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Wie reagieren Kinder auf Fantasiegeschichten?

by Lara

Fantasie hat uralte Wurzeln, doch sie hat einen schlechten Ruf. Manche befürchten, dass Fantasiegeschichten kleine Kinder verwirren könnten. Andere tun Fantasy als albern oder unsinnig ab. Sollten sich Kinder von Fantasy-Spielen und Fantasy-Unterhaltung fernhalten? Ist das Lesen von Fantasy-Literatur Zeitverschwendung?

Studien legen nahe, dass die Antwort nein lautet.

Kleine Kinder kennen sich mit Elementen der Fantasie in Romanen gut aus. Sie erkennen schnell, dass sie einfach unmöglich sind. Studien zeigen außerdem, dass Fantasyliteratur und Fantasiespiele für Kinder von großem Vorteil sein können.

Die Beschäftigung mit der Fantasie kann die Kreativität anregen und den Wortschatz vergrößern. Sie kann Kindern helfen, bessere Fähigkeiten zur Selbstkontrolle zu entwickeln. Sie kann sogar die Leistung ihres Arbeitsgedächtnisses verbessern.

Werfen wir also einen Blick auf die Beweise – die Art und Weise, wie kleine Kinder auf fantastische Geschichten und fantasievolles Spiel reagieren.

Begreifen Kinder den Unterschied zwischen Fantasie und Realität?

Wir hören oft, dass kleine Kinder den Unterschied zwischen Fantasie und Realität nicht erkennen können. Doch stimmt das?

Nicht ganz. Zumindest nicht, wenn wir damit so etwas meinen wie „Vorschulkinder denken wahrscheinlich, dass es Spiderman gibt, weil sie ihn in Büchern oder im Fernsehen gesehen haben.“

In Wahrheit machen Vorschulkinder zwar einige Fehler, jedoch nicht in dieser Richtung.

Die meisten kleinen Kinder sind tatsächlich sehr skeptisch.

Andrew Shtluman und Susan Carey präsentierten Vierjährigen eine Reihe von Ereignissen in einem illustrierten Märchenbuch. Dann baten sie die Kinder zu beurteilen, ob die dargestellten Ereignisse im wirklichen Leben passieren könnten.

Die Kinder erkannten unmögliche Ereignisse richtig – wie zum Beispiel eine Figur, die durch Wände geht. Sie lehnten aber auch viele Ereignisse ab, die einfach nur unwahrscheinlich waren – wie eine Figur, die einen Zwiebelsaft trinkt, oder einen Löwen als Haustier hat.

Auch bei Experimenten mit Zeichentrickfilmen fanden Hui Li und ihre Kolleg/innen Hinweise darauf, dass Kinder eher skeptisch sind.

„Sogar 4-Jährige haben ein recht gutes Verständnis für fantasievolle Ereignisse in Zeichentrickfilmen“, so die Forscher/innen. Machen diese Kinder Fehler, geht es eher in die andere Richtung, nämlich dass sie realistische Ereignisse als unmöglich abtun.

Das Phänomen kann auch bei religiösen Geschichten beobachtet werden.

In Studien mit amerikanischen Kindern aus christlichen Elternhäusern fanden die Forscher/innen heraus, dass 4-Jährige Geschichten über übernatürliche Ereignisse und das Eingreifen Gottes sehr skeptisch gegenüberstanden.

Erst im Alter von 5 oder 6 Jahren nahmen die Kinder eine akzeptierende Haltung ein, vielleicht weil sie in diesem Alter eher gezielten Religionsunterricht erhielten.

Es ist also nicht so, dass kleine Kinder etwas missverstehen oder nicht davon überzeugt werden können, an übernatürliche Dinge zu glauben. Das können sie. Doch Experimente zeigen, dass wir sie gezielt beeinflussen müssen – wir müssen ihnen Beweise liefern oder unsere Glaubwürdigkeit als Erwachsene einsetzen, um Kinder davon zu überzeugen, dass eine fantasievolle Aussage wahr ist.

Wenn die Fantasie als Unterhaltung präsentiert wird, ist es unwahrscheinlich, dass sie Verwirrung stiftet – jedenfalls nicht die Art von Verwirrung, die Kinder dazu bringen würde, zu glauben, dass Menschen fliegen, durch Wände gehen oder unsichtbar werden.

Eine Ausnahme: Wenn kleine Kinder sehr ängstlich sind, kann die Unterscheidung zwischen Fantasie und Realität ihnen schwer fallen.

