Jäger und Sammler sind egalitär, kooperativ und schützen ihre individuellen Freiheiten. Sie sind dabei auch sehr hilfsbereit. Sie wissen, dass Eltern es nicht schaffen, ihre Kinder ohne Hilfe aufzuziehen. Also packen alle mit an – und die Gesellschaft gedeiht.

Familienförderung. Kinderbetreuung. Unterstützung für Eltern, die sich abkämpfen müssen, um über die Runden zu kommen. Wir verhalten uns manchmal so, als wären diese Strategien die Erfindungen moderner Weltverbesserer. Schließlich ist die gesamte Geschichte unserer Spezies eine Geschichte des Individualismus, oder? Das Überleben des Stärksten? Stammen wir nicht alle von den „Gewinnern“ der Evolution ab – von Vorfahren, die sich aus eigener Kraft behaupten konnten?

Das mag zwar auf den ersten Blick irgendwie wissenschaftlich klingen, ist aber falsch.

Eltern brauchten schon immer Hilfe. Tatsächlich ist unsere Spezies zum Überleben besonders auf die Hilfe von anderen angewiesen, die nicht Eltern sind. Und das war in der Vergangenheit – als unsere Vorfahren vom Jagen und Sammeln lebten – ebenso der Fall wie heute.

Hast du schon einmal versucht, mit einem Baby auf dem Rücken und einem Kleinkind im Schlepptau zehn Meilen durch den Busch zu laufen? Und dabei nach Raubtieren Ausschau zu halten? Während du Süßkartoffeln ausgräbst oder Vogeleier sammelst? Wohl kaum.

Eine Mutter hatte nicht die Möglichkeit, den ganzen Tag zu Hause zu bleiben und die Nahrungssuche jemand anderem zu überlassen. Damals wie heute war es eine Frage der Kosten. Um Kinder großzuziehen und die Familie zu ernähren, mussten sich beide Elternteile beteiligen. Schon damals reichten hierzu zwei Elternteile nicht aus.

Das wird deutlich, wenn wir uns Gesellschaften angucken, die auch heutzutage noch als Jäger und Sammler leben – die Menschen, deren Lebensweise der unserer Vorfahren am meisten ähnelt.

Weltweit gibt es nur noch wenige dieser Gesellschaften, die uns wichtige Erkenntnisse liefern.

Als Anthropologen die Wirtschaft der Jäger und Sammler untersuchten, stellten sie fest, dass Eltern sich nicht selbstständig ernähren können.

Sie erwirtschaften nicht genug, um ihre eigenen Familien zu ernähren. Zudem sind sie nicht ausschließlich für die Kinderbetreuung verantwortlich. Sie bekommen Hilfe- entscheidende und notwendige Hilfe.

Beispiele heutiger Jäger-und Sammler Gesellschaften

Nehmen wir beispielsweise das Volk der Hadza, das im Gebiet des Eyasi-Sees in Tansania lebt.

In seiner Studie über die Hadza fand Frank Marlowe heraus, dass die durchschnittliche erwachsene Hadza-Frau jeden Tag etwa 3016 Kalorien zu sich nimmt. Das galt allerdings nur für Frauen, die keine Kinder unter 8 Jahren hatten.

Wenn man Kleinkinder hinzunimmt, waren die Frauen nicht in der Lage, jeden Tag so viel Nahrung zu sammeln. Vor allem Frauen mit Babys.

Die durchschnittliche stillende Frau nahm nur 1713 Kalorien pro Tag aus der eigenen Nahrungssuche zu sich. Genau zu dem Zeitpunkt, an dem die Mütter eigentlich mehr Kalorien brauchten (um ihre Babys zu ernähren), wurde ihr „Lohn“ für die Nahrungssuche stark geschmälert.

Wie kompensierten die Hadza-Mütter diesen Engpass?

Die Väter erhöhten ihren Anteil an der Nahrungssuche. Im ersten Jahr nach der Geburt erhöhten die Ehemänner ihren durchschnittlichen täglichen Beitrag von etwa 2990 Kalorien auf 3851 Kalorien pro Tag.

Trotzdem hatten diese Familien immer noch einen Defizit zu verzeichnen. Sie kamen alleine nicht über die Runden.

Die Familien wurden deshalb durch andere Menschen – wie die Großmütter – unterstützt. Andere Leute glichen also die Differenz aus.

Und so überleben die Hadza-Babys und werden zu Hadza-Erwachsenen.

Kim Hill und Ana Magdalena Hurtado haben ein ähnliches Muster bei anderen Sammlergruppen in Südamerika dokumentiert.

Verheiratete Paare mit jungen Kindern erwirtschaften nicht genug Nahrung, um ihre Familie zu ernähren. Im Gegenteil, in den Jahren der Kindererziehung haben sie erstaunliche Defizite – jeden Tag fehlen ihnen Tausende Kalorien.

