Welche Auswirkungen haben Videospiele auf schulische Leistungen? Schaden wir den Kindern, wenn wir sie täglich spielen lassen? Oder trägt das Spielen tatsächlich sogar dazu bei, die geistigen Fähigkeiten eines Kindes zu schärfen und helfen somit langfristig bessere Leistungen in der Schule zu erzielen?
Um diese Fragen endgültig zu beantworten benötigen wir mehr Studien. Es fehlt vor allem noch an ausreichend randomisierten, kontrollierten Experimenten. Aber auf Grundlage der begrenzten Daten, die wir derzeit haben, scheint es, dass die extremen Behauptungen auf beiden Seiten des Spektrums unberechtigt sind.
Einerseits schadet das Videospielen wahrscheinlich nicht den schulischen Leistungen. Jedenfalls nicht, solange die Kinder nicht so viel spielen, dass sie schulische Aktivitäten wie Lesen oder die Hausaufgaben vernachlässigen und ausreichend schlafen. Zusätzlich ist es wichtig, dass die Spiele, welche sie spielen, altersgerecht sind und keine emotionalen Probleme verursachen.
Auf der anderen Seite sind Videospiele aber auch keine Wundermittel, um den IQ zu steigern oder schlechte Schüler/innen in gute zu verwandeln. Es macht aber den Anschein, dass Kinder, die maßvoll spielen, also ein paar Stunden in der Woche, bessere schulische Leistungen erbringen als Kinder, die überhaupt keine Videospiele spielen.
Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass bestimmte Arten von Spielen die Fähigkeiten im Bereich des räumlichen Verständnisses verbessern und Kindern mit Legasthenie helfen können, sich im Lesen zu verbessern.
Hier sind die Details:
Auswirkungen von Videospielen auf schulische Leistungen
Der beste Weg, um die Auswirkungen von Videospielen auf die schulischen Leistungen zu verstehen, sind randomisierte, kontrollierte Experimente. Diese sind wie bereits erwähnt Mangelware. Eine Ausnahme ist ein kleines Experiment, das von Robert Weis und Brittany Cerankosky durchgeführt wurde.
Sie wählten 64 Jungen in den USA aus, die keine Videospielkonsole besaßen. Dann teilten sie jeden Jungen nach dem Zufallsprinzip einer von zwei Gruppen zu:
- Die Jungen in der Gruppe „jetzt spielen“ bekamen alle sofort eine neue Konsole
- Die Jungen in der Gruppe „später spielen“ bekamen die Konsolen erst nach Abschluss der Studie.
Vier Monate nach Beginn der Studie untersuchten die Forschenden die schulischen Leistungen der Jungen. Und sie fanden Hinweise auf einen Zusammenhang.
Die Kinder mit den neuen Spielkonsolen verbrachten nicht nur weniger Zeit mit den Hausaufgaben, sie schnitten vier Monate später auch bei standardisierten Lese- und Schreibtests schlechter ab. Außerdem berichteten ihre Lehrer/innen häufiger von schulischen Problemen.
Das klingt beunruhigend, aber wir müssen bedenken, dass es sich nur um eine kleine Studie handelt. Kritiker/innen weisen dazu darauf hin, dass diese Kinder noch nie eine Spielkonsole besessen hatten. Vielleicht haben sie beispielsweise die Schule geschwänzt, weil das Spielen neu für sie war und deshalb einen besonderen Reiz auf sie ausgeübt hat. Hätte die Studie etwas länger gedauert, hätten die Kinder vielleicht irgendwann gelernt, Schule und Spielen unter einen Hut zu bringen.
Eine größere Korrelationsstudie mit mehr als 3.100 Schulkindern bestätigte diesen Gedanken: Es gab keine Hinweise darauf, dass die Leistungen von Kindern, die regelmäßig spielten, abnahmen.
Im Gegenteil: Das Spielen von Videospielen war in dieser Studie sogar mit besseren schulischen Leistungen verknüpft. Selbst nachdem die Forschenden den sozialen und wirtschaftlichen Status und andere relevante Faktoren berücksichtigt hatten.
Andere Studien deuten darauf hin, dass es auf die Art des Spieles ankommt:
Der Einfluss von Multi- vs. Singleplayer-Spiele
Betrachten wir die PISA-Studie (Programme for International Student Assessment). Dabei handelt es sich um einen hoch angesehenen schulischen Leistungstest, der von 15-Jährigen weltweit absolviert wird. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Leistung bei diesem Test und der Nutzung von Videospielen?
