Wenn dein Kind extrem hohe Erwartungen an sich selbst stellt – egal, ob es malt, Hausaufgaben macht oder Sport treibt – wird es vielleicht nie denken, dass es gut genug ist. Hier ist, was zu tun ist.
Joanna erinnert sich an den Moment, als sie merkte, dass ihre älteste Tochter eine Perfektionistin war. Rebecca war 3 Jahre alt und lag bei einem spontanen Wettrennen mit einer Freundin zurück. Anstatt zu versuchen, den Rückstand aufzuholen, gab sie auf, brach weinend auf dem Boden zusammen und jammerte: „Ich will nicht verlieren!“
Da Joanna selbst mit Perfektionismus zu kämpfen hatte, wusste sie, dass dies nicht die typische Frustration eines Kleinkindes war. Rebecca war wütend auf sich selbst, weil sie einem unmöglichen, selbst auferlegten Standard nicht gerecht werden konnte: Sie musste perfekt sein.
Was ist Perfektionismus?
Auch wenn das Wort etwas anderes vermuten lässt, bedeutet Perfektionismus nicht, dass man in allem perfekt sein muss, sondern dass man glaubt, dass man es sein muss, und sich extrem anstrengt, um das zu erreichen. Diese Eigenschaft ist typischerweise bei Kindern im frühen Grundschulalter zu erkennen, wenn sie verstehen, dass sie mit anderen verglichen werden, sei es in der Schule, beim Sport oder in anderen Bereichen. Einige Untersuchungen haben ergeben, dass dies bei Mädchen etwas häufiger vorkommt.
In Maßen ist das Streben nach Perfektion gesellschaftlich akzeptabel und sogar bewundernswert. Alle Eltern wären stolz, wenn ihr Kind ein hervorragendes Zeugnis nach Hause bringt oder einen neuen Rekord im Schwimmteam aufstellt. Aber wenn Perfektionismus ins Extreme getrieben wird, ist er ein Risikofaktor für Angstzustände, Depressionen, Zwangsstörungen und Essstörungen. Expert:innen berichten, dass die Pandemie zu einer nationalen Krise der psychischen Gesundheit von Kindern geführt hat. Deshalb ist es umso wichtiger zu wissen, ob das Verhalten eines Kindes die Grenze von hilfreich zu schädlich überschritten hat.
Auswirkungen von Perfektionismus
Extreme Perfektionisten haben oft mit einem geringen Selbstwertgefühl zu kämpfen, schämen sich leicht und sind besessen von jedem echten oder vermeintlichen Fehler. Sie sind die Kinder, die sich so sehr darüber aufregen, wenn sie außerhalb der Linien malen, dass sie ihr Papier immer wieder zerknüllen und von vorne anfangen. Wenn sie bei einem Quiz neun von zehn Fragen richtig beantworten, konzentrieren sie sich auf die eine falsche Antwort, anstatt stolz auf die richtigen Antworten zu sein. Sie verlassen ein Sportteam, wenn sie denken, dass sie nicht so gut sind wie die anderen. Obwohl sie in der Schule gut abschneiden wollen, zögern sie vielleicht, weil sie nicht riskieren wollen, durchzufallen, wenn sie mit einer Aufgabe nicht anfangen. Sie können Stunden brauchen, um einen dreizeiligen Brief zu schreiben, weil sie so besorgt sind, die richtigen Wörter zu finden.
Perfektionismus wird sowohl mit Zwangsstörungen als auch mit Depressionen in Verbindung gebracht, obwohl die drei Phänomene auch unabhängig voneinander auftreten können. Im Gegensatz zu Zwangsstörungen und Depressionen, bei denen es sich um diagnostizierbare psychische Störungen handelt, ist Perfektionismus eine Denkweise, die über einen längeren Zeitraum anhält. Menschen mit Zwangsstörungen neigen eher zu perfektionistischem Denken, obwohl viele Menschen perfektionistisches Denken ohne begleitende Zwangsvorstellungen, Zwänge und störende Angstzustände haben.
In einer Studie wurde herausgefunden, dass Vorschulkinder, die eine ständige „Leistungskontrolle“ durchführten – also Kommentare wie „Das ist ja furchtbar“ und „Das habe ich ganz falsch gemacht“ abgaben, während sie einen Kreis zeichneten -, im Teenageralter mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit eine Zwangsstörung entwickelten als Vorschulkinder, die die Aufgabe erledigen konnten, ohne einen negativen Kommentar über ihre Fehler abzugeben.
