Wie können wir Kindern helfen, sich an eine frühere Schlafenszeit zu gewöhnen? Sonnenlicht am Morgen, Bewegung und andere umweltbedingte Signale helfen, die innere Uhr eines Kindes umzustellen. Doch um sicherzustellen, dass Kinder beim Schlafengehen auch müde genug sind um einzuschlafen, müssen wir zusätzliche Strategien nutzen.
Das Gesamtbild verstehen:
Vielleicht bleibt dein Kind zu lange wach. Eventuell willst du dein Kind aber auch auf einen neuen Tagesablauf vorbereiten.
Egal was deine genaue Situation auch sein mag, du stehst vor einer Herausforderung. Dein Kind schläft nachts nicht früh genug ein.
Der Versuch, die Sache zu erzwingen, ist kontraproduktiv. Man kann ein Kind nicht auf Kommando einschlafen lassen.
Schlaf wird von unserer inneren Uhr gesteuert – unserem Tagesrhythmus – und ein wichtiger Bestandteil dieses Prozesses ist das Hormon Melatonin.
Läuft alles gut, erleben wir nach Einbruch der Dunkelheit einen Anstieg des Melatoninspiegels. Dieser plötzliche Anstieg löst ein Gefühl der Müdigkeit aus und macht es uns leicht, einzuschlafen.
Doch der genaue Zeitpunkt variiert von Mensch zu Mensch, das gilt sowohl für Kinder als auch für Erwachsene. Was geschieht, wenn wir Kinder zum Schlafen zwingen, bevor ihr Gehirn den beschriebenen Melatoninanstieg erlebt?
Sie versagen. Das führt zu Konflikten und zu negativen Gefühlen. Die Forschung bestätigt, dass dies ein weit verbreitetes Problem ist, besonders bei kleinen Kindern. Diese Kinder können nicht einschlafen, und das ist nicht ihre Schuld. Ihr Tagesrhythmus ist nicht mit dem Zeitpunkt an dem sie Schlafengehen sollen synchronisiert.
Du könntest also annehmen, dass die Lösung darin besteht, die innere Uhr umzustellen, und damit liegst du nicht einmal völlig falsch.
Doch das ist eine unvollständige Lösung, denn der Tagesrhythmus ist nicht das Einzige, was den Schlaf beeinflusst.
Die innere Batterie
Der Mensch hat nämlich nicht bloß die innere Uhr. Wir haben auch eine innere „Batterie“.
Wenn wir nach einer erholsamen Nachtruhe aufwachen, fühlen wir uns erfrischt und wach. Es ist, als ob wir den Tag mit einer voll geladenen Batterie beginnen.
Doch je länger wir wach bleiben, desto mehr entleert sich diese Batterie. Wir verspüren einen immer stärkeren körperlichen Druck, zu schlafen.
Wenn wir endlich wieder dösen, beginnen wir, diesen „Schlafdruck“ zu verringern. Die Batterie beginnt sich wieder aufzuladen. Ein kurzes Nickerchen hilft, dieses schläfrige Gefühl für eine Weile zu vertreiben. Ein langes Nickerchen kann unseren Akku für viele Stunden wieder aufladen. Machen wir zu spät am Tag ein langes Nickerchen, kann es uns sehr schwer fallen, abends einzuschlafen – auch wenn unsere innere Uhr uns sagt, dass es schon spät ist.
Zusätzlich ist unser Gehirn auch nicht abhängig von diesen beiden Systemen – der inneren Uhr und Batterie. Eine rechtzeitige Ausschüttung von Melatonin und Schlafdruck sind keine Garantie dafür, dass man einschlafen kann.
Unser Gehirn ist auch mit einer Funktion ausgestattet, die uns wach hält, wenn wir ängstlich, gestresst oder anderweitig aufgebracht sind.
Was lösen solche Zustände nachts häufig aus? Einschlafprobleme
Nimmt man alle diese Punkte zusammen, wird klar, warum es keine gute Idee ist, Schlaf zu erzwingen.
Hinzu kommt, dass es nicht nur sinnlos und zwecklos ist Schlaf zu erzwingen. Gleichzeitig verursachen die Konflikte zur Schlafenszeit Stress und erschweren deinem Kind das einzuschlafen noch viel mehr. Außerdem solltest du auch die langfristigen Folgen bedenken.
