Baby und macht es seiner Mutter schwer, es festzuhalten. Als das Wasser endlich bereit ist, lässt die Mutter das Baby ungeschickt los und es fällt abrupter ins Wasser, als beabsichtigt.
Die Wassertemperatur fühlt sich auf der Haut des Babys besonders heiß an und es schreit empört auf.
So kann ein einziger Fehltritt – das Baby frieren lassen – zu einer Menge unnötiger Probleme führen.
Und laut Hane und Philbrook können kleine Vorfälle wie dieser dazu führen, dass Familien sich in die falsche Richtung bewegen.
Da das Baby so temperamentvoll und intolerant gegenüber Veränderungen zu sein scheint, entscheiden sich die Eltern, mit solchen Situationen fertig zu werden, indem sie noch strenger und kontrollierender werden. Die Sache wird nicht gut gehen, also warum sollte man es nicht schnell hinter sich bringen?
Doch wenn man die Sache erzwingt, wird die Begegnung garantiert stressig und es entsteht ein Teufelskreis aus negativen Gefühlen – einer, der die Erziehung des Kindes in eine Reihe von Konflikten verwandelt.
Vielleicht können wir also eine ganze Reihe schlechter Folgen verhindern, wenn wir herausfinden, was unsere Babys aufregt und unsere Taktik dementsprechend ändern.
Falls du mit der Reizbarkeit deines Babys nicht zurechtkommst, solltest du einen erfahrenen Freund um Rat fragen. Du bist vielleicht zu gestresst, um die Dinge sachlich zu betrachten.
Sei nicht traurig: Die Mühe, den Blickwinkel deines Babys zu verstehen, kann viele Vorteile haben. Untersuchungen haben ergeben, dass Eltern, die sich auf ihr Kind einlassen, eine stärkere Beziehung zu ihm aufbauen – und dass ihre Babys bessere soziale Kompetenzen entwickeln.
3. Babys sind sensibel für deine Gefühle
Unterschätze niemals die Fähigkeit deines Babys, deine schlechten Gefühle zu erkennen – und widerzuspiegeln.
Bist du abgelenkt, verärgert oder niedergeschlagen, könntest du denken, dass dein Baby das nicht merkt. Aber die Wissenschaft sieht das anders.
Studien zeigen, dass Babys – sogar Neugeborene – verzweifeln, wenn ihre Bezugspersonen gefühlsmäßig nicht auf sie eingehen.
Und im Alter von 6 Monaten können viele Babys zwischen fröhlicher und verärgerter Körpersprache unterscheiden.
Babys sind also schon früh sensibel für unsere emotionalen Signale. Zudem können Babys spüren, wenn wir gestresst sind – und das führt dazu, dass sie sich auch gestresst fühlen.
Genauso wichtig ist, dass Babys nachweislich Konflikte anderer mitbekommen. Sie können feststellen, wenn sich ihre Eltern streiten oder eine Auseindersetzung haben – dadurch besteht für Babys ein höheres Risiko, schlechte Reaktionen auf Stress zu entwickeln.
Die wichtigste Erkenntnis ist jedoch, dass deine eigene Stimmungslage entscheidend ist. Bekommst du deinen eigenen Stress in den Griff – indem du dir Unterstützung von Freunden oder andere Hilfen suchst – kann das einen ausschlaggebenden Einfluss auf das Verhalten und das Wohlbefinden deines Babys haben.
4. Beziehe dein Baby in die Gespräche mit ein, aber erzwinge diese nicht
Wie körperliche Zuneigung können auch freundliche Gespräche und eine sympathische Körpersprache unser Gehirn dazu bringen, „Wohlfühlchemikalien“ wie Oxytocin auszuschütten.
Außerdem haben Studien gezeigt, dass Babys davon profitieren, wenn wir sie als Gesprächspartner behandeln – indem wir ihre Gefühle anerkennen, auf ihre Fragen eingehen und ihnen helfen, wenn sie in Not sind.
Auf diese Weise lernen Babys nicht nur, mit ihren schlechten Gefühlen umzugehen, sondern sie lernen auch, eine sichere und gesunde Beziehung zu entwickeln.
Aber auch hier ist der Zusammenhang wichtig. Genauso wie Babys durch körperliche Berührungen gestresst werden können, kann sie auch ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht überwältigen.
