Worüber denken Babys nach?

In den ersten Wochen nach der Geburt scheint es, als ob dein Baby kaum etwas anderes tut, als zu schlafen, zu weinen und zu trinken. Doch Studien zeigen, dass viel mehr vor sich geht. Das Gehirn von Neugeborenen ist mit der Verarbeitung von Informationen, der Suche nach Strukturen und dem Lernen beschäftigt.

Hier ist ein faszinierender Einblick in die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten von Neugeborenen, der fünf wichtige Themenbereiche abdeckt:

  • wie Neugeborene deine Stimme (und auch bestimmte Musik) erkennen können;
  • was Neugeborene über Sprache lernen;
  • das besondere Interesse, das Babys an Bewegungen und Gesichtern zeigen;
  • die kognitive Entwicklung von Babys und die räumliche Wahrnehmung; und
  • Hinweise darauf, dass Neugeborene im Schlaf lernen.

1. Erkennung von Stimmen

Schon vor der Geburt fangen Babys an, auf Geräusche zu achten. Und Neugeborene können vertraute Stimmen und Melodien erkennen!

Gegen Ende der Schwangerschaft achten Babys bereits auf die Geräusche, die sie hören. Woher wir das wissen? Durch Ultraschall.

In einer Reihe von Studien haben Forscherinnen und Forscher mit Ultraschall untersucht, wie Babys reagieren, wenn sie ein bestimmtes Geräusch hören. Wenn Säuglinge zum Beispiel hören, dass ihre Eltern sprechen, werden sie vorübergehend „ruhig“ und verlangsamen ihre Bewegungen für einige Sekunden.

Auch die Herzfrequenz kann sich kurzzeitig verändern, was darauf hindeutet, dass sie die Geräusche, die sie hören, wahrnehmen oder verarbeiten.

Babys verhalten sich also so, als ob sie zuhören würden. Lernen sie dabei etwas? Ja.

Neugeborene können die Stimmen ihrer Mutter erkennen.

In Experimenten, die bereits 12 Stunden nach der Geburt durchgeführt wurden, haben Forscher/innen den Babys ein und dieselbe Geschichte von Dr. Seuss vorgespielt. Allerdings hörte jedes Baby zwei Versionen der Geschichte: Die eine wurde von einer fremden Frau erzählt, die andere von der eigenen Mutter des Babys.

Konnten die Babys diese Stimmen unterscheiden? Hatten sie irgendwelche Bevorzugungen?

Das wollten die Forscher/innen wissen und gaben den Babys die Möglichkeit, die Audiowiedergabe zu starten und zu stoppen.

Jedes Baby bekam einen Schnuller, an dem es nuckeln konnte. Wenn ein Baby eine Stimme weiter hören wollte, musste es nur weiter nuckeln.

Um eine Geschichte zu stoppen, mussten die Babys das Nuckeln für zwei Sekunden oder länger unterbrechen.

Wie zu erwarten, brauchten die Babys ein paar Minuten, um das zu verstehen, aber dann zeigten sie eine klare Tendenz: Sie verbrachten mehr Zeit damit, ihrer Mutter zuzuhören.

Neugeborene können auch Melodien erkennen.

In einer Studie baten Forscher/innen schwangere Frauen, sich mehrmals am Tag Aufnahmen des Liedes „Twinkle, Twinkle, Little Star“ anzuhören.

Die Frauen spielten die Musik mit einer Lautstärke ab, die mit der von jemandem vergleichbar ist, der etwa einen Meter von ihrem Bauch entfernt singt. Das durchschnittliche Baby hörte die Melodie vor der Geburt etwa 170 Mal.

Kurz nach der Geburt spielten die Forscher/innen den Babys noch einmal dieses Lied vor und maßen die elektrische Aktivität in den Gehirnen der Neugeborenen.

Zudem testeten die Forscher/innen eine Kontrollgruppe – Neugeborene, die keine Musik während der Schwangerschaft gehört hatten.

