Mobbing in der Schule hat für alle Beteiligten Folgen. Es traumatisiert die Opfer. Mobber können mit der Zeit immer unsozialer werden. Und auch Unbeteiligte sind betroffen. In einer Umgebung zu leben, in der Mobbing toleriert wird, ist stressig und kann Kindern das Lernen schwer machen.
Wissenschaftler:innen haben herausgefunden, dass Kinder bessere Noten erzielen, wenn sie Schulen besuchen, die sich durch eine nette, kooperative Atmosphäre auszeichnen – ein Klima, in dem sich die Schüler:innen „gegenseitig helfen, auch wenn sie keine Freunde sind“.
Im Gegensatz dazu fühlen sich Kinder, die Mobbing in der Schule ausgesetzt sind, weniger beteiligt, und ihre schulischen Leistungen können darunter leiden. Wie kann man also Mobbing in der Schule unterbinden?
Forschungen zu Mobbing in der Schule
Kanadische Forscher:innen haben Grundschüler:innen mit Funkmikrofonen ausgestattet und sie beim Spielen auf dem Schulhof gefilmt. Insgesamt sammelten die Forscher:innen 125 Stunden an Material.
Unter diesen Beobachtungen stellten sie 306 Mobbingfälle fest – definiert als Aggressionen, bei denen der/die Angreifer:in dem Opfer überlegen war. Und nun wird es spannend.
- Die meisten Mobbingfälle – 88 % – fanden im Beisein von Gleichaltrigen statt.
- Nur bei 19 % dieser Zwischenfälle griffen Gleichaltrige ein.
- Wenn Gleichaltrige eingriffen, indem sie sich zu Wort meldeten oder die Opfer körperlich verteidigten, hörten die Mobber:innen in der Regel auf: In 57 % der Fälle wurde die Mobber:innen innerhalb von 10 Sekunden gestoppt.
Die Lektion? – Es scheint, dass es ausreicht, wenn man sich zur Wehr setzt, um einen Tyrannen zu stoppen.
Die kanadische Studie befasste sich jedoch nur mit Mobbingfällen, die bereits im Gange waren. Können wir verhindern, dass solche Zwischenfälle überhaupt stattfinden?
Wenn man sich die Studien ansieht, scheint das durchaus möglich zu sein. Aber es ist kein Problem, welches einfach zu lösen ist. Nachfolgend ein Überblick über die experimentelle Forschung – was Studien darüber sagen, wie man Mobbing in der Schule unterbinden kann.
Das CAPSLE – Programm
Die kanadische Studie legt nahe, dass Mobber:innen gerne ein Publikum haben. Das könnte sogar ihre Hauptmotivation sein. Schaulustige ermutigen Mobbing, wenn sie ohne Einwände zusehen.
Kinder sind nicht die einzigen Zuschauer:innen, die Mobbing in der Schule beobachten. Wenn Lehrer:innen, Eltern und andere Erwachsene tatenlos zusehen, unterstützen sie die Mobber:innen indirekt.
Diese Beobachtungen haben Stuart Twemlow und seine Kolleg:innen dazu inspiriert, ein Anti-Mobbing-Programm für Schulen zu entwickeln, das das Verhalten von Mobber:innen und Zuschauer:innen verändern soll.
Das Programm mit dem Namen CAPSLE („Creating a Peaceful School Learning Environment“) hilft Kindern, „sanfte Kämpfer“ zu werden, d.h. Menschen, die mutig, freundlich, hilfsbereit und respektvoll sind und Selbstbeherrschung zeigen. Das Programm beinhaltet folgende Komponenten:
1. Ein gutes Unterrichtsklima schaffen und keine Toleranz gegenüber Mobbing und Gewaltbereitschaft zeigen.
Dies wird durch viele Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung erreicht, wie z. B. die schulweite Auszeichnung von Kindern, die sich „heldenhaft“ verhalten (z. B. indem sie sich für ein Opfer einsetzen), und das Aufhängen eines „Friedensbanners“ vor jedem Klassenzimmer. Außerdem werden den Eltern Workshops zur Anwendung von guter Erziehung angeboten.