Ist dein Gesicht zu nah oder hat dein Baby einfach genug “ Gespräch“ gehabt, wird es es dir zeigen. Es kann sich ducken oder seine Hände vor sein Gesicht halten. Es kann versuchen, den Kopf zu drehen und wegzuschauen.
5. Babys mögen Bewegung
Weinen? Zappeln? Beruhige dein Baby mit einem Spaziergang.
Es ist eine alte Volksweisheit, die von der modernen Wissenschaft bestätigt wird: Babys mögen es, herumgetragen zu werden und scheinen es beruhigender zu finden, als von einer Person im Arm gehalten zu werden, die sich nicht bewegt.
In einer Reihe von Experimenten fanden Forscher/innen heraus, dass Babys eine niedrigere Pulsrate hatten, sich weniger bewegten und weniger weinten, wenn sie von einem Erwachsenen gehalten wurden, der sich bewegte.
6. Sei zur Schlafenszeit emotional zugänglich
Fast die gesamte menschliche Geschichte hindurch schliefen unsere Vorfahren in der Nähe ihrer Babys und das Überleben eines Säuglings hing davon ab, dass er in der Nähe blieb. Es sollte uns also nicht überraschen, dass Babys es als stressig empfinden, im Dunkeln allein zu sein.
Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass Babys in dieser Situation einen erhöhten Cortisolspiegel haben. Selbst wenn sie darauf „trainiert“ wurden, in ihrem eigenen Zimmer zu schlafen und relativ ruhig zu sein.
Doch unsere nächtlichen Schlafgewohnheiten haben nicht nur Auswirkungen auf den Stress, den Babys nachts empfinden. Sie können auch beeinflussen, wie Babys mit Stress in anderen Situationen umgehen.
Als Forscher/innen 12 Monate alte Babys einem sozialen Stressfaktor – einer so genannten „fremden Situation“ – aussetzten, stellten sie fest, dass die Babys je nach Vorgeschichte unterschiedlich reagieren.
Babys, die mehr Zeit mit ihren Eltern verbringen, zeigen sich als entspannter, auch wenn man andere Faktoren wie die Sensibilität der Eltern und die Sicherheit der Beziehung berücksichtigt.
Eine andere Studie berichtet, dass 5 Wochen alte Säuglinge mit einer Vorgeschichte von gemeinsamem Schlafen Hinweise auf eine größere Entspanntheit zeigten. Während die Erfahrungen mit dem gemeinsamen Schlafen keinen offensichtlichen Einfluss auf die Reaktionen der Babys auf eine schmerzhafte Impfung hatten, waren sie mit geringerem Stress während des Badens verbunden.
Körperliche Enge in der Nacht kann Babys also helfen, ihre Reaktion auf Stress im Allttag zu regulieren. Doch körperliche Nähe ist nicht alles.
Einige Forscher/innen argumentieren, dass der entscheidende Faktor die „emotionale Zugänglichkeit zur Schlafenszeit“ ist.
Was genau bedeutet das? Forscher/innen betrachten dich als „emotional verfügbar“, wenn du Folgendes tust:
- Verwende ruhige, besänftigende Routinen, die deinem Baby helfen, nachts einzuschlafen.
- Vermeide es, mit deinem Baby zu sprechen, wenn es gerade einschläft.
- Verhalte dich auf ein Art, die frei von Verärgerung und Feindseligkeit ist.
- Reagiere sofort (innerhalb einer Minute), wenn dein Baby nach Hilfe ruft.
Als Lauren Philbrook und ihre Kolleg/innen den nächtlichen Verlauf von Familien mit kleinen Babys beobachteten, stellten sie fest, dass Mütter, die als sehr „emotional verfügbar“ eingestuft wurden, mit höherer Wahrscheinlichkeit Babys mit niedrigen nächtlichen Stresswerten hatten.
Außerdem war es bei diesen Babys wahrscheinlicher, dass sie im Laufe eines Tages normale, gesunde Hormonschwankungen entwickelten.
Falls du dich wunderst: Die emotionale Verfügbarkeit zur Schlafenszeit scheint Babys zu helfen, nachts länger zu schlafen. Das klingt nach einem rundum guten Deal!
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