Die Ergebnisse? Die „Twinkle, Twinkle“-Babys zeigten Anzeichen dafür, dass sie mit der Melodie vertraut waren. Bei den Babys der Kontrollgruppe war das nicht der Fall.

Das deckt sich mit früheren Beobachtungsstudien – Untersuchungen, die zeigen, dass Neugeborene die Titelsongs der Lieblingssendungen ihrer Mütter erkennen können.

2. Sprachlernen von Neugeborenen

Ein Fötus kann in der letzten Phase der Schwangerschaft viel Gesprochenes mitbekommen. Nach seiner Geburt hört das Baby sogar noch mehr. Was, falls überhaupt etwas, weiß ein Neugeborenes also über Sprache? Mehr als du vielleicht denkst.

Neugeborene können den Unterschied zwischen der Muttersprache und einer Fremdsprache erkennen.

In einer Studie, bei der die Schnullertechnik zum Einsatz kam, legten Christine Moon und ihre Kolleg/innen 80 Neugeborenen Aufnahmen von verschiedenen Vokallauten vor.

Die Hälfte der Babys lebte in Schweden und kam aus Haushalten, in denen ausschließlich Schwedisch gesprochen wurde. Die andere Hälfte waren amerikanische Babys aus Haushalten, in denen nur Englisch gesprochen wurde.

Alle Neugeborenen – die etwa 33 Stunden alt waren – hörten Playbacks von Vokallauten aus zwei Sprachen: Schwedisch und Englisch. Und auch hier konnten die Babys kontrollieren, was sie hörten, indem sie an einem Schnuller saugten. Wenn ein Baby weiter nuckelte, hörte es denselben Vokal immer wieder. Wenn ein Baby aufhörte zu saugen, wurde ein neuer Vokal abgespielt.

Auf diese Weise konnten die Forscher/innen feststellen, ob die Babys zwischen Vokallauten unterscheiden konnten. Durch wiederholtes Saugen drückte ein Baby aus: „Das klingt spannend. Lass es mich noch einmal hören.“

Als Moon und ihr Team die Ergebnisse analysierten, stellten sie fest, dass die Babys in beiden Ländern mehr an ihren Schnullern nuckelten, wenn sie fremde Vokallaute hörten. Es war, als ob die Babys etwas Ungewöhnliches bemerkten und es erforschen wollten. Die Neugeborenen schienen motiviert zu sein, sich neuen Sprachen auszusetzen.

Neugeborene können einzelne Wörter aus einem Redeschwall erkennen.

Auf einer Seite in einem Buch ist es leicht, einzelne Wörter zu erkennen. Sie sind durch einen Abstand voneinander getrennt. Aber gesprochene Sprache ist anders. Sie ist oft ein kontinuierlicher Strom von Geräuschen, ohne offensichtliche Grenzen zwischen den Wörtern.

Jeder, der versucht, eine neue Sprache zu lernen, steht also vor einer großen Herausforderung. Wo hört ein Wort auf und wo fängt ein anderes an?

Erstaunlicherweise hat es den Anschein, dass Babys sich bereits wenige Tage nach ihrer Geburt mit diesem Problem auseinandersetzen.

In einer kürzlich durchgeführten Studie, bei der das Gehirn mit einer speziellen Technologie untersucht wurde, fanden Forscher/innen heraus, dass 3 Tage alte Babys einzelne Wörter aus einem kontinuierlichen Sprachstrom herausfiltern können.

Wie haben es die Babys geschafft? Die Forscher/innen halten zwei Methoden für naheliegend.

Erstens nutzen Neugeborene wahrscheinlich die Klangfarben und die Melodie der Sprache. Wir markieren Wörter zum Beispiel manchmal durch einen veränderten Tonfall. Neugeborene scheinen dies als Anhaltspunkt zu nutzen, um Wortgrenzen zu erkennen.