Bei wiederholten nächtlichen Konflikten lernt dein Kind etwas völlig Verkehrtes. Statt zu lernen, dass deine Aufforderung zum Schlafengehen mit Ruhe und Schläfrigkeit zu tun haben, lernt es, das Schlafengehen mit Aufregung, Ärger oder Unruhe zu assoziieren.
Im Endeffekt trainierst du dein Kind damit, Gewohnheiten zu entwickeln, die schnell zu chronischer Schlaflosigkeit führen können.
Willst du also dein Kind an frühere Schlafenszeiten gewöhnen, musst du das große Ganze im Auge behalten. Du brauchst eine Strategie, die alle Faktoren der Schlafgewohnheiten deines Kindes berücksichtigt.
- Sorge dafür, dass das Schlafengehen nicht zu Konflikten führt.
- Stelle sicher, dass das Nickerchen am späten Nachmittag die „Batterie“ deines Kindes nicht auflädt.
- Nähere dich deinem Ziel stufenweise. Zunächst solltest du eine Schlafenszeit festlegen, die mit der inneren Uhr deines Kindes übereinstimmt. Verlange nicht, dass dein Kind ins Bett geht, bevor es müde ist.
Wenn du diese Vorarbeit geleistet hast, kannst du damit beginnen, die innere Uhr deines Kindes neu einzustellen. Nun der nächste Schritt.
Die Neuprogrammierung der inneren Uhr deines Kindes
Egal, ob wir Nachteulen oder Frühaufsteher sind – oder etwas dazwischen – wir alle haben die Fähigkeit, unseren Tagesrhythmus zu verändern.
Tatsächlich ist das zirkadiane System so aufgebaut, dass es auf genau diese Weise funktioniert. Wir können unsere innere Uhr umstellen, indem wir die richtigen Signale aus der Umwelt, sogenannte „Zeitgeber“, ausgesetzt sind. Was ist der stärkste Zeitgeber? Das Licht.
Möchtest du, dass dein Kind nachts früher einschläft, solltest du es dem hellen Tageslicht in den Morgenstunden aussetzen.
Was meine ich mit „hellem“ Licht? Die kurze Antwort lautet: mindestens 10.000 Lux.
Das ist viel heller als die typische Beleuchtung in deinem Zuhause. Wenn du zum Beispiel das Licht in deinem Wohnzimmer anschaltest, liegt die Lichtstärke wahrscheinlich bei weniger als 100 Lux.
Selbst an einem trüben, bewölkten Tag erreicht die Beleuchtungsstärke im Freien wahrscheinlich 1000 Lux. Wenn der Himmel wolkenlos ist, beträgt die Helligkeit sogar zwischen 10.000 und 100.000 Lux.
Es genügt also schon, wenn man ins Freie geht – oder sein Kind durch ein Fenster die Sonnenstrahlen aufsaugen lässt.
Wann genau sollte dies stattfinden?
Am besten dann, wenn dein Kind morgens aufwacht – oder innerhalb der ersten Stunde nach dem Aufstehen. Um eine gut gestellte innere Uhr zu entwickeln, ist vor allem auch Regelmäßigkeit wichtig. Achte darauf, dass dein Kind jeden Tag ungefähr zur gleichen Zeit aufwacht.
Wie lange sollten die Sessions dauern?
Dreißig Minuten reichen oft aus.
In klinischen Studien wurde festgestellt, dass Kinder und Jugendliche bereits wenn sie nur 30 Minuten Tageslicht ausgesetzt waren, Verbesserungen erzielen. Innerhalb weniger Wochen begannen sie, abends viel früher Melatonin zu produzieren und schliefen auch früher ein.
Was ist mit dem Licht am Nachmittag? Ist das ebenfalls hilfreich?
Es gibt Hinweise darauf, dass die morgendliche Helligkeit die stärkste Wirkung auf den Tagesablauf eines Kindes hat. Doch ja, auch das Licht am Nachmittag ist hilfreich.
Es gibt sogar Hinweise dafür, dass das natürliche Licht bei Sonnenuntergang hilft.