2. Die Lehrkräfte erhalten ein Training mit dem Management der Klasse und der Anwendung von guter Disziplin.
Den Lehrkräften werden konkrete Taktiken für gute Disziplin vermittelt. Der Schwerpunkt liegt darauf, wünschenswertes Verhalten zu verstärken, anstatt störendes zu bestrafen. Beobachten Lehrkräfte aggressives Verhalten, greifen sie sofort ein und folgen einem progressiven Disziplinierungsplan, der harte Bestrafungen und Bloßstellung vermeidet.
3. Ein Plan für den Sportunterricht, der den Kindern beibringt, wie sie ihre Impulse kontrollieren und gezielt gegen Tyrannen vorgehen können.
Die Schüler:innen erhalten ein Training im Kampfsport mit den Schwerpunkten Wutbewältigung, Selbstkontrolle und Rollenspiele, um konkrete Methoden zur Deeskalation von Konflikten zu erlernen.
4. Ein Programm für Mentoren und Mentorinnen, das Kindern beibringt, sich nicht an Mobbing zu beteiligen.
Freiwillige aus der Gesellschaft patrouillieren auf den Schulfluren und Spielplätzen, um die Kinder zu beobachten und zu schlichten. Sie spielen mit den Kindern (in der Pause) und coachen sie aktiv bei der Konfliktlösung.
Nachdem Twemlow und Kolleg:innen das Programm in einer innerstädtischen amerikanischen Grundschule getestet hatten, gingen die Disziplinarmaßnahmen wegen körperlicher Aggression um 50 % zurück.
In einer Kontrollgruppe, die die gleichen demografischen und anderen Variablen aufwies, blieb die Zahl der Disziplinarmaßnahmen unverändert.
Die Verringerung des Mobbings in der Schule hatte noch einen weiteren positiven Aspekt: Die Schule, die an dem Versuchsprogramm teilnahm, erzielte höhere standardisierte Testergebnisse.
Nachdem dasselbe Programm auf 5 weitere Grundschulen ausgeweitet wurde, berichteten die Forscher:innen über ähnliche Ergebnisse.
Welche(s) Element(e) des CAPSLE-Programms war(en) wirksam?
Twemlow und seine Kollegen testeten eine Vielzahl von Anti-Mobbing-Maßnahmen, so dass es schwer zu sagen ist, welche davon für den Erfolg entscheidend waren. Aber die Analyse von Maria Ttofi und David Farrington liefert einige Antworten.
Die Forscher:innen untersuchten jahrzehntelange Forschung und konzentrierten sich dabei auf die strengsten Tests von Anti-Mobbing-Programmen.
Vier Merkmale stachen dabei hervor:
- ein Training der Eltern mit dem Ziel der Konfliktlösung
- bessere Aufsicht auf dem Schulhof
- strenge Disziplinarmaßnahmen gegen Schüler, die mobben
- Schulung der Lehrkräfte bezüglich des Managements im Unterricht
Es scheint also, dass Eltern und Lehrkräfte, die mit dem Training positiver Disziplinarmethoden vertraut sind, einen Unterschied ausmachen können.
Lehrer:innen – Schüler:innen – Beziehungen
Es gibt auch Hinweise darauf, dass gute, warmherzige Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern helfen können.
Wir wissen zum Beispiel, dass gute, unterstützende Lehrer:innen-Schüler:innen-Beziehungen die Auswirkungen schädlichen Stresses abfedern.
Sinkt dadurch auch die Quote von Mobbing in der Schule? Das scheint durchaus möglich. In einer Studie an amerikanischen Mittelschulen fanden Forscher:innen heraus, dass Mobbing seltener vorkommt, wenn die Lehrkräfte über gute Beziehungen zu ihren Schüler:innen verfügen.
Mentor:innen
Zudem gibt es Grund zu der Annahme, dass Kinder von Mentor:innen profitieren – also von warmen, persönlichen Beziehungen zu älteren Vorbildern.
In einer kleinen Studie mit problematischen Viertklässler:innen konnte beispielsweise die Häufigkeit des Mobbings in der Schule reduziert werden, indem die Kinder zweimal pro Woche mit einer freundlichen, älteren Person zusammengebracht wurden.