Zweitens scheinen Neugeborene auch logische Zusammenhänge zu erkennen – sie verfolgen allgemeine Muster in der Art und Weise, wie eine Sprache Laute zu Wörtern kombiniert. Mit genügend Informationen kann ein Baby, das Englisch hört, zum Beispiel feststellen, dass die meisten Wörter mit Konsonanten enden.

Also lassen Neugeborene die Sprache nicht einfach auf sich wirken. Ihre Gehirne versuchen, sie zu verstehen. Und sie tun noch etwas anderes, das ihnen beim Lernen hilft…

Neugeborene schenken uns besondere Aufmerksamkeit, wenn wir mit ihnen in einer langsamen, sich wiederholenden, melodischen Tonlage sprechen, die als “ Babysprache“ bekannt ist.

Das erleben Eltern auf der ganzen Welt: Wir ändern automatisch unser Sprachverhalten, wenn wir ein Baby ansprechen.

Experimente zeigen, dass Babys diese besondere Art der Kommunikation bevorzugen, und zwar aus gutem Grund. Es ist schwieriger, die Sprache zu verstehen, wenn sie schnell und eintönig ist. Wenn wir melodisch sprechen – also unsere Tonlage wechseln – erregt das die Aufmerksamkeit des Neugeborenen und hilft ihm, unsere Gefühle zu verstehen. Sprechen wir langsamer und wiederholen Schlüsselwörter, hilft das Babys, die Sprache zu entschlüsseln.

3. Die visuelle Wahrnehmung von Neugeborenen

Neugeborene sind damit beschäftigt, die visuelle Welt zu entschlüsseln.

Sie können noch nicht gut sehen. Ihre Sicht ist verschwommen und sie haben noch keine gute Tiefenwahrnehmung entwickelt.

Trotzdem sind Neugeborene sehr an ihrer Umgebung interessiert – besonders an Dingen, die auf Bewegungen von Lebewesen hindeuten.

Zeigst du Neugeborenen zum Beispiel einen Haufen von sich bewegenden Lichtpunkten, hängt ihre Aufmerksamkeit davon ab, wie sich die Punkte bewegen.

Bewegt sich jeder Punkt auf seine eigene, willkürliche Art und Weise, ist das Interesse der Babys geringer. Wenn sich alle Punkte zusammen in die gleiche Richtung bewegen (Wissenschaftler/innen nennen das “ dynamische Punkt-Licht-Bewegung“), werden Neugeborene wirklich aufmerksam.

Das scheint eine effektive Faustformel zur Identifizierung von Lebewesen zu sein: Achte auf die Dinge, die sich als Einheit bewegen.

Es ist auch klar, dass neugeborene Babys besonders auf Gesichter achten. Und sie können schnell lernen, ein Gesicht von einem anderen zu unterscheiden.

In einem Experiment waren Neugeborene in der Lage, ein bestimmtes Gesicht nach nur 90 Sekunden zu erkennen!

Erkennen Neugeborene die Gesichter ihrer Eltern? Aber sicher.

4. Räumliche Wahnehmung von Neugeborenen

Neugeborene zeigen bemerkenswerte räumliche Wahrnehmungen: Fasse ich etwas an, weiß ich, wie es aussieht.

Es gibt etwas in der Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten von Neugeborenen, das die Wissenschaft noch nicht erklären kann: Neugeborene können durch das Berühren und Ertasten herausfinden, wie ein ungesehenes Objekt aussieht.

Um zu verstehen, was ich meine, schau dir dieses Experiment an, das von Arlette Streri und ihren Kolleg/innen entwickelt wurde.

