Die Wissenschaft bestätigt viele unserer Vermutungen über die kognitiven Vorteile des Spielens. Spielerisches Verhalten hat offensichtlich gute Auswirkungen auf das Gehirn und auf die Lernfähigkeit von Kindern. Tatsächlich kann das Spiel ein wichtiger, wenn nicht sogar ausschlaggebender Faktor für das Lernen sein.
Möchtest du Genaueres wissen? Hier einige Beispiele.
Tierversuche: Spielen verbessert das Erinnerungsvermögen und regt das Wachstum der Großhirnrinde an
1964 veröffentlichten Marion Diamond und ihre Kolleg/innen eine aufregende Studie über das Gehirnwachstum bei Ratten. Die Hirnforscher/innen hatten ein richtungweisendes Experiment durchgeführt. Bei dem hielten sie einige Ratten in langweiliger Einzelhaltung und andere in aufregenden, mit Spielzeug gefüllten Kolonien.
Als die Forscher/innen die Gehirne der Ratten untersuchten, stellten sie fest, dass die „reichen“ Ratten dickere Großhirnrinden hatten als die „armen“ Ratten.
Spätere Untersuchungen bestätigten diese Ergebnisse: Ratten, die in einer anregenden Umgebung aufwuchsen, hatten größere Gehirne. Sie waren auch schlauer – sie konnten sich schneller in einem Labyrinth zurechtfinden.
Gelten diese Vorteile des Spiels auch für Menschen? Aus ethischen Gründen können wir keine ähnlichen Experimente mit Kindern durchführen. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass das menschliche Gehirn ähnlich auf Spiel und Erkundung reagiert.
Spiel und Erkundung lösen die Ausschüttung von BDNF aus, einer Substanz, die für das Wachstum von Gehirnzellen unerlässlich ist
Auch hier hat noch niemand einen akzeptablen Weg gefunden, dies an Menschen zu testen, daher stammen die Erkenntnisse von Ratten. Nach einer Runde Rumtoben zeigen Ratten erhöhte Werte des neurotrophen Faktors (BDNF) in ihren Gehirnen.
BDNF ist wichtig für das Wachstum und die Erhaltung von Gehirnzellen. Der BDNF-Spiegel erhöht sich zudem, wenn die Ratten spielen dürfen.
Kinder konzentrieren sich besser bei schulischen Aufgaben, wenn sie häufig und für kurze Zeit Gelegenheit zum eigenständigen Spielen erhalten
Mehrere experimentelle Studien zeigen, dass Schulkinder nach einer Pause mehr Aufmerksamkeit für akademische Aufgaben aufbringen – einer unstrukturierten Pause, in der die Kinder frei und ohne Anleitung von Erwachsenen spielen können.
Es gibt auch einige Indizien dafür: Chinesische und japanische Schüler/innen, die zu den leistungsstärksten der Welt gehören, besuchen Schulen, die im Abstand von 50 Minuten kurze Pausen einlegen.
Beachte, dass der Sportunterricht kein effektiver Ersatz für freies Spielen ist.
Wie ich bereits an anderer Stelle erwähnt habe, hat körperliche Betätigung an sich wichtige kognitive Vorteile. Aber der Sportunterricht bietet nicht dieselben Vorteile wie Pausen. Forscherinnen und Forscher vermuten, dass das daran liegt, dass der Sportunterricht zu strukturiert ist und sich zu sehr auf die Regeln der Erwachsenen stützt. Um alle Vorteile des Spiels zu nutzen, muss eine Pause wirklich spielerisch sein.
Wie lang sollte die Pause sein? Niemand weiß das genau, aber es gibt einige Hinweise darauf, dass Pausen zwischen 10 und 30 Minuten dauern sollten. In einer kleinen Studie mit 4-5-Jährigen fanden Forscher/innen heraus, dass Pausen von 10 oder 20 Minuten die Aufmerksamkeit im Klassenzimmer erhöhen. Pausen, die länger als 30 Minuten dauern, hatten den entgegengesetzten Effekt.
Spielen beeinflusst Sprachkentnisse
Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen dem Spielen – vor allem dem bildhaften Spiel – und der Entwicklung von Sprachkenntnissen. Ein Beispiel:
Der Psychologe Edward Fisher analysierte 46 veröffentlichte Studien über die kognitiven Vorzüge des Spielens. Er fand heraus, dass „sozio-dramatisches Spiel“ – also das, was passiert, wenn Kinder zusammen spielen – „zu besseren Leistungen sowohl im kognitiv-sprachlichen als auch im emotional-sozialen Bereich führt.“
Außerdem wurde in einer Studie mit britischen Kindern im Alter von 1 bis 6 Jahren die Fähigkeit der Kinder zum symbolischen Spiel gemessen. Die Kinder wurden gebeten, symbolische Aufgaben zu lösen, z. B. einen Teddybären anstelle eines fehlenden Objekts einzusetzen.