In einer Studie untersuchten Forschende die Testergebnisse von mehr als 190.000 Jugendlichen und fanden Hinweise auf einen geringfügigen, negativen Effekt. Allerdings ließ sich dieser Effekt nur in einem geprüften Fach erkennen- dem Lesen – und da auch nur bei den Schüler/innen, die angaben, „fast jeden Tag“ Multiplayer-Spiele zu spielen.
Im Vergleich zu Jugendlichen, die nie Videospiele spielten, hatten diese videospielbegeisterten Schüler/innen tendenziell schlechtere Leseleistungen. Bei Kindern, die Singleplayer-Spiele spielten, wurde kein Effekt festgestellt.
In einer weiteren Studie untersuchte Francesca Borgonovi neuere PISA-Ergebnisse und stellte ein ähnliches Muster fest. Multiplayer-Spiele und nicht Singleplayer-Spiele wurde mit schlechteren Leseleistungen in Verbindung gebracht.
In dieser Studie wurde die häufige Nutzung von Multiplayer-Spielen sogar mit einem „steilen Leistungsabfall“ in Verbindung gebracht. Insbesondere bei Schüler/innen mit Lernschwierigkeiten und bei Schüler/innen, die an Tests mit Papier und Bleistift (im Gegensatz zu computerbasierten Tests) teilnehmen. Im Gegensatz dazu wurde die “ mäßige“ Nutzung von Einzelspieler-Spielen mit einem Leistungsvorteil in Verbindung gebracht.
Es gibt also Grund zur Sorge, die Erkenntnisse sind aber sehr gemischt.
Negative Auswirkungen von Videospielen
Die Gegner von Videospielen scheinen darauf bedacht zu sein, Studien zu veröffentlichen, die ihre Ansichten unterstützen. Die Beweise deuten jedoch darauf hin, dass es kein einfaches und allgemeingültiges Fazit über die Auswirkungen von Videospielen auf die schulischen Leistungen gibt.
Die häufige Nutzung von Multiplayer-Spielen könnte ein Risiko für schlechte Leseleistungen mit sich bringen. Womöglich weil die Kinder die Zeit zum Lesen durch die aufregendere Abenteuer bei Multiplayer-Spielen ersetzen. Diese Interpretation deckt sich mit den Ergebnissen einer Studie mit amerikanischen Jugendlichen im Alter von 10 bis 19 Jahren: Kinder, die Videospiele spielten, verbrachten bis zu 30% weniger Zeit mit Lesen.
Es gibt auch Indizien dafür, dass das Spielen von Videospielen in der Nacht den Schlaf stören kann, was die Verschlechterung der schulischen Leistungen ebenfalls erklären könnte.
Außerdem legen Studien nahe, dass Kinder, die regelmäßig Videospiele spielen, ein leicht erhöhtes Risiko haben, in der Schule Aufmerksamkeitsprobleme zu entwickeln.
Das Spielen von gewalttätigen Videospielen kann einen kleinen – aber dafür negativen – Effekt auf das Verhalten haben.
Manche Kinder nutzen Spiele übermäßig – so sehr, dass das Spielen ihr Leben dominiert und die Lernzeit beeinträchtigt. Die PISA-Studien deuten jedoch darauf hin, dass maßvolles Spielen keine oder nur geringe negative Auswirkungen auf die schulischen Leistungen hat und sich teilweise sogar positiv auswirken kann.
Es gibt darüber hinaus auch Grund zu der Annahme, dass das Spielen von Action-Videospielen die visuell-räumlichen Fähigkeiten fördert und vielleicht sogar Legasthenikern hilft, ihre Lesefähigkeit zu verbessern.
Videospiele bringen also sowohl Kosten als auch Nutzen mit sich, und diese variieren je nachdem, wie und wann Kinder spielen.
Bei der Betrachtung der Folgen ist vermutlich auch der Inhalt des Spiels ein relevanter Faktor.
Beweise dafür, dass Lernspiele nicht mit schlechten Schulleistungen verbunden sind
Erin Hastings führte zu diesem Thema eine Umfrage unter 70 Jungen im Alter von 6 bis 10 Jahren durch. Ihr Team bat die Eltern, die Verwendung von Videospielen durch ihre Söhne zu beschreiben und über die schulischen Leistungen ihrer Söhne zu berichten (z. B. den Notendurchschnitt der Jungen).
Die anschließende Analyse ergab, dass die Zeit, die mit dem Spielen von Videospielen verbracht wurde, mit schlechten schulischen Leistungen in Verbindung stand – allerdings nur bei gewalttätigen Videospielen. Kinder, die Lernspiele (wie Math Blaster oder Reader Rabbit) spielten, waren in der Schule nicht schlechter.
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