Trotzdem verhungern sie nicht. Sie werden auch nicht als Versager angesehen. Familien werden von anderen Erwachsenen (auch von Menschen mit denen sie nicht verwandt sind) versorgt, denn dies ist notwendig, damit Kinder wachsen und gedeihen können.

Dann gibt es noch die Art von Hilfe, die wir als „Kita“ oder „Babysitting“ bezeichnen würden.

Das vermeintliche Futtersuch-Szenario, das ich vorhin beschrieben habe? Dass die Mutter ihr Kleinkind mitnimmt? So sieht es normalerweise nicht aus.

Eine stillende Mutter wird ihr Baby mitnehmen. Doch ältere Kinder? Häufig lässt ihre Mutter sie im Lager zurück. Das funktioniert nur, weil Jäger und Sammler eine kostenlose, kameradschaftliche Form der Kita genießen.

Die Kinder verbringen ihre Zeit hierbei meist in altersübergreifenden Gruppen. Die ältesten Kinder dienen als Babysitter und werden von Erwachsenen unterstützt, die zurückbleiben, um auf die Kinder aufzupassen und Hausarbeiten zu erledigen.

Die Eltern der Jäger und Sammler erhalten also kostenlose Kita-Betreuung für ihre Kleinkinder und älteren Kinder sowie eine direkte wirtschaftliche Unterstützung. In vielen Fällen erhalten die Mütter auch bei der Betreuung ihrer Babys tatkräftige Unterstützung.

Eine kürzlich durchgeführte Untersuchung von fünf verschiedenen traditionellen Sammlergesellschaften (in Afrika, Australien, Südamerika und auf den Philippinen) ergab, dass die Mütter etwa die Hälfte der Betreuung ihrer eigenen Babys übernahmen. Der Rest wurde von älteren Geschwistern, Vätern und Großmüttern übernommen.

Sogar bei den Kalahari San – einem Volk, das für sein hohes Maß an mütterlicher Fürsorge bekannt ist – übernehmen die Mütter diese Aufgabe nicht allein. In einer Studie fand Melvin Konner heraus, dass etwa 20-25 % aller Körperkontakte, die Babys in den ersten 20 Monaten hatten, auf andere Personen fielen.

Wie verbreitet sind diese Unterstützungen in Bezug auf Versorgung und Kinderbetreuung?

Ziemlich weit verbreitet – vor allem, wenn es schwere Zeiten sind. Die heutigen Jäger und Sammler leben in einer Vielzahl von Lebensräumen und haben jeweils ihre eigene, ausgeprägte Kultur. Deswegen unterscheiden sie sich im Detail.

In der Regel nimmt die Hilfe bei der Betreuung aber zu, je schwieriger die Situation ist. Je schwerer es ist, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Eltern Hilfe erhalten.

Und das Teilen von Lebensmitteln? Dafür sorgen, dass jedes Gruppenmitglied bekommt, was es braucht? Das ist die Grundlage aller Jäger- und Sammler-Gesellschaften.

Aber warum? Warum verhalten sich Jäger und Sammler so? Warum verhalten sie sich nicht … selbstsüchtiger?

Es liegt nicht daran, wie die liberale Ikone Ayn Rand einmal behauptete, dass Jäger und Sammler einfühlsame Menschen sind, die sich anpassen. Es liegt nicht daran, dass Jäger und Sammler keinen Wert auf persönliche Freiheit oder individuelle Rechte legen.

Im Gegenteil: Anthropologen, die Jäger und Sammler studiert haben, sind sich einig, dass diese Menschen sehr viel Wert auf Autonomie legen. Es gibt keine offiziellen Hierarchien. Alle Erwachsenen haben die gleiche Autorität bei Entscheidungen. Sie dulden keine Rechthaberei. Sie kommandieren ihre Kinder nicht herum, geschweige denn einander.

Wenn es um den Themenbereich Wirtschaft geht, verhalten sich Jäger und Sammler vernünftig. Sie wissen, dass sie ohne das Teilen von Nahrung nicht überleben können. Nicht langfristig.

Sicher, ein kinderloser Erwachsener – ein unverheirateter Mann mit herausragenden Jagdfähigkeiten – ist vielleicht in der Lage, sich selbst zu ernähren, ohne die Hilfe anderer. Zumindest heute.

Doch hätte er nicht bis zum Erwachsenenalter überlebt, hätten seine Eltern keine Hilfe bekommen.

Und die anderen aus seiner Gruppe? Die Menschen, auf die er sich bei der Verteidigung von Gruppen verlässt? Für den Austausch von Ressourcen? Für den Austausch von Informationen über die Umwelt?

Ohne die Unterstützung in der Kindheit hätten sie wohl kaum überlebt.