Die Mentor:innen erhielten ein Training mit dem Ziel, warme, enge Beziehungen zu den Schüler:innen aufzubauen. Außerdem wurden sie mit dem Training dazu befähigt, den Kindern beim Aufbau von Fähigkeiten zu helfen, die für den schulischen Erfolg wichtig sind.
Die Kinder wurden vor und nach der Teilnahme an dem Programm getestet und mit Kindern aus einer Kontrollgruppe verglichen. Nach vier Monaten gaben die begleiteten Kinder mit geringerer Wahrscheinlichkeit an, in den letzten 30 Tagen einen Gleichaltrigen gemobbt zu haben.
Diese Ergebnisse stimmen mit einer sehr großen, korrelierenden Studie überein. Bei der Überprüfung der Fortschritte von mehr als 65.000 Schulkindern in den Vereinigten Staaten fanden die Forscher:innen heraus, dass Kinder ohne Mentor:innen doppelt so oft andere Kinder mobbten.
Gescheiterte Maßnahmen
Das Olweus-Programm zum Beispiel ist eine Anti-Mobbing-Maßnahme für die gesamte Schule, die in Norwegen entwickelt und getestet wurde. In seinem Heimatland ist es sehr erfolgreich, und auch an einigen amerikanischen Schulen hat es die Zahl der Mobbingfälle reduziert.
Einige Versuche, das Programm umzusetzen, scheiterten jedoch.
Außerdem deuten Forschungsergebnisse darauf hin, dass bestimmte Arten von Interventionen allein nicht sehr effektiv sind.
Die Forscher:innen Rachel Vreelman und Aaron Carroll durchforsteten die Fachliteratur nach gründlichen Tests schulischer Interventionen und fanden nur wenige Belege dafür, dass Anti-Mobbing-Lehrpläne – Videoprogramme, Vorträge und schriftliche Materialien – hilfreich sind. Nur 4 von 10 Studien berichteten über einen Rückgang von Mobbing in der Schule.
Gründe für das Scheitern der Maßnahem
Es ist wichtig zu erkennen, dass der Erfolg des CAPSLE-Programms und anderer Programme an Schulen davon abhängig ist, ob sie kulturell gut zu den örtlichen Gegebenheiten passen. Vielleicht muss das Olweus-Programm kulturell etwas angepasst werden, um Kinder in den Vereinigten Staaten zu erreichen.
Es kommt auch auf die Dosierung an: Programme funktionieren besser, wenn sie umfassend und langfristig sind.
In manchen Fällen gelingt es Lehrkräften nicht, die Nulltoleranz durchzusetzen, oder sie sind selbst am Mobbing beteiligt. Wenn Lehrer:innen Mobbing als normalen Teil der Kindheit betrachten, neigen sie weniger dazu, aggressive Schüler:innen zurechtzuweisen, und Mobbing in der Schule nimmt zu. Ebenso neigen Kinder eher dazu, sich gegenseitig zu schikanieren, wenn sie beobachten, wie Lehrer:innen Schüler:innen schikanieren.
Möglicherweise scheitern also einige Anti-Mobbing-Programme daran, dass Lehrer:innen sich nicht an die Regeln halten oder nicht mit gutem Beispiel vorangehen.
Psychologische Besonderheiten von Mobber:innen
Was wir nicht vernachlässigen dürfen ist, dass wir uns besser mit den psychologischen Besonderheiten von Mobber:innen auseinandersetzen.
Manche Mobber:innen leiden an klinisch hohen Reiz- und Angstzuständen und unterstellen anderen schnell feindselige Absichten. Diese Kinder haben ein hohes Risiko, ernsthafte psychiatrische Erkrankungen zu entwickeln.
Andere Mobber:innen sind sozial geschickt, selbstbewusst und beliebt. Ihnen mangelt es an sozialer Kompetenz und Selbstwertgefühl. Aber sie können auch andere Probleme haben. Studien deuten darauf hin, dass sie häufiger als andere Kinder zynische, harte und skrupellose Überzeugungen vertreten.
Können gezieltere Interventionen Mobbing in der Schule reduzieren? Ich vermute ja.
Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/schule-jung-kinder-drinnen-7929430/