Was verstehen Babys bereits von Zahlen?

by Lara
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Was verstehen Babys von Zahlen?

Im 20. Jahrhundert ging man davon aus, dass Säuglinge kein Verständnis für Zahlen haben.

Aber die aktuellen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben diese Annahme über den Haufen geworfen.

Experimentelle Forschungen zeigen eine neue, faszinierende Welt der Wahrnehmung von Babys, in der sie in der Lage sind

  • den groben Unterschied zwischen zwei Zahlen zu erkennen
  • kleinere Zahlen akkurat zu erfassen und
  • einfache Subtraktions- und Additionsaufgaben lösen können.

Wenn Babys solche Leistungen vollbringen, benutzen sie dieselben Teile des Gehirns, die auch bei Erwachsenen für mathematisches Denken verantwortlich sind.

Im Folgenden gehe ich auf die jüngsten Entdeckungen ein. Ich beginne mit den Kenntnissen von Babys über Zahlen – kleine und große – und ende mit einer Diskussion über die Rechenkünste von Babys und ihr Gehirn.

Was wissen Babys über Summen?

Psycholog/innen definieren eine Summe als die Gesamtmenge.

Obwohl wir die Menge durch das Zählen genau bestimmen können, ist es auch möglich, die Menge zu schätzen.

Wenn du zum Beispiel einen Blick in einen überfüllten Aufzug werfen und schätzen sollst, wie viele Menschen sich dort aufhalten, gelingt es dir wahrscheinlich, ziemlich gut zu schätzen.

Guckst du in zwei Aufzüge hinein, kannst du auch recht gut abschätzen, in welchem sich mehr Menschen befinden.

Ganz ohne zu zählen.

Es stellt sich heraus, dass Erwachsene nicht die einzigen Lebewesen sind, die das können. Eine Vielzahl verschiedener Lebewesen, die nicht sprechen können – darunter Affen, Ratten, Fische und Babys – können den ungefähren Unterschied zwischen zwei Mengen erkennen.

Zeigst du ihnen zwei Displays – eines mit acht Gegenständen, das andere mit nur vier Gegenständen – werden sie unterschiedlich reagieren, je nachdem, was sie sehen.

Das Erkennen von Mengen ist auch im Gehirn nachweisbar

Als Babys im Alter von drei Monaten eine Reihe von Displays mit unterschiedlichen Mengen an Gegenständen gezeigt wurde, veränderten sich die Gehirnströme als Reaktion darauf.

Den Babys wurde zum Beispiel ein stetiger Strom von Bildern präsentiert, auf denen jeweils 4 Gegenstände abgebildet waren. In jedem Bild waren die Gegenstände anders angeordnet.

Außerdem war der Teil des Gehirns, der aktiviert wurde – das parietoprefrontale Netzwerk – dieselbe Region, die auch bei Erwachsenen aufleuchtet, wenn sie Zahlen verarbeiten.

Ein starkes Argument für den „Zahlenverstand“ von Babys

Haben die Babys wirklich auf die Veränderung der Zahlen reagiert? Das scheint der Fall zu sein.

Die Babys reagierten ähnlich, wenn ihnen kleine Zahlenpaare (2 und 3) und weit entfernte, große Zahlen (4 und über 12) gezeigt wurden.

Die Forscherinnen und Forscher kontrollierten außerdem mehrere nicht zahlenbezogene Variablen, die einen Einfluss auf die Babys haben könnten, zum Beispiel die Größe der Dinge, die durchschnittliche Oberfläche der einzelnen Dinge, die Helligkeit der Bilder und die Größe der einzelnen Gruppierungen von Dingen.

Die Babys achteten also nicht nur auf die Größe der „Dinge“ in jedem Bild.

Tatsächlich deuten weitere Experimente darauf hin, dass Babys mehr auf Veränderungen in der Anzahl achten als auf Veränderungen in der Größe oder Fläche.

Außerdem ist nicht alles augenscheinlich. Würden sich die Leistungen von Babys bei der Unterscheidung von Zahlen auf sichtbare Objekte beschränken, könnten wir vermuten, dass diese Fähigkeit eher auf einen bestimmten Bereich – eine Spezialisierung des visuellen Systems – als auf eine generelle Fähigkeit des Denkens zurückzuführen ist.

Doch Babys sind keine Eintagsfliegen. Babys können nicht nur Bilder unterscheiden, sondern auch Unterschiede in der Anzahl von Geräuschen und Handlungen erkennen.

Babys verstehen sogar Hierarchie von Zahlen – die Vorstellung, dass Zahlen in einer bestimmten Größenordnung angeordnet werden können. Als Babys im Alter von 11 Monaten Zahlenreihen vorgelegt wurden, waren sie in der Lage, zwischen steigenden und fallenden Zahlenreihen zu unterscheiden.

