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Gewalt im Fernsehen: Was denken Kinder und Erwachsene?

by Lara

Studien legen nahe, dass sowohl Kinder als auch Erwachsene fröhlicher sind, wenn sie weniger gewalttätige Inhalte im Fernsehen sehen.

Die Sender bieten viel Gewalt im Fernsehen an und das gibt Anlass zur Sorge. Gewalt in den Medien kann bei kleinen Kindern zu Schlafproblemen führen. Außerdem besteht für Kinder ein höheres Risiko, Verhaltensprobleme zu entwickeln.

Befürworter/innen argumentieren, dass der Nutzen die Kosten weit übertrifft, denn die Zuschauer/innen wünschen sich gewalttätige Inhalte. Dadurch werden Geschichten fesselnd und unterhaltsam.

Doch stimmt das wirklich? Faszinierende Experimente legen das Gegenteil nahe. Schauen wir uns die Folgen von Gewalt im Fernsehen an und was geschieht, wenn wir sie reduzieren – oder gar vollständig entfernen.

Auswirkungen von Gewalt in den Medien

Das überrascht Eltern, die mit Problemen bei der Schlafenszeit zu kämpfen haben, nicht: Studien belegen, dass Kinder besser schlafen, wenn ihre Eltern darauf achten, welche Inhalte sie sehen und wenn sie weniger Gewalt ausgesetzt sind.

Sehen Kinder im Schulalter weniger Gewalt im Fernsehen, schlafen sie tendenziell besser.

Und wenn die Eltern von Kindergartenkindern gewalttätige Medieninhalte durch soziale Alternativen (wie Dora und Coco, der neugierige Affe) ersetzt haben, hatten die Kinder weniger Schlafprobleme.

Es scheint also, dass Gewalt im Fernsehen den Schlaf beeinträchtigen kann. Was ist mit dem Verhalten der Kinder im Wachzustand? Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass die Zeit, die ein Kind mit gewalttätigen Fernsehsendungen verbringt, das Auftreten von Verhaltensproblemen vorhersagt.

  • In einer Studie zeigte sich, dass Kinder, die im Alter von 4 Jahren häufiger Gewalt im Fernsehen sahen, ein geringes, aber statistisch signifikant erhöhtes Risiko hatten, in der zweiten Klasse emotionale Probleme und schlechtere schulische Leistungen zu zeigen. Dies galt auch, wenn man die bereits vorhandenen Merkmale des Kindes und der Familie, wie z. B. die Aggressivität des Kindes, berücksichtigte.
  • In einer Studie mit älteren Kindern – Fünftklässler/innen – wurde festgestellt, dass „die von den Kindern berichtete Mediengewalt mit körperlicher Aggression verbunden war“, selbst wenn andere entscheidende Aspekte wie der sozioökonomische Status, die Gewalterfahrung in der Familie und in der Gemeinschaft sowie mögliche psychische Symptome des Kindes berücksichtigt wurden.
  • In jüngerer Zeit haben Forscher/innen in den USA und Singapur Kinder bis zu 24 Monate lang beobachtet, wie sich ihre Einstellungen und ihr Verhalten im Laufe der Zeit verändert haben. Kinder, die stärker mit gewalttätigen Medieninhalten – aus dem Fernsehen und aus Videospielen – konfrontiert waren, entwickelten mit größerer Wahrscheinlichkeit normative Überzeugungen über Aggression. Diese Überzeugungen wiederum sagten die Entstehung körperlicher Aggression voraus.

Der Zusammenhang zwischen Inhalten und Verhalten spiegelt also mehr wider als nur die Tendenz aggressiver Kinder, sich gewalttätige Inhalte auszusuchen. In vielen Fällen scheint die Beschäftigung mit Gewalt im Fernsehen den Veränderungen in der Einstellung und im Verhalten vorauszugehen.

Können wir aggressive Tendenzen verhindern?

Als Dimitri Christakis und seine Kollegen eine zufällig ausgewählte Gruppe von Eltern baten, gewaltfreie, lehrreiche Fernsehsendungen (z. B. Sesamstraße, Dora) gegen die gewalttätigen Sendungen auszutauschen, die ihre Vorschulkinder gewöhnlich sahen, zeigten die Kinder sechs Monate später weniger Verhaltensprobleme und eine höhere soziale Kompetenz.

Die Auswirkungen waren gering, doch das galt auch für die Intervention.

Im Vergleich zu den Eltern der Kontrollgruppe reduzierten die Eltern, die die Sehgewohnheiten ihrer Kinder änderten, die tägliche Bildschirmzeit mit gewalttätigen Inhalten um nur 7,5 Minuten.

Hätten drastischere Veränderungen einen deutlicheren Effekt gehabt? Zukünftige Studien werden diese Frage möglicherweise aufklären.