Bei Sonnenuntergang werden die Sonnenstrahlen gebrochen, so dass eine besondere Mischung von Wellenlängen entsteht. Diese Wellenlängen scheinen eine Botschaft zu senden, wenn sie auf unsere Netzhaut treffen und signalisieren unserer inneren Uhr, dass es bald Zeit zum Schlafen ist.
Und der Mittagsschlaf? Wenn ein Kind tagsüber ein Nickerchen macht, sollte es dann in einem verdunkelten Raum schlafen? Oder ist es besser, ein Nickerchen an einem hellen Ort zu machen?
Ich kenne keine experimentellen Studien, die diese Frage bei Kindern untersuchen. Doch ein Experiment mit jungen Erwachsenen legt nahe, dass ein Nickerchen in einem gut beleuchteten Raum dazu beitragen kann, dass wir nachts früher einschlafen.
In dieser Studie blieben zwölf junge Männer die ganze Nacht über wach. Am nächsten Morgen holten sie den Schlaf nach. Doch die Bedingungen waren unterschiedlich:
- Die eine Hälfte der Männer sollte in einem dunklen Raum (unter 50 Lux) schlafen.
- Die andere Hälfte sollte in einem hell erleuchteten Raum (3000 Lux) schlafen.
Danach überwachten die Forscher den Anstieg des Melatoninspiegels bei jedem Mann. Die Ergebnisse sprachen für die Männer, die im hellen Raum schliefen. Ihr Melatoninspiegel stieg am Abend früher an.
Was ist mit dem Abend? Hält künstliches Licht Kinder wach?
Ja. Experimente zeigen, dass künstliches Licht in der Nacht die Melatoninausschüttung des Gehirns verzögert, Kinder scheinen hierauf besonders empfindlich zu reagieren. Deshalb ist es wichtig, die Beleuchtung am Abend zu dimmen und darauf zu achten, dass dein Kind vor dem Schlafengehen keine Bildschirme nutzt.
Was können wir außerdem tun, um die innere Uhr umzustellen?
Eine Technik namens “ bedtime fading“ kann dir helfen, das Schlafengehen deines Kindes allmählich und auf einfache Weise anzupassen.
Eine Kette immer früherer Schlafenszeiten, beginnend am ersten Tag um 22 Uhr und endend am siebten Tag um 21:15 Uhr
Ist dein Ziel, das Schlafengehen um mehr als 15-20 Minuten zu verschieben? Wenn ja, solltest du nicht erwarten, dass dies auf einmal geschieht. Das ist so ähnlich wie mit dem Jetlag. Man gewöhnt sich mitunter nur langsam an eine neue Zeitzone. Es dauert Tage – oft einige Tage – bis man sich vollständig an den neuen Tagesablauf angepasst hat.
Die Technik des Schlaftrainings, die als „bedtime fading“ bekannt ist, kann dir dabei helfen, den Prozess des früheren Schlafengehens auf realistische Weise zu bewältigen.
Routinen beim Schlafengehen sind nützlich.
Eine Routine, die das Schlafengehen fördert besteht aus ruhigen Aktivitäten vor dem Schlafengehen, wie dem Baden, das Anziehen eines Schlafanzuges und dem Vorlesen einer beruhigenden Gute-Nacht-Geschichte.
Solche Routinen dienen als Signal dafür, welche Tageszeit angebrochen ist. Doch es steckt noch viel mehr dahinter. Die unauffälligen Aktivitäten helfen Kindern, zur Ruhe zu kommen. Und schon die Vorhersagbarkeit selbst ist beruhigend. Kinder wissen, was sie erwartet. So geben die Routinen Kindern ein Gefühl der Sicherheit, was für einen erholsamen Schlaf unerlässlich ist. Dein Kind wird seltener negative Gefühle erleben, welche Kinder nachts wach halten.
Der Effekt von Tryptophan und Kohlenhydraten
Tryptophan ist eine Aminosäure, die deinem Körper hilft, nachts Melatonin herzustellen. Sie ist in bestimmten Lebensmitteln enthalten. Kohlenhydrate können die Aufnahme von Tryptophan im Gehirn steigern. Man könnte also meinen, dass eine Mahlzeit, die reich an Tryptophan und Kohlenhydraten ist, dazu führt, dass man nachts schneller oder früher einschläft. Was sagen experimentelle Studien dazu?