  1. Gib einem Neugeborenen eine dreidimensionale Form in die Hand und achte darauf, dass das Baby diese nicht sieht.
  2. Sobald das Baby das Objekt fallen lässt, legst du es wieder in seine Hand. Wiederhole den Vorgang mehrere Male, damit das Baby ausreichend Gelegenheit hat, sich mit dem Gegenstand vertraut zu machen, wie dieser sich anfühlt.
  3. Sobald das Baby mit den Eigenschaften des Gegenstandes vertraut ist, kannst du die visuelle Wahrnehmung des Kindes überprüfen: Zeig dem Baby zwei Gegenstände, von denen nur einer mit dem Gegenstand übereinstimmt, den das Baby hielt. Anschließend wird gemessen, wie viel Zeit das Baby damit verbringt, den jeweiligen Gegenstand zu betrachten.

Als Streri und ihre Kolleg/innen dies taten, stellten sie fest, dass Neugeborene die Form, die sie zuvor nicht berührt hatten, länger ansahen, als ob sie den anderen bereits kennen würden (und deshalb weniger interessiert wären).

Zudem zeigten die Neugeborenen diese Neigung, obwohl die visuellen Reize viel größere Varianten der Gegenstände waren, die sie zuvor angefasst hatten. Die Neugeborenen waren also nicht nur mit den Objekten vertraut, die sie in der Hand hatten. Sie hatten sich auch mit ihren Formen vertraut gemacht.

Ähnliche Experimente zeigen, dass Neugeborene vorhersehen können, wie verschiedene Oberflächen aussehen. Wenn sie einen (ungesehenen) Gegenstand mit einer holprigen Oberfläche anfassen, tun sie später so, als ob sie mit dem Aussehen dieser Oberfläche vertraut wären.

Das Gehirn Neugeborener weiß also auch ohne Übung, wie es ertastete Informationen in visuelle Informationen umwandeln kann. Die Verfasser dieser Studien kommen zu dem Schluss, dass „Neugeborene in der Lage sind, Informationen über die Form eines Gegenstands vom Tastsinn auf das Sehen zu übertragen, bevor sie die Gelegenheit hatten, die Verknüpfung zwischen visuellen und taktilen Erfahrungen zu lernen“.

5. Wie Neugeborene im Schlaf lernen

Zu Beginn dieses Artikels wurde erwähnt, dass Neugeborene die meiste Zeit im Schlaf verbringen. Aber das Gehirn von Neugeborenen schaltet sich während des Schlafs nicht ab. Im Gegenteil: Neugeborene können aus den Geräuschen und Wahrnehmungen lernen, die sie im Schlaf erleben.

Forscher/innen haben zum Beispiel, schlafenden Neugeborenen Luft auf die Augenlider gepustet. Dadurch zuckte die Gesichtsmuskulatur der Babys, aber das Spannende daran war, dass die Babys lernten, sich darauf einzustellen.

Vor jedem Luftstoß ließen die Forscher/innen einen kurzen Ton erklingen. Und nach wiederholten Tests begannen die Neugeborenen als Reaktion auf den Ton selbst zu zucken.

Das deutet darauf hin, dass Neugeborene ihre Schlafumgebung wahrnehmen, was Sinn macht, wenn man bedenkt, dass sich menschliche Babys als Gemeinschaftsschläfer entwickelt haben.

In Kulturen auf der ganzen Welt haben Babys mit ihren Müttern auf dem Boden geschlafen – in Armeslänge. Babys und Mütter mussten ihre Bewegungen zum Stillen, zur Sicherheit und zur Temperaturregulierung aufeinander abstimmen. Die Fähigkeit, Geräusche im Schlaf wahrzunehmen und darauf zu reagieren, ist also sehr hilfreich.

Aber wie sieht es mit anderen Arten des Lernens aus – zum Beispiel mit dem Erlernen von Sprache? Hören uns schlafende Neugeborene, wenn wir sprechen? Verarbeiten ihre Gehirne die Informationen?

Auch hier lautet die Antwort: Ja. Studien zeigen zum Beispiel, dass Neugeborene lernen können, zwischen verschiedenen Lauten zu unterscheiden, während sie schlafen.

Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/baby-liegend-in-der-nahe-von-hund-pluschtier-428388/

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