Inzwischen sollten wir uns fragen, welchen Sinn Gewalt in der Unterhaltung für junge Zuschauer/innen hat. Es ist verständlich, dass sich Kinder, genau wie Erwachsene, für Geschichten interessieren, in denen es zu Konflikten zwischen Charakteren kommt. Konflikte sind ein wesentlicher Bestandteil des Geschichtenerzählens und als soziale Wesen sind wir von Natur aus daran interessiert, wie sich Konflikte entwickeln.

Doch macht Gewalt eine Geschichte ansprechender? Bevorzugen Kinder gewalttätige Inhalte?

Darauf liefern Forscher/innen eine überraschende Antwort:

Entfernt man Gewalt aus einer Geschichte, gefällt sie Kindern trotzdem. Es ist sogar möglich, dass sie ihnen besser gefällt.

Beweise dafür, dass sie Geschichten mit weniger gewalttätigen Inhalten bevorzugen

Der Effekt wurde zuerst bei Erwachsenen dokumentiert. In einer Studie bearbeiteten Andrew Weaver und Barbara Wilson eine Reihe von beliebten Fernsehsendungen zur Prime Time und bearbeiteten sie. Das Ergebnis waren drei Fassungen jeder Episode:

  • die Originalversion mit Gewaltdarstellungen (ohne Bearbeitung),
  • eine Variante mit entschärfter Gewalt (leicht bearbeitet), und
  • eine Fassung ohne Gewalt (stark bearbeitet).

Die Forscherinnen und Forscher wiesen den Zuschauern nach dem Zufallsprinzip verschiedene Versionen der Sendung zu und baten sie anschließend, zu bewerten, wie gut es ihnen gefallen hat.

Die Ergebnisse?

Gewalt im Fernsehen steigerte den Unterhaltungswert nicht.

Als die Forscher/innen die Menge an Gewalt in den Episoden berücksichtigten, stellten sie fest, dass die Zuschauer die Version mit dem geringsten Anteil an Gewalt tatsächlich bevorzugten.

Und das galt für alle. Männer, Frauen, aggressive Menschen – sogar Menschen, die Nervenkitzel lieben. Und als Weaver eine Folgeuntersuchung durchführte, kam er zu ähnlichen Ergebnissen. Obwohl Menschen im Voraus eher gewalthaltige Sendungen verlangten, steigerte das Betrachten von Gewalt nicht die Begeisterung. Die Menschen genossen die gewaltfreien Episoden mehr.

Woran liegt das?

Gewalt könnte uns zum Zuschauen zwingen – das Phänomen „Ich kann nicht anders, als mir das Zugunglück anzuschauen“. Doch man muss nicht unbedingt Gewalt zeigen, um Action, Aufregung, Konflikte oder Spannung zu erzeugen. Und Gewalt kann uns die Freude an einer Geschichte rauben.

Unser Einfühlungsvermögen für die Opfer könnte uns verärgern. Oder wir fühlen uns entfremdet: Wenn sich die Hauptfigur gewalttätig verhält, können wir uns schwerer mit ihr identifizieren. Dadurch fühlen wir uns weniger mit dem Protagonisten verbunden und haben weniger Spaß an der Geschichte.

Reagieren Kinder ähnlich? Weaver ist Assistenzprofessorin für Kommunikation an der Indiana University und leitete ein Experiment, um das herauszufinden.

Weaver und ihre Kolleg/innen begannen damit, einen 5-minütigen Slapstick-Cartoon zu erstellen. Darin malt eine Figur namens „Orangehead“ ein Bild für einen Kunstwettbewerb. Eggle, der Bösewicht, versucht, das Bild zu stehlen. Aber der Bösewicht scheitert und Orangeheads Bild gewann den ersten Preis.

Diese Geschichte wurde später bearbeitet, um vier Varianten zu erstellen, die sich in der Menge an Action und Gewalt unterscheiden:

  • Wenig Action, gewaltfrei
  • Wenig Action, gewalttätig
  • Hohe Action, gewaltfrei
  • Hohe Action, gewalttätig

Der Gewaltanteil bestand aus körperlichen Auseinandersetzungen zwischen den Hauptfiguren, z. B. Schlägen und Tritten. In jedem Fall begann der Bösewicht mit der Gewalt und der Protagonist reagierte genauso.

Das Ausmaß der Action wurde durch die Beschleunigung des Tempos und die Intensität der Handlungen beeinflusst. In den actiongeladenen Versionen des Zeichentrickfilms rannten die Figuren statt zu gehen.

Für den eigentlichen Test ließen Weaver und sein Team 128 vierjährige amerikanische Kindergartenkinder nach dem Zufallsprinzip einen der Zeichentrickfilme sehen. Unmittelbar danach wurde jede/r Schüler/in von einem Interviewer befragt.

Was sagten die Kinder?