Experimente an Erwachsenen deuten darauf hin, dass eine kohlenhydratreiche Mahlzeit kurz vor dem Schlafengehen zu einem etwas schnelleren Einschlafen führt. Nach dem Schlafengehen sind die Menschen etwa 5-10 Minuten schneller eingeschlafen. Darüber hinaus haben einige Studien die Auswirkungen eines Frühstücks mit hohem Tryptophangehalt untersucht und festgestellt, dass ein höherer Tryptophangehalt beim Frühstück mit einem früheren Schlafengehen bei Kleinkindern und Kindern im Grundschulalter verbunden ist. Diese Zusammenhänge bestanden jedoch nur, wenn Kinder gleichzeitig auch dem morgendlichen Sonnenlicht ausgesetzt waren.
Und welche Rolle spielt der Zeitpunkt der Mahlzeiten? Zunächst ist es wichtig, in den Stunden vor dem Schlafengehen auf Koffein zu verzichten. Doch was gesunde, koffeinfreie Lebensmittel angeht, ist die Beweislage unklar.
In einer Studie mit 87 Schulkindern fanden Forscher zum Beispiel heraus, dass Kinder, die später einschlafen, auch später essen. Ihre erste Mahlzeit am Tag (Frühstück, Brunch oder Mittagessen) nahmen sie später zu sich. Zudem nahmen sie nach dem Abendessen mehr Kalorien zu sich.
Doch was war die Ursache und was die Folge? Womöglich liegt es einfach daran, dass man seine Mahlzeiten zeitlich verschiebt, wenn man später ins Bett geht. Kinder, die früher ins Bett gehen, frühstücken öfter, doch das allein sagt noch nicht aus, dass das Frühstücken zu einem früheren Schlafengehen führt.
Erwachsene, die spät essen, wachen nachts häufiger auf. Doch sie scheinen nicht schneller einzuschlafen.
Bewegung für den Melatoninschub
Bewegung trägt dazu bei, dass der Melatoninschub am Abend früher einsetzt. Doch hierbei spielt das Timing eine große Rolle!
Der Beweis dafür stammt aus einem Experiment mit jungen Erwachsenen, die sich zuvor wenig bewegten.
Forscher fanden heraus, dass Sport dazu beiträgt, dass Menschen nachts früher einschlafen. Die genauen Auswirkungen hingen jedoch vom „Chronotyp“, dem gewöhnlichen Schlafverhalten einer Person, ab.
Für Personen, die als „Nachteulen“ gelten, war Bewegung immer hilfreich. Unabhängig davon, ob sie morgens oder abends Sport trieben, hatten diese Menschen abends frühere Melatoninschübe.
Im Gegensatz dazu machten Menschen mit einem frühen Chronotyp (die zu den „Frühaufstehern“ gehören) andere Erfahrungen. Während die morgendliche Bewegung zu einem früheren Melatoninschub am Abend führte, hatte die abendliche Bewegung den gegenteiligen Effekt: Sie verzögerte das Auftreten von Melatonin am Abend.
Wir können nicht mit Sicherheit sagen, was das für Kinder bedeutet. Die Forschung hat sich bei dieser Frage nicht auf sie konzentriert. Man kann aber davon ausgehen, dass morgendliche Bewegung hilft, Kinder an ein früheres Schlafengehen zu gewöhnen.
Und abends? Bis wir mehr wissen, würde ich es vermeiden, mit anstrengenden Aktivitäten zu experimentieren, es sei denn, du weißt, dass du eine Nachteule hast.
Melatonin-Präparate
Und was ist, wenn der Kinderarzt Melatonin-Präparate verschreibt?
Wenn dein Kind eine Störung des Schlafrhythmus hat, kann ein Facharzt für Schlafmedizin Melatonin verschreiben. Solltest du aber selbst eine Diagnose stellen und deinem Kind rezeptfreie Präparate geben? Nein, so warnen zumindest die Forscher. Das ist eine schlechte Idee.
Derzeit wissen wir noch zu wenig über die Auswirkungen von Melatonin-Präparaten auf Kinder. Bei Melatonin handelt es sich nämlich um ein sehr starkes Hormon. Forscher befürchten unter anderem, dass es den Zeitpunkt der Pubertät beeinflussen könnte.
Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/nacht-madchen-bett-schlafzimmer-6591653/