Wenn ein Kind seine Erwartungen nicht erfüllt, ist es nicht verwunderlich, dass es sich selbst als Versager sieht, was zu depressiven oder ängstlichen Symptomen führen kann. Wenn du die perfektionistischen Tendenzen eines Kindes jedoch schon in jungen Jahren erkennst, kannst du ihm helfen, weniger selbstkritisch mit seinen Fehlern umzugehen und theoretisch die Wahrscheinlichkeit psychiatrischer Störungen zu verringern.
Perfektionismus bei deinem Kind erkennen
Ein Teil der Herausforderung für Eltern besteht darin, dass Kinder, die zu Perfektionismus neigen, versuchen, die Illusion zu erwecken, dass sie alles unter Kontrolle haben. Anstatt zu sagen, dass sie nicht zur Schule gehen wollen, weil es eine Prüfung gibt, die sie vermeiden wollen, täuschen sie vielleicht Bauchschmerzen vor. Es ist schwer zu erkennen, ob dein Kind Probleme hat, wenn es das vor allen anderen verheimlicht. Und selbst die wohlmeinendsten Eltern können ungewollt zum Perfektionismus beitragen, indem sie ihre Kinder ermutigen, ihr Bestes zu geben.
Ärzte raten oft dazu, Hilfe zu suchen, wenn ein Kind so gestresst ist, dass es nicht mehr in der Lage ist, seinen Alltag zu meistern. Dein elterlicher Instinkt kann dir sagen, dass mit deinem Kind etwas nicht stimmt. Wenn du dir Sorgen machst, sprich mit deinem Kinderarzt oder deiner Kinderärztin oder einem/ einer Schulberater:in, der/die dich an eine psychologische Fachkraft verweisen kann.
Ganz gleich, ob dein Kind gelegentlich zu hart mit sich selbst umgeht oder eine ständige „Nie-genug-Mentalität“ hat, bestimmte Strategien können ihm helfen, eine gesündere Einstellung zu entwickeln.
Gib der Stimme in deinem Kopf einen Namen
Wenn wir erwachsen sind, haben die meisten von uns herausgefunden, wie sie mit kritischen Selbstgesprächen umgehen können. Für Kinder, die noch zu jung sind, um das Wort Perfektionismus zu verstehen, kann man zum Beispiel mit einer Erklärung beginnen, gefolgt von einer Frage: „Einige von uns haben eine Stimme in ihrem Kopf, die ziemlich gemein klingt oder nicht sehr oft glücklich ist. Sie sagt, wenn wir nicht perfekt sind, müssen wir etwas noch einmal machen, bis wir es richtig machen. Hast du auch so eine Stimme?“ Es wird empfohlen, der Stimme einen Namen zu geben, auch wenn er ein bisschen albern ist. Das macht es einfacher, sich auf sie zu beziehen und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass dein Kind über sie spricht. Wenn die Kinder älter werden, kannst du anfangen, das Wort Perfektionismus zu benutzen, um zu erklären, warum diese Stimme existiert.
Akzeptiere die Gefühle
Einem Kind, das offensichtlich nicht erfolgreich ist, zu sagen, dass es toll ist, ist nicht hilfreich, genauso wenig wie es zu schelten, wenn es einen Nervenzusammenbruch hat. Ersteres ist eine falsche Beruhigung, zweiteres ist eine Bestrafung und macht die Sache wahrscheinlich noch schlimmer. Erkenne an, dass sie Schmerzen haben. Du kannst sagen: „Lass mich dich umarmen. Es ist in Ordnung, manchmal zu verlieren, und du wirst wieder besser werden.“ Ein Teil deiner Aufgabe als Elternteil ist es, deinem Kind zu helfen, schlechte Gefühle zu tolerieren und zu verstehen, dass sie vorübergehen.
Lobe den Prozess nicht das Ergebnis
Wenn du dein Kind nur dann lobst, wenn es bei einem Test gut abschneidet oder ein Spiel gewinnt, kann das dazu führen, dass es glaubt: „Wenn ich nicht gewinne, hat Papa mich vielleicht nicht mehr lieb“ oder „Ich bin nichts, wenn ich nicht gewinne.“ Wenn du dein Kind dafür lobst, dass es sich anstrengt, wird es erkennen, dass Lernen ein Prozess ist und dass Fehler nicht nur unvermeidlich, sondern auch nützlich sind.
