Die Behandlung der Wochenbettdepression ist wichtig für das Wohlbefinden der Mutter. Doch Studien deuten darauf hin, dass sie auch dem Baby zugute kommt, da die Fähigkeit des Babys zur Regulation von Emotionen verbessert wird.
Stell dir vor, du bist ein Baby im Labor eines Forschers. Du sitzt auf dem Schoß deiner Mutter, schaust nach vorne und blickst einen freundlichen Fremden an.
Du trägst eine kleine EEG-Mütze auf dem Kopf – ein Gerät, das mit Elektroden ausgestattet ist, um die Gehirnaktivität zu messen. Auch deine Herzfrequenz wird gemessen, obwohl du es gar nicht mitbekommst.
Das was dich am meisten beschäftigt, ist die freundliche Fremde. Sie bietet dir ein interessantes Spielzeug an, das sie dir präsentiert.
Wie reagierst du? Welche Arten von physiologischen Veränderungen erlebst du?
Auswirkungen der Wochenbettdepression auf das Baby
Das hängt natürlich von vielen Dingen ab, unter anderem von deinem Temperament. Doch es hängt auch davon ab, ob deine Mutter klinisch depressiv ist oder nicht.
Wenn Frauen an einer Wochenbettdepression (PPD) leiden, neigen ihre Babys dazu, sich schwerer beruhigen zu lassen und weniger zu kuscheln. Ihre Babys haben weniger Freude an entspannten, unauffälligen Aktivitäten. Außerdem schenken ihre Babys Dingen weniger Aufmerksamkeit.
In einer Situation wie dieser – der Begegnung mit einem freundlichen Fremden – kommt es bei diesen Babys eher zu körperlichen Reaktionen, die mit Stress, negativen Emotionen und Verhaltensproblemen zusammenhängen.
Gehirnaktivität und Herzschlag
Nehmen wir zum Beispiel die Gehirnaktivität. Wenn du als Baby einen freundlichen Fremden triffst, ist eine normale Reaktion eine erhöhte Aktivität auf der linken Seite der Frontalregionen des Gehirns. Dieses Muster der Asymmetrie (links über rechts) ist mit der Entwicklung einer besseren Regulierung von Emotionen verbunden.
Wenn Babys depressive Mütter haben, kommt es zu einem entgegengesetzten Muster: Die Aktivität auf der rechten Seite des präfrontalen Kortex ist erhöht. Dieses Muster wird mit negativen Emotionen und sozialem Rückzug in Verbindung gebracht.
Wie sieht es mit deinem Herzschlag aus? Wenn du jemand Neues kennenlernst, ist es normal, dass dein Herzschlag stark schwankt. Das ist ein Zeichen dafür, dass du schnell umschalten kannst, dass du flexibel bist. Nicht übermäßig gestresst.
Aber leider haben Babys depressiver Mütter oft eine geringere Variation der Herzfrequenz. Und das ist ein Zeichen dafür, dass etwas nicht in Ordnung ist – dass das Gehirn mehr Probleme hat, mit Stress umzugehen.
Kognitive Leistung
Es gibt auch noch weitere Anzeichen für Probleme. Es gibt einen Zusammenhang zwischen mütterlichen Depressionen und Entwicklungsproblemen.
Babys mit depressiven Müttern haben ein höheres Risiko für schlechte kognitive Leistungen. Sie neigen dazu, ihre sprachlichen Fähigkeiten in einem langsameren Tempo zu entwickeln. Und es ist wahrscheinlicher, dass sie Verhaltensprobleme und Stimmungsstörungen entwickeln.
Weshalb stehen die Depressionen der Mütter mit schlechteren Leistungen der Kinder im Zusammenhang?
Bis zu einem gewissen Grad ist es eine Folge der gemeinsamen Gene. Aufgrund genetischer Faktoren kann eine Frau ein höheres Risiko für emotionale Schwierigkeiten haben – einschließlich Wochenbettdepressionen. Erbt ein Kind diese genetischen Faktoren, ist es wahrscheinlicher, dass es Probleme mit der Emotionsregulierung entwickelt.
Doch es gibt auch eine große umgebungsbedingte Komponente. Wenn Eltern depressiv sind, gehen sie nicht auf dieselbe Weise mit ihren Kindern um. Sie zeigen weniger Wärme, Nähe oder Einfühlungsvermögen und lassen sich seltener auf Gespräche mit ihren Kindern ein, bei denen sie auf diese eingehen.
Zudem legen Studien nahe, dass depressive Eltern ihren Kindern seltener vorlesen oder mit ihnen spielen. Sie lächeln weniger und teilen ihre Freude und guten Gefühle seltener mit.
Depressionen erschweren es Eltern also, sich auf ihre Kinder einzustellen. Sie kann die Beziehung zwischen Eltern und Kindern beeinträchtigen und Eltern daran hindern, ihren Kindern wichtige Lektionen zu vermitteln. Es ist nicht verwunderlich, dass Kinder dann Schwierigkeiten haben.
Depressionen lassen sich überwinden
Verstörend? Klar. Doch das ist keine Hiobsbotschaft. Mit entsprechender Hilfe können Eltern eine Depression überwinden. Wenn Eltern sich behandeln lassen, profitieren auch die Kinder davon.
