Eltern können Kindern helfen, sich von Stress zu erholen, indem sie ihnen körperliche Zuneigung und Zuspruch geben. Doch gibt es noch mehr was sie tun können? Vielleicht helfen sichere Bindungsbeziehungen Kindern auch dabei, die Fähigkeit zur selbstständigen Beruhigung zu entwickeln.
Die Auswirkungen elterlicher Fürsorge auf ihre Kinder
Was passiert, wenn du dein weinendes Baby tröstest? Wenn du Augenkontakt herstellst, dein Baby in liebevolle „Gespräche“ verwickelst und durch dein konsequentes Handeln zeigst, dass du ihm beistehst, wenn es sich sorgt oder Kummer hat?
Schon lange wissen wir, dass Babys bessere Aussichten im Leben haben, wenn Eltern einfühlsam und liebevoll auf sie eingehen. So entwickeln Kinder mit höherer Wahrscheinlichkeit sichere Bindungsbeziehungen – liebevolle, vertrauensvolle Beziehungen, die Selbstvertrauen und emotionale Gesundheit fördern.
Außerdem zeigen Studien, dass einfühlsame, liebevolle und aufmerksame Eltern ihre Kinder vor schädlichem Stress schützen, also vor der Art von Stress, die Krankheiten verursacht, die Funktionsweise der DNA verändert und das Wachstum des Gehirns beeinträchtigt.
Wie genau funktioniert das? Wenn du dein Kind umarmst oder ihm tröstende Worte sagst, ist das, als ob du einen Schalter betätigst? Einen magischen Schalter, der den Schmerz lindert, Mut macht und Stress abbaut?
Diese Beschreibung ist gar nicht so abwegig.
Die elterliche Fürsorge beruhigt ein Baby nicht nur. Es senkt auch das Stresslevel des Babys.
Babys scheinen weniger Schmerzen zu empfinden, wenn sie Hautkontakt mit einer Bezugsperson haben.
Babys, die mit vorgeburtlichen Risikofaktoren für die Entwicklung stressbedingter Krankheiten auf die Welt kommen, entwickeln sich erfolgreicher, wenn ihre Eltern ihnen viel körperliche Zuneigung schenken.
Studien belegen, dass auch ältere Kinder davon profitieren. So kann zum Beispiel ein kurzes, unterstützendes Telefonat mit einem fürsorglichen Elternteil den Cortisolspiegel eines ängstlichen Kindes senken.
Besonders faszinierend ist jedoch die Kraft der Erinnerung an Liebe.
Die Kraft der Liebe
Experimente mit Erwachsenen zeigen, dass allein der Gedanke an einen geliebten Menschen körperliche Schmerzen lindern kann. Und Studien deuten darauf hin, dass bestimmte Erinnerungen uns bei der Bewältigung von Stress helfen können. Sie können sogar Teile des Gehirns dämpfen, die uns ängstlich oder bedroht fühlen lassen.
Um zu sehen, was ich meine, schau dir eine Studie an, die von Luke Norman und seinen Kolleg:innen durchgeführt wurde. Die Forscher:innen baten 42 Studierende, sich eine Reihe von Fotos anzusehen, wobei die Bilder je nach Gruppenzugehörigkeit variierten:
- Die Studierenden in der Gruppe mit der Bedingung Bindungsbeziehung sahen Bilder von Menschen, die Zuneigung und Unterstützung füreinander zeigten – Bilder, die das Gehirn an sichere Bindungsbeziehungen erinnern.
- Die Studierenden in der Kontrollgruppe sahen nur Bilder von Gegenständen aus dem Haushalt.
Anschließend wurde jede:r Student:in in einen fMRT (funktionellen Magnetresonanztomographen) gelegt und gebeten, sich eine weitere Reihe von Bildern anzusehen.
Einige dieser Bilder zeigten emotional neutrale Inhalte, wie z. B. geometrische Formen. Doch in anderen Fällen waren die Motive so gestaltet, dass sie Menschen beunruhigten. Die Studierenden sahen Gesichter mit ängstlichen oder wütenden Ausdrücken.
Die Forscher:innen wussten bereits, dass solche Gesichter die Amygdala aktivieren, einen Teil des Gehirns, der auf die Erkennung von Bedrohungen spezialisiert ist und uns in einen Stresszustand versetzt. Die Frage betraf nun die Vorbereitung (Priming).
Würde der vorherige Kontakt mit diesen „Wohlfühl“-Bildern den Gefahrendetektor des Gehirns beeinflussen?
Die Antwort war ja. Im Vergleich zu den Studierenden der Kontrollgruppe war die Amygdala bei denjenigen, die an sichere Bindungsbeziehungen dachten, weniger aktiviert. Und das galt besonders für Personen mit Angstzuständen.
Selbstverständlich ist dies nur eine einzige Studie. Doch die Ergebnisse stehen im Einklang mit einer wachsenden Zahl von Belegen: Sichere Bindungsbeziehungen, haben eine Reihe von positiven Auswirkungen. Sie reduzieren physiologischen Stress. Die Leistung des Arbeitsgedächtnisses wird verbessert. Es kann sogar das kreative Lösen von Problemen fördern.
Erleben Kinder ähnliche positive Wirkungen? Es gibt Gründe, das anzunehmen.
Brandi Stupica und ihre Kolleg:innen haben die Auswirkungen der sicheren Bindungsbeziehung an 90 jungen Schulkindern (im Alter von 6 und 7 Jahren) getestet.
In dieser Studie wurden die Bilder der positiven sozialen Interaktion nur sehr kurz gezeigt – so kurz, dass die Kinder nicht einmal wussten, dass sie diese Bilder sahen.
Nachdem die Kinder diese unterschwelligen Bilder sahen, wurden ihnen eine Reihe von Bildern gezeigt, die sie verängstigen oder beunruhigen sollten.
Die Forscher:innen überwachten die körperliche Reaktion der Kinder auf Stress und verglichen die Ergebnisse mit denen einer Kontrollgruppe. Hatten die unterschwelligen „Wohlfühlbilder“ einen Einfluss? Ja. Die Kinder, denen die Bilder gezeigt wurden, hatten weniger Angst und Stress, und auch das Familienleben der Kinder spielte eine wichtige Rolle: Die Kinder mit der geringsten Reaktion auf Stress waren diejenigen, die eine sichere Bindungsbeziehung zu ihren Eltern hatten.
Das erklärt womöglich – zumindest zum Teil – die gesundheitlichen Vorteile, die Kinder haben, die mit sicheren Bindungsbeziehungen aufwachsen. Es ist nicht nur die unmittelbare Zuneigung, die zählt – die Momente, in denen ein Elternteil körperliche Zuneigung und emotionale Geborgenheit bietet. Vielleicht sind es auch die prägenden Erinnerungen, die diese Erfahrungen schaffen – Erinnerungen, die Kindern helfen, sich selbst zu beruhigen.
Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/liebe-menschen-frau-niedlich-3889822/