Das bedeutet natürlich nicht, dass Babys zwei beliebige Zahlen unterscheiden können. Es gibt Grenzen. Zum Beispiel:

  • Sechs Monate alten Babys fällt es schwer, zwei Mengen zu unterscheiden, wenn das Verhältnis zwischen ihnen kleiner als 2:1 ist. Mit anderen Worten: Sie können zwischen 8 und 16 unterscheiden, aber nicht zwischen 8 und 12.
  • Im Alter von neun und zehn Monaten können sie kleinere Unterschiede erkennen (8 und 12). Aber auch diesen Babys scheint es schwer zu fallen zwischen 8 und 10 zu unterscheiden.
  • Erst gegen Ende des ersten Lebensjahres können Babys zwischen aufsteigenden und absteigenden Zahlenabfolgen unterscheiden. Als Elizabeth Brannon Babys im Alter von 9 Monaten testete, schafften sie den Test nicht.
  • Experimente, in denen Babys aufgefordert wurden, eine sehr kleine Zahl von einer größeren zu unterscheiden (z. B. 2 und 4 oder 2 und 8), gelang es ihnen. Kristy Van Marle glaubt, dass das daran liegt, dass Babys verschiedene Methoden nutzen, um zu unterscheiden: Ein präziser Verfolgungsmechanismus für Zahlen unter 4 und ein ungefähres System für die Einschätzung von groben Unterschieden. Babys wissen noch nicht, wie sie die beiden Informationen miteinander verbinden können.

Dennoch sind die Ergebnisse ziemlich beeindruckend. Wenn Babys eine Reihe von Objekten betrachten, sehen sie nicht nur einen „Haufen“. Babys haben einen groben Eindruck von Zahlen.

Können Babys ihr Wissen über Zahlen nutzen?

Anscheinend erkennen Babys Unterschiede in der Größe. Aber können Babys dieses Wissen auch nutzen? Geschickte Experimente legen nahe, dass sie das können.

In einer Studie beobachteten vierzehn Monate alte Babys, wie die Versuchsleiter Spielzeug in eine Kiste legten. Dann fragten die Experimentatoren die Babys, „Was ist in der Kiste?“ und ließen sie suchen.

Wenn ein Baby nur ein Spielzeug in der Kiste gesehen hatte, hörte es in der Regel auf zu suchen, nachdem es diesen Ball gefunden hatte. Hatte es jedoch zwei Bälle in der Kiste gesehen, suchte es länger. Mit dieser Methode konnten die Forscher/innen feststellen, dass die Babys bis zu drei Gegenstände im Auge behalten konnten (Feigenson und Carey 2003).

In einem ähnlichen Experiment sahen 21 Monate alte Babys zu, wie ein Versuchsleiter einen Ball nach dem anderen in eine Kiste legte. Dann bekamen sie diese Anweisungen:

„Nimm alle Bälle, einen nach dem anderen, mit einer Hand aus der Kiste!“

Hatten die Babys mehr als einen Ball in der Kiste gesehen, griffen sie mehr als einmal hinein.

Die Versuchsleiter führten auch einen Versuch durch, bei dem die Babys sahen, wie der Versuchsleiter zwei Bälle in die Kiste legte und anschließend einen Ball herausnahm. Nach diesen Versuchen griffen die Babys, die aufgefordert wurden, „alle Bälle aus der Kiste zu nehmen“, nur einmal in die Kiste.

Können Babys rechnen?

Diese Experimente mit den „Bällen in der Kiste“ deuten darauf hin, dass Babys auch andere Fähigkeiten haben, nämlich einfache Berechnungen durchzuführen.

Zwei Bälle nacheinander in eine Schachtel zu legen, ist eine Übung in Addition (1+1). Wenn du einen von zwei Bällen aus einer Kiste entfernst, ist das eine Subtraktion.

Wenn Babys diese Szenarien beobachten und die richtigen Schlüsse ziehen, machen sie daher möglicherweise einfache mathematische Berechnungen.

Oder doch nicht?

Manche Forscher/innen haben behauptet, dass Babys diese Aufgaben nicht durch Addition oder Subtraktion lösen. Stattdessen vertrauen sie auf ein automatisches System zur Verfolgung von Objekten.

Dieses System (das auch bei Erwachsenen eingehend untersucht wurde) scheint individuelle Gegenstände im Laufe der Zeit zu verfolgen, indem es für jeden Gegenstand eine temporäre „Datei“ öffnet. Das Gehirn aktualisiert diese Dateien, wenn sich die Gegenstände bewegen oder ändern.

Das System ist aufgrund der begrenzten Merkfähigkeit eingeschränkt – ein normaler Mensch kann maximal 4 Objekte auf einmal verfolgen. Es ist jedoch ein effektives System, um mit sehr kleinen Zahlen umzugehen.

Laut der dieser Theorie erkennen Babys das plötzliche Fehlen eines Gegenstandes, weil die Menge der Gegenstände nicht mehr mit der Menge der angelegten Gegenstands-„Dateien“ übereinstimmt.

Ebenso bemerkt das Gehirn das unerwartete Auftauchen eines neuen Objekts, für das es noch keine angelegte Datei gibt.

Eine Aufgabe der Wahrnehmung

Es handelt sich also nicht wirklich um eine Rechenaufgabe. Eher um eine Aufgabe der Wahrnehmung und des Gedächtnisses.