Genauso wichtig ist, dass das Teilen diesem Mann hilft, mit den unberechenbaren Ereignissen des Lebens umzugehen. Jägerinnen und Jäger haben oft Pech und können viele Tage hintereinander keine Beute machen. Sammlerinnen und Sammler werden manchmal krank oder verletzen sich. Was dann? Teilen ist ihre Absicherung, ihr Rückhalt.

Die moderne Welt

Unsere Gesellschaft ist nicht so egalitär wie die der Jäger und Sammler. Wir leben nicht in kleinen Gruppen. Die Wirtschaft unserer Gesellschaft basiert nicht auf der Nahrungssuche.

Aber diejenigen von uns, die Eltern werden, brauchen trotzdem Hilfe. In mancher Hinsicht sind wir sogar noch belasteter und noch bedürftiger.

Den meisten von uns fehlt die kostenfreie Kinderbetreuung, die für die Jäger und Sammler selbstverständlich ist. Um einer Beschäftigung nachzugehen, ziehen wir an Orte, die weit von anderen Familienmitgliedern entfernt liegen. Unsere Kinder brauchen mehr Zeit – und eine längere Bildung-, um die notwendigen Fähigkeiten für die finanzielle Unabhängigkeit zu entwickeln. Das ist sehr kostspielig.

Zudem sind wir, genau wie unsere Vorfahren, die Jäger und Sammler waren, eng miteinander vernetzt. Kinder anderer Menschen – ihre Erfolge und Misserfolge – beeinflussen den Rest der Gesellschaft.

Armut setzt Kinder einem Risiko für chronische Krankheiten aus. Sie treibt die Kriminalitätsrate in die Höhe. Sie führt zu schlechten schulischen Leistungen. Und all das senkt die wirtschaftliche Produktivität einer Gesellschaft.

Eine aktuelle Analyse der US-Wirtschaft schätzt, dass Kinderarmut mehr als eine Billion Dollar pro Jahr kostet – 5,4 % des Bruttoinlandsprodukts der USA.

Allein dieser Umstand ist schon dramatisch, doch es kommt noch schlimmer: Es gibt zusätzlich noch die Schwierigkeiten, die andere, wirtschaftlich besser gestellte Familien haben.

Man muss nicht ganz unten auf der sozioökonomischen Leiter stehen, um Widrigkeiten und schädlichen Stress zu erfahren.

In den Vereinigten Staaten zum Beispiel führt der ungedeckte Bedarf an bezahlbarer, qualitativ hochwertiger Kinderbetreuung zu großen Problemen, die viele Eltern dazu zwingen, ihren Job aufzugeben oder weniger zu arbeiten.

Und was ist bei Kindern mit besonderen Problemen – wie Entwicklungsstörungen, Krankheiten oder Lernschwächen?

Eltern können diese Probleme unmöglich allein lösen, und wenn aus ihren Kindern mit Schwierigkeiten Erwachsene mit Schwierigkeiten werden, zahlt die gesamte Gesellschaft den Preis dafür.

Doch ein Mythos hält sich trotzdem hartnäckig – der Mythos der Selbständigkeit, der Mythos, dass Elternschaft eine rein private Angelegenheit ist. Ein teures, chaotisches, eitles Projekt, das die Eltern allein bewältigen sollen.

Wie? Du hast ein Hobby mit exotischen Blumen begonnen, und jetzt ist es dir zu anstrengend? Und brauchst jemanden, der dir hilft, die Luftfeuchtigkeit zu kontrollieren, während du auf der Arbeit bist? Du kannst es dir nicht leisten, genug Dünger zu kaufen? Deine Pflanzen bekommen nicht genug Sonnenlicht? Das ist traurig, aber nicht mein Problem.

Unsere Vorfahren sind nicht auf diese Art und Weise an die Kindererziehung herangegangen. Sonst wären wir längst ausgestorben. Wenn es um den Erfolg der nächsten Generation geht, sind wir alle beteiligt. Ob wir nun Eltern sind oder nicht.

Wollen wir in einer Gesellschaft leben, die sicher und geordnet ist? Eine Gesellschaft mit weniger Kriminalität und weniger Gefahren für das Allgemeinwohl?

Wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der wir Kindern helfen, ihr volles Potenzial auszuschöpfen, damit sie zu leistungsfähigen, qualifizierten und zuverlässigen Erwachsenen heranwachsen? Menschen, die Probleme lösen, Rechnungen bezahlen, innovativ sind, bauen, gestalten, entdecken, schützen und die Welt zu einem besseren Ort machen?

Es ist an der Zeit, sich auf unser Vermächtnis zu besinnen auf die grundlegenden Werte, die uns zu Menschen machen.

Bildquelle: https://unsplash.com/photos/yrzBgqapG1I

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