Es gab einige Unterschiede je nach Geschlecht. Die Jungs mochten Zeichentrickfilme mit mehr Action. Den Mädchen war es egal. Und die Jungen identifizierten sich stärker mit dem (offensichtlich männlichen) Protagonisten.

Doch wenn es um Gewalt ging, stimmten beide Geschlechter überein:

Die Kinder mochten die Zeichentrickfilme mit Gewalt nicht lieber als die ohne Gewalt.

Den Jungen gefielen die gewalttätigen Darstellungen sogar weniger, vielleicht weil sie sich weniger mit einem gewalttätigen Protagonisten identifizieren konnten.

Sind diese Ergebnisse auf die Unterhaltungswelt übertragbar?

Diese Darstellungen haben nicht den Produktionswert eines erfolgreichen Zeichentrickfilms und die Gewaltszenen sind nicht besonders auffällig oder raffiniert. Möglicherweise reagieren Kinder anders auf eine Live-Show ausgefallener Kampfsportarten.

Doch Weavers Studie mit Erwachsenen – und andere Untersuchungen zur Gewalt im Fernsehen – bestätigen die allgemeine Schlussfolgerung: Wenn man Action und andere Elemente der Unterhaltung berücksichtigt, sehen sich Kinder genauso gerne gewaltfreie Sendungen an.

Das ist paradox, wenn man die Vorgeschichte des Kinderfernsehens betrachtet.


Kinderprogramme weisen einen höheren Anteil an Gewalt auf als Programme für Erwachsene

Als die Forscher/innen Barbara J. Wilson und ihre Kolleg/innen das amerikanische Fernsehen der 1990er Jahre untersuchten, stellten sie fest, dass Kindersendungen in gewisser Weise gewalttätiger waren als Sendungen für Erwachsene. Ein größerer Anteil der Sendungen mit gewalttätigen Inhalten (69 % gegenüber 57 %) und eine höhere Rate an Gewalt zwischen den Charakteren (2,7 Vorfälle pro Stunde gegenüber 6,5 Vorfällen pro Stunde) sind in Kindersendungen zu finden.

Außerdem handelte es sich dabei nicht um belanglose Konflikte. Mehr als die Hälfte der gewalttätigen Vorfälle in Kindersendungen wurden von den Forscher/innen als „lebensbedrohlich“ eingestuft.

Hat sich das seit den 1990er Jahren geändert? Das ist schwierig zu beurteilen, denn (Stand 2017) ich habe noch keine Folgestudien zum Fernsehen in den Vereinigten Staaten gefunden. Doch als Forscher/innen den gewalttätigen Inhalt von Hollywood-Filmen analysierten, die zwischen 1937 und 2013 veröffentlicht wurden, stellten sie fest, dass Filme, die sich an Kinder richten, tatsächlich öfter Tod und Mord zeigen als Filme für Erwachsene.

Spekulationen zu Gewalt

Warum schaffen Erwachsene so viele gewalttätige Inhalte für Kinder? Vielleicht gehen Autor/innen und Produzent/innen davon aus, dass sie ohne gewalttätige Handlungen keine Zuschauer/innen haben. In dem Fall könnte die neue Studie dazu beitragen, ihre Meinung zu ändern.

Doch ich vermute, dass noch mehr dahintersteckt. Vielleicht ist es einfacher, Geschichten zu schreiben, die Gewalt einsetzen, um die Handlung voranzutreiben.

Und wie der Ethnologe David Lancy erzählt: Erwachsene auf der ganzen Welt haben oft gewalttätige Geschichten verwendet, um Kinder zu erschrecken, damit sie sich anständig benehmen.

Solche Geschichten mögen unterhaltsam sein, doch wahrscheinlich wurden sie nicht in erster Linie zum Vergnügen der Kinder entwickelt. Sie verfolgen eine gesellschaftliche Agenda.

Das erinnert mich an die Forschung über Gewalt in der Realität. Häufige körperliche Züchtigung von Kindern ist in Ländern mit vielen Kriegen, wenig Demokratie und/oder starker sozialer Spaltung weit verbreitet.

Werden Kinder durch körperliche Züchtigung dazu trainiert, Hierarchien und autoritäre Regierungen zu akzeptieren? Und könnte Gewalt im Fernsehen eine ähnliche Rolle bei der Sozialisierung spielen?

Ich stelle mir die Frage, was Kinder aus Geschichten mitnehmen, in denen der Protagonist Gewalt vermeidet und seinen Gegner überlistet.

Einige der beliebtesten Märchen erzählen vom Sieg der Weisheit über die bloße Gewalt: Die Geschichten über List von Meister Lampe, Anansi die Spinne, Coyote, Loki, der japanischen Kitsune oder Reineke Fuchs.

Und gerade bei den Jägern und Sammlern, den vielleicht individualistischsten und gleichberechtigtsten Menschen der Welt, sind diese Geschichten sehr beliebt.

Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/schemel-kreativ-madchen-mauer-4740522/

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