Die Forscherinnen und Forscher fanden heraus, dass Kinder, die beim Test des symbolischen Spiels besser abschnitten, auch über bessere Sprachkenntnisse verfügten – sowohl in der sprachlichen Wahrnehmung (was ein Kind versteht) als auch in der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit (die Worte, die es spricht). Diese Ergebnisse blieben auch dann bedeutsam, wenn man das Alter des Kindes berücksichtigte.
Neuere Forschungen legen auch nahe, dass das Spielen mit Bauklötzen zur Sprachentwicklung beiträgt.
Es gibt Hinweise darauf, dass Spielen kreative Lösungen für Probleme fördert
Psychologen unterscheiden zwei Arten von Problemen – konvergente und divergente. Ein konvergentes Problem hat eine einzige richtige Lösung oder Antwort. Ein divergentes Problem lässt sich auf mehrere Arten lösen.
Einige Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Art und Weise, wie Kinder spielen, zu ihrer Fähigkeit beiträgt, divergente Probleme zu lösen.
In einem Experiment gaben die Forscher/innen Kindergartenkindern zwei Arten von Spielzeug in die Hand. Einige Kinder bekamen Materialien für konvergentes Spiel (z. B. Puzzleteile). Andere Kinder bekamen Materialien für divergentes Spiel (Blöcke). Die Kinder bekamen Zeit zum Spielen und wurden dann auf ihre Fähigkeit, Probleme zu lösen, getestet.
Die Ergebnisse? Kinder, die divergentes Spielmaterial bekamen, schnitten bei divergenten Aufgaben auch besser ab. Sie zeigten außerdem mehr Kreativität bei ihren Lösungsversuchen.
Eine andere Studie deutet auf einen Zusammenhang zwischen dem vorgetäuschten Spiel (auf das wir weiter unten näher eingehen) und der Fähigkeit, Probleme unterschiedlichster Art zu lösen, hin.
Kinder, die mit dem Training des simulierten Spiels beschäftigt waren, zeigten eine bessere Fähigkeit, divergente Probleme zu lösen, und auch das Gegenteil war der Fall: Kinder, die mit dem Training zum Lösen divergenter Probleme beschäftigt waren, zeigten eine höhere Wahrscheinlichkeit, simuliertes Spiel zu spielen.
Wie beeinflusst die Fantasie die kognitiven Fähigkeiten?
Fantasiespiele, Selbstregulation und Überlegungen zu möglichen Welten
Divergentes Problemlösen ist nicht die einzige kognitive Fähigkeit, die mit dem Fantasiespiel verbunden ist. Das Spiel mit der Fantasie wurde auch mit zwei wichtigen Fähigkeiten in Verbindung gebracht: der Fähigkeit zur Selbstkontrolle (Impulse, Gefühle, Aufmerksamkeit) und der Fähigkeit, kontrafaktische Überlegungen anzustellen.
Studien haben ergeben, dass Kinder, die häufig spielen, ihre Selbstkontrolle verbessern.
Obwohl noch weitere Forschung nötig ist, um festzustellen, ob es sich um einen ursächlichen Zusammenhang handelt, deuten die Daten auf diese Möglichkeit hin, und die Idee ist durchaus einleuchtend.
Du kannst nur dann mit einer anderen Person eine Situation nachspielen, wenn ihr euch einig seid, was ihr spielt. Die Spieler/innen müssen sich also an bestimmte Regeln halten, und das Üben, diese Regeln einzuhalten, könnte den Kindern helfen, mit der Zeit eine bessere Selbstkontrolle zu entwickeln.
Zweitens haben viele Forscherinnen und Forscher Ähnlichkeiten zwischen dem simulierten Spiel und dem kontrafaktischen Denken festgestellt, also der Fähigkeit, Rückschlüsse auf Ereignisse zu ziehen, die nicht tatsächlich stattgefunden haben.
Alison Gopnik und ihre Kolleginnen und Kollegen argumentieren, dass kontrafaktisches Denken uns beim Planen und Lernen hilft, indem es uns erlaubt, „Was wäre wenn“-Szenarien zu durchdenken. Das Spiel in der Vorstellungswelt nutzt dieselben Fähigkeiten. Vielleicht bietet das Spiel also Kindern wertvolle Möglichkeiten, ihr Denken über mögliche Welten zu verbessern.