Studien mit Vorschulkindern haben gezeigt, dass Kinder, die unter chronischer, übermäßiger Angst leiden, bei Tests zur Unterscheidung von Fantasie und Realität schlechter abschneiden.

Wenn du also ein kleines Kind hast, das nachts unter starken Ängsten leidet oder tagsüber sehr ängstlich zu sein scheint, ist dein Kind eher geneigt an die Existenz eines übernatürlichen Monsters zu glauben.

Denk aber daran: Das heißt nicht, dass diese Kinder jegliche Form von Fantasie meiden sollten. Es gibt viele fröhliche, nicht bedrohliche Fantasiegeschichten, die Kinder genießen können. Die Begegnung mit solchen Inhalten – und das Gespräch darüber – kann Kindern helfen, Fantasie und Realität besser zu unterscheiden.

In einem Experiment mit älteren Kindern wurde festgestellt, dass sowohl 6- als auch 9-Jährige ein besseres Unterscheidungsvermögen entwickelten, nachdem sie einen Film gesehen hatten, in dem magische Ereignisse dargestellt wurden.

Im Vergleich zu Kindern, die einen Film sahen, in dem es nicht um Magie ging, konnten die Kinder, die Fantasy zu sehen bekamen, Fantasy-Elemente in einer Reihe von Fotos und Gemälden besser erkennen.

Was ist mit der Vorstellung, dass Fantasie nur eine Ablenkung ist? Ist Fantasiespiel einfach nur sinnloser Spaß? Ist das Lesen von Fantasy-Büchern Zeitverschwendung?

Ganz im Gegenteil: Studien zeigen, dass Fantasie für Kinder in vielerlei Hinsicht von Vorteil sein kann.


Das Anschauen eines Films mit magischem Inhalt kann die Kreativität anregen.

Der Beweis dafür stammt aus Experimenten mit dem Film Harry Potter und der Stein der Weisen.

Eugene Subbotsky und Kolleg/innen begannen damit, die kreativen Tendenzen von Kindern zu messen. Sie baten 6- und 8-Jährige, Bilder von „komischen, verrückten, unmöglichen“ Objekten zu zeichnen, die „in der realen Welt nicht existieren können“. Sie forderten die Kinder auch auf, sich auf möglichst viele verschiedene Arten durch einen Raum zu bewegen.

Nach diesen Messungen ließen die Forscher jedes Kind einen von zwei 15-minütigen Videoclips sehen.

Beide Videos stammten aus dem Film Harry Potter und der Stein der Weisen. Ein Video enthielt jedoch viele magische Inhalte. Der andere war zwar genauso actiongeladen, enthielt aber nur realitätsnahe Ereignisse.

Hatte der Inhalt einen Einfluss?

Um das herauszufinden, testete Subbotskys Team erneut die Fähigkeit der Kinder, über den Tellerrand zu schauen, und die Ergebnisse fielen zugunsten der Kinder aus, die den magischen Inhalt gesehen hatten. Diese Kinder zeigten größere Fortschritte in ihrer Kreativität.

Außerdem können Fantasiegeschichten Vorschulkinder dazu anregen, neue Wörter zu lernen.

Woher wissen wir das? Deena Skolnick-Weisberg und ihre Kolleginnen und Kollegen rekrutierten mehr als 150 Kinder für die Teilnahme an einer Maßnahme im Vorschulalter.

Sie wiesen alle Kinder in tägliche, 20-minütige Sitzungen mit Geschichten und Vorstellungsspielen ein. Dabei gab es zwei verschiedene Gruppen.

In der ersten Gruppe wurden neue Vokabeln im Rahmen von Geschichtenbüchern und realitätsnahem Spiel eingeführt.

Die Kinder kamen mit einigen Fantasyelementen in Berührung (z. B. mit menschenähnlichen Tieren, die sprechen können). Aber die Situationen waren relativ alltäglich (z. B. die Arbeit auf einem Bauernhof oder das Kochen einer Suppe).

Die andere Hälfte der Kinder wurde der „viel Fantasie“ Gruppe eingeteilt, die neue Vokabeln im Zusammenhang mit Geschichten und Spielen lernte, in denen es um vollkommen imaginäre Kreaturen und Ereignisse ging – wie Drachen, die aus einem Frühstücksei schlüpften.

Bevor die neuen Sessions begannen, testeten die Forscher/innen den Wortschatz der Kinder. Nach 8 Tagen wurden die Kinder dann erneut getestet. Und es gab einen Unterschied zwischen den beiden Gruppen: Die Kinder in der Gruppe mit dem hohen Fantasiewert benutzten mehr neue Vokabeln in ihren Gesprächen.