Aber auch wenn Babys diese Datein verwenden, können wir nicht einfach so annehmen, dass sie wirklich etwas von Addition und Subtraktion verstehen.

Um die Frage zu klären, müssen wir das mathematische Können von Babys auf die Probe stellen, ohne ihre Fähigkeit Gegenstände zu verfolgen, einzubeziehen.

Genau das haben sich Koleen McCrink und Karen Wynn vorgenommen.

Das Wissen Babys über Addition und Subtraktion

Die Kognitionswissenschaftlerinnen McCrink und Wynn vermuteten, dass Babys tatsächlich mit Zahlen rechnen können – wenn auch nur auf eine ungefähre Art und Weise.

Um ihre Vermutung zu überprüfen, präsentierten sie Babys im Alter von 9 Monaten Rechenaufgaben mit hohen Zahlen. Zahlen, die zu groß waren, als dass sie durch die Fähigkeit Gegenstände zu verfolgen verarbeitet werden konnten.

Während des Experiments wurden den Babys verschiedene Animationsfilme gezeigt, die eine Reihe von sich bewegenden Rechtecken zeigten.

In den Filmen, die das Szenario der Addition darstellten, bewegten sich 5 Rechtecke auf dem Bildschirm und versteckten sich dann hinter einer Wand. Danach folgten 5 weitere Rechtecke. Die Filme konnten auf eine von zwei Arten enden:

  • Die Wand verschwindet und es werden 10 Rechtecke sichtbar (das richtige Ergebnis), oder
  • die Wand verschwindet und 5 Rechtecke kommen zum Vorschein (das falsche Ergebnis).

Das Szenario für die Subtraktion war ähnlich, nur dass es mit 10 Rechtecken begann, die sich hinter einer Wand versteckten. Anschließend glitten 5 Rechtecke wieder „heraus“ und zogen eins nach dem anderen vom Bildschirm. Das Ende der Filme war entweder

  • die Wand verschwunden und 5 Rechtecke kamen zum Vorschein (das ist das richtige Ergebnis), oder
  • die Wand verschwand und 10 Rechtecke kamen zum Vorschein (das falsche Ergebnis).

In beiden Szenarien starrten die Babys den Bildschirm länger an, wenn er das falsche Ergebnis anzeigte.

Die Schlussfolgerung? Die Babys erwarteten die falschen Antworten nicht.

Sie haben nicht länger hingeschaut, weil sie eine bestimmte Anzahl von Rechtecken bevorzugten. Die falschen Ergebnisse wurden mit unterschiedlichen Zahlen in Verbindung gebracht (5 für das Additionsszenario, 10 für das Subtraktionsszenario).

Die Babys scheinen also zwei grundlegende Zusammenhänge verstanden zu haben: Dass eine Menge durch Addition größer und durch Subtraktion kleiner wird.

Wynn und McCrink kamen zu der Erkenntnis, dass diese Babys tatsächlich über Vorgehensweisen für das Zahlenrechnen verfügen, die nicht von ihrer natürlichen Fähigkeit, Gegenstände zu verfolgen, abhängen.

Wie machen Babys das?

Anscheinend können Babys – wie Erwachsene und viele Tiere – sehr kleine Mengen von Gegenständen automatisch verfolgen. Sie sind auch in der Lage, große Mengen auf eine ungenaue Weise zu vergleichen.

Diese beiden Fähigkeiten sind unterschiedlich und werden in unterschiedlichen Teilen des Gehirns verarbeitet. Eine Studie, in der die Gehirnaktivität von 7 Monate alten Babys gemessen wurde, zeigt, dass beide Aufgaben mit unterschiedlichen Signalen im Gehirn verbunden sind.

Außerdem scheint es spezielle Gehirnzellen zu geben, die den Überblick über ungefähre Mengen größer als 3 bewahren.

In Experimenten an Affen wurden Gehirnzellen identifiziert, die durch optische Darstellungen von Objekten aktiviert werden. Je mehr Gegenstände zu sehen sind, desto mehr reagieren diese speziellen Gehirnzellen.

Diese Gehirnzellen der Affen wurden in dem Teil des Gehirns gefunden, in welchem auch die Menschen Zahlen verarbeiten. Diese Region – die seitliche Oberfläche des Parietalkortex – wird auch mit der Fähigkeit in Verbindung gebracht, Gegenstände in räumlicher und zeitlicher Hinsicht zu finden.

Wenn also dein Baby mehrere Dinge anschaut, ist es wahrscheinlich, dass in seinem parietalen Kortex besondere Gehirnzellen aktiv sind. Die Gehirnzellen reagieren in einer gewissen Abstufung und das Maß ihrer Aktivität liefert ihrem Gehirn eine ungefähre Darstellung der Anzahl.

Das Ergebnis? Ein Baby, welches den Unterschied zwischen 4 und 8 Keksen kennt. Noch ehe es mit Worten nach ihnen fragen kann.

Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/holz-mann-menschen-frau-6692928/

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