Forscherinnen und Forscher fanden Beweise für einen Zusammenhang zwischen kontrafaktischem Denken und dem Spielen von Vorschulkindern. Dieser Zusammenhang blieb auch dann noch bestehen, wenn die Fähigkeit der Kinder, ihre Impulse zu unterdrücken, berücksichtigt wurde.
Die Vorteile des Spiels für mathematische Fähigkeiten
Hier ist eine faszinierende Geschichte über Spiel und Mathematik:
In einer Längsschnittstudie wurde die Komplexität des Klötzchenspiels von Kindern im Alter von 4 Jahren gemessen und dann ihre schulischen Leistungen bis zur Oberstufe verfolgt.
Die Forscher fanden heraus, dass die Komplexität des Klötzchenspiels die mathematischen Leistungen der Kinder in der Oberstufe vorhersagte. Diejenigen, die schon als Vorschulkinder mit Bauklötzen spielten, hatten bessere Noten in Mathematik und belegten als Teenager mehr Mathekurse (einschließlich Leistungskursen).
Diese Ergebnisse könnten uns lediglich zeigen, dass Kinder, die im Kindergarten schlau sind, auch in ihrer Schulzeit schlau sind.
Doch so einfach ist das nicht. Der Zusammenhang zwischen dem Blockspiel und den mathematischen Leistungen blieb auch dann bestehen, wenn die Forscher den IQ des Kindes berücksichtigten. Es scheint also plausibel, dass das Blockspiel selbst die kognitive Entwicklung dieser Kinder beeinflusst hat.
Beobachtungen durch den gesunden Menschenverstands bezüglich der Vorteile des Spielens: Spielerische Erfahrungen sind Lernerfahrungen
Damit niemand bezweifelt, dass Kinder durch Spielen lernen, sollten wir uns die folgenden Punkte vor Augen halten.
Punkt 1. Die meisten Spiele beinhalten Entdeckungen, und Entdeckungen sind per Definition ein Akt der Erforschung.
Es ist leicht einzusehen, dass dies auf eine/n angehende/n Wissenschaftler/in zutrifft, der mit Magneten spielt, aber es gilt auch für weit weniger intellektuelle Beschäftigungen, wie z. B. das wilde Spiel von Welpen. Die Tiere erproben soziale Beziehungen und lernen, ihre Impulse zu kontrollieren, damit das freundschaftliche Ringen nicht in Aggression umschlägt. Spielen ist Lernen.
Punkt 2. Spielen erfordert Eigeninitiative und macht Spaß.
Alles, was im Spiel gelernt wird, ist also Wissen, das ohne das Gefühl harter Arbeit erworben wird. Das steht im Gegensatz zu Aktivitäten, die wir als Pflichten wahrnehmen. Wenn das Lernen als mühsam empfunden wird, fühlt sich unsere Fähigkeit, konzentriert zu bleiben, wie eine begrenzte Ressource an, die mit der Zeit abnimmt. Und es ist schwer, einen Zustand des “ Fließens“ zu erreichen, die psychologische Erfahrung, völlig und mit Freude in das einzutauchen, was man gerade tut. Spielen hilft in diesen Zustand zu gelingen.
Punkt 3. Es gibt auch Hinweise dafür, dass Kinder das Spiel als Übung für die Bewältigung von Herausforderungen im echten Leben nutzen.
Auf der ganzen Welt spielen Kinder Dinge nach, die sie als Erwachsene beherrschen müssen, was darauf hindeutet, dass dieses Spiel eine Form der Übung ist.
Wenn Kinder während des Spiels mit Informationen versorgt werden – von Gleichaltrigen oder Erwachsenen die mehr Wissen – nehmen sie diese auf.
Experimente mit amerikanischen Vorschulkindern legen nahe, dass Kinder im Alter von 3 Jahren bereits zwischen realistischem und fantasievollem Spiel unterscheiden können und Informationen aus realistischen Szenarien nutzen, um ihre Umwelt zu verstehen.
Die Schlussfolgerung? Kindern Pausen zum Spielen zu gönnen und den Schulunterricht spielerisch zu gestalten, ist keine bloße Zierde. Es kann ein Weg sein, um die Fähigkeiten der Kinder zum konzentrierten, selbstbestimmten Lernen zu fördern.
Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/foto-von-kindern-die-mit-trockenen-blattern-spielen-1582736/