Fantasiespiele könnten Vorschulkindern helfen, die „exekutive Funktion“ zu entwickeln – die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, zu planen und ihre emotionalen Impulse zu kontrollieren.

Exekutive Funktion bedeutet die mentalen Prozesse, die uns helfen, uns selbst zu regulieren. Dazu gehört die Fähigkeit, Impulse zu unterdrücken, sich zu konzentrieren und Informationen im Arbeitsgedächtnis zu speichern. Dazu gehört auch die Fähigkeit, flexibel auf veränderte Bedingungen zu reagieren.

Können Kinder durch Fantasiespiele diese Fähigkeiten und Fertigkeiten verbessern? Es gibt Gründe, die dafür sprechen. Ein Beispiel dafür sind die Ergebnisse von Korrelationsstudien.

  • Als Forscher/innen mehr als 100 Kindergartenkinder befragten, stellten sie fest, dass Kinder mit einem ausgeprägten Fantasieleben bei Aufgaben, die einen Wechsel von einem Regelwerk zum anderen erforderten, tendenziell besser abschnitten.
  • Eine Folgestudie mit einer anderen Gruppe von Kindergartenkindern ergab, dass fantasiebegabte Kinder bessere Fähigkeiten zur Bewältigung von Emotionen aufwiesen als ihre Altersgenossen, selbst wenn andere Faktoren wie die Sprachkenntnisse des Kindes berücksichtigt wurden.
  • Andere Untersuchungen zeigten einen Zusammenhang zwischen Fantasiespielen und emotionalem Verständnis bei Erst- und Zweitklässlern: Kinder, die anspruchsvollere Fantasiespiele spielten, neigten dazu, die Gefühle anderer besser zu verstehen.

Und es gibt auch experimentelle Beweise. Eine aktuelle Studie legt nahe, dass wir die exekutive Funktion verbessern können, wenn wir Kinder zum Fantasiespiel ermutigen.

Insgesamt beteiligten sich 110 Kinder – Kindergartenkinder im Alter zwischen 3 und 5 Jahren.

Rachel Thibodeau und ihre Kolleg/innen teilten ein Drittel dieser Kinder nach dem Zufallsprinzip in tägliche, von Erwachsenen angeleitete Fantasiespiele ein (z. B. „Lasst uns Vögel spielen!„).

Eine andere Gruppe von Kindern wurde nach dem Zufallsprinzip für angeleitete Spiele ohne Fantasie (z. B. Ballspielen) eingeteilt.

Und eine dritte Gruppe erlebte in ihrem Kindergarten „business as usual“ – keine speziellen Spielangebote.

Nach 5 Wochen hatten die Kinder in der Gruppe mit den Fantasiespielen deutliche Fortschritte bei der Leistung des Arbeitsgedächtnisses gemacht. Bei den Kindern der anderen beiden Gruppen war das nicht der Fall.

Und als die Forscherinnen und Forscher die einzelnen Kinder der Fantasie-Gruppe genauer untersuchten, stellten sie einen Effekt der Intensität fest. Je mehr ein Kind sich auf das Fantasiespiel einließ, desto größer war seine Verbesserung am Ende der Studie.

Es scheint also, dass Fantasie das kreative Denken anregen und Kinder motivieren kann, neue Wörter zu lernen. Sie kann Kindern auch helfen, Fähigkeiten zu entwickeln, die für die Konzentration und Impulskontrolle wichtig sind. Daran ist nichts Leichtsinniges oder Unnützes.

Und dennoch ist das Praktische nicht alles. Fantasie wäre auch ohne diese praktischen Vorteile wichtig. Sie ist eine Inspiration und eine Freudenquelle. Zudem ermöglicht sie es, Dinge aus neuen Perspektiven zu sehen. Sie kann unsere Lebenserfahrung erheblich erweitern.

Deshalb brauchen wir keine besonderen erzieherischen Begründungen, um der Fantasie eines Kindes nachzugeben. Sie sind einfach das Sahnehäubchen auf dem Kuchen. Wir sind den Kindern die Fantasie genauso schuldig wie Musik, Humor, Wissenschaft, Philosophie und Kunst. Sie ist Teil unseres Erbes als eine kreative Spezies mit großem Denkvermögen. Es ist das Recht unserer Kinder.

Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/spielen-kinder-jungen-altes-buch-7978120/

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