Sprich mit deinem Kind über die Herausforderungen des Erfolgreichseins
Zu Beginn der dritten Klasse im letzten Herbst beschwerte sich die Tochter meiner Freundin über einen Test, mit dem ihr Leseniveau gemessen wurde. „Sie beklagte sich darüber, dass der Test unglaublich schwierig war“, erinnert sie sich. Ich sagte ihr: „Wenn er nicht so schwer wäre, hättest du in diesem Jahr nichts zu lernen und könntest dich nicht weiterentwickeln.“ Es ist auch hilfreich, deinen Kindern von bekannten Menschen zu erzählen oder ihnen vorzulesen, die es schwer hatten, bevor sie erfolgreich wurden. Steve Jobs ist mehrfach gescheitert, seine Firma wurde ihm weggenommen und er hat sein Studium abgebrochen. Er selbst hat gesagt: „Wenn ich diese Erfahrungen nicht gemacht hätte, wäre ich nicht in der Lage gewesen, Apple zu entwickeln. Ich brauchte diese Fehler, um dorthin zu kommen, wo ich jetzt bin.“
Ermutigende Sätze
Wenn du deinem Kind beibringst, ermutigende Aussagen zu wiederholen, kann das helfen, negativen Selbstgesprächen entgegenzuwirken. Schreib zum Beispiel Sätze wie „Niemand ist perfekt“, „Ich kann nur mein Bestes geben, und das reicht“ und „Übung hilft mir, besser zu werden“ auf und stecke sie in die Brotdose oder das Mäppchen deines Kindes.
Bevor sie etwas Schwieriges tun, wie z. B. Sport treiben oder an einem Wettbewerb teilnehmen, solltest du sie üben, damit sie sich gut einprägen. Wenn sie bei etwas gescheitert sind oder einen Fehler gemacht haben, erinnere sie daran, diese Sprüche hinterher zu benutzen. Es kann auch hilfreich sein, diese positiven Sprüche vor deinem Kind laut zu sagen, wenn du Fehler machst, denn das kann ihm als Vorbild dienen (und zeigen, dass jeder Fehler macht).
Meine Kollegin Susanne verwendet immer noch das Mantra, das ihre Mutter, die Chinesin ist, ihr beigebracht hat, als sie in der Schule mit Perfektionismus zu kämpfen hatte: yìshù, ausgesprochen „ii-soo“, was „Kunst oder einzigartig künstlerisch“ bedeutet. Es ist nicht perfekt, aber es ist schön.
Sie sagte: „Yìshù, sieh dich um; es gibt Schönheit in diesen Fehlern“, erinnert sich Susanne. „Ich höre ihre Stimme manchmal, wenn ich das Gefühl habe, dass ich etwas perfektionistisch mache, und dann lasse ich es los.“
Selbstakzeptanz üben
Du musst für deine Kinder nicht perfekt sein. Es ist sogar eine gute Idee, ihnen von deinen Kämpfen und Fehlern zu erzählen. Sonst könnten deine Kinder dich auf ein Podest stellen.
Joanna hat entdeckt, dass die Küche ein idealer Ort ist, um ein positives Beispiel zu geben. Als Rezeptentwicklerin kocht Joanna oft mit Rebecca, die jetzt 7 Jahre alt ist. „Kochen ist chaotisch und man bekommt nicht jedes Mal das gleiche Ergebnis“, sagt Joanna. „Rebecca liebt Spiegeleier, aber es ist eine Herausforderung für eine Perfektionistin. Ich glaube, das Kochen hat sie gelehrt, ihre sogenannten Fehler und die unerwarteten Ergebnisse zu akzeptieren.“ Joannas Ziel ist es, dass Rebecca aufhört, sich selbst zu beurteilen und Angst davor zu haben, dass andere sie beurteilen, und es gibt Anzeichen dafür, dass die Botschaft ankommt, nicht nur in der Küche. Rebecca hat kürzlich ihr eigenes Mantra gefunden: „Perfekt ist langweilig“.
Lies Bilderbücher mit der richtigen Botschaft
Lustige Geschichten und Bilderbücher können auch sehr hilfreiche Materialien sein, die Kindern helfen können, Perfektionismus ins rechte Licht zu rücken.
Bildquelle: https://www.pexels.com/photo/little-girl-doing-her-homework-5088179/