Es ist erwiesen, dass die Behandlung von Wochenbettdepressionen Babys dabei hilft, ihre Gefühle besser zu regulieren
Wie lässt sich die Idee überprüfen, dass eine Behandlung von postpartalen Depressionen für Babys von Vorteil ist?
Kontrollierte, randomisierte Experimente sind normalerweise der beste Weg, um solche Fragen zu beantworten. Doch hierbei gibt es ein großes ethisches Problem. Niemand will eine Gruppe von depressiven Müttern auswählen und die Familien nach dem Zufallsprinzip verschiedenen Testbedingungen zuordnen.
Gib einem Teil der Mütter eine Psychotherapie und ignoriere den Rest. Dann sehen wir, wie sich ihre Babys entwickeln.
Das ist nicht sehr human.
Forscher der McMaster University – nutzen daher einen anderen Ansatz. Zunächst rekrutierten sie Mütter, bei denen in den letzten 12 Monaten nach der Geburt eine schwere Depression diagnostiziert wurde.
Dann wurden diese Mütter mit einer Kontrollgruppe verglichen – Frauen, die nicht depressiv sind, aber Babys des gleichen Alters und Geschlechts haben und aus ähnlichen sozioökonomischen Verhältnissen stammen.
Danach untersuchten sie alle Babys. Dabei wurde festgestellt, wie der Ausgangszustand der Babys war – bevor die depressiven Mütter behandelt werden.
Nach diesen ersten Tests wurde den Müttern mit Problemen eine Therapie angeboten. Anschließend wurden die Babys erneut untersucht und beurteilt, wie es den Kindern der depressiven Mütter geht. Verhalten sie sich noch genauso wie vorher? Oder ähneln sie allmählich mehr den gesunden Kindern nicht depressiver Mütter?
Die Behandlung von Depressionen hilft auch Babys
Die Forscher untersuchten dies in zwei verschiedenen Studien, und in beiden Fällen konnten sie im Laufe der Zeit eine Veränderung bei den Babys feststellen.
In der einen Studie untersuchten die Forscher die Reaktionen der Babys auf die Situation „freundlicher Fremder mit Spielzeug“.
Die Babys depressiver Mütter wiesen in allen Kriterien eine schlechtere Emotionsregulierung auf – niedrigere Werte bei Verhaltensmustern wie der Fähigkeit sich zu beruhigen, höhere Aktivität auf der rechten Seite des frontalen Kortex und eine geringere Variation der Herzfrequenz.
Doch das war, bevor die Mütter neun Wochen lang an einer kognitiven Verhaltenstherapie teilnahmen. Dies ist eine Art „Gesprächstherapie“, die dabei hilft, schlechte Denkweisen und Gewohnheiten zu erkennen und sie durch effektive Strategien zur Problemlösung zu ersetzen.
Nach dieser Behandlung ging es den Babys besser – so sehr sogar, dass sich ihre Reaktionen nicht mehr von denen der Babys in der Kontrollgruppe unterschieden. Sie reagierten und verhielten sich wie die Babys von Müttern, die nie unter einer Wochenbettdepression litten.
Diese erfreuliche Entwicklung wurde in einer zweiten Studie bestätigt, in der die Forscher untersuchten, wie die Babys auf einen potenziell beunruhigenden Eindruck reagierten – ihre eigenen Mütter, die sie mit einem starren, emotionslosen Blick anstarrten.
Zu Beginn der Studie gab es einen deutlichen Unterschied. Babys mit depressiven Müttern reagierten auf das „starre Gesicht“ eher mit einem betrübten Verhalten oder versuchten, sich abzulenken.
Nachdem ihre Mütter jedoch eine kognitive Verhaltenstherapie absolviert hatten, zogen sich diese Babys weniger zurück und reagierten schließlich genauso auf das „starre Gesicht“ wie Babys, deren Mütter nie eine Wochenbettdepression hatten.
Die Behandlung der Wochenbettdepression ist ein wichtiger Baustein
Bedeutet das, dass alles gut wird, wenn sich die Mütter wegen einer Wochenbettdepression behandeln lassen?
Eine Behandlung ist unheimlich wichtig, vor allem, wenn man bedenkt, wie hartnäckig Wochenbettdepressionen sind. In einer kürzlich durchgeführten Studie unter amerikanischen Müttern litten 25 % auch drei Jahre nach der Geburt immer noch unter Symptomen einer Depression. Das ist nichts, was man „aussitzen“ will.
Es ist aber auch entscheidend zu wissen, dass die Behandlung von Wochenbettdepressionen nur ein Teil der Lösung ist.
Wie bereits erwähnt, kann eine Depression die Beziehung zwischen Eltern und Kind beeinträchtigen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Familien in einen Teufelskreis geraten – sie reagieren in einer Weise aufeinander, die immer mehr Negativität hervorruft. Eine Therapie der Depression ist hilfreich, aber sie wird nicht zwangsläufig alle diese Verhaltensweisen ändern. Nicht, wenn sie zur Gewohnheit geworden sind.
Deshalb ist es häufig nicht ausreichend, nur die Depression zu behandeln. Eltern benötigen womöglich Hilfe, um die Beziehung zwischen Eltern und Kind wieder in Ordnung zu bringen. Sie müssen lernen, die Signale ihres Babys richtig zu deuten und die bestmöglichen Strategien für herausfordernde Verhaltensweisen finden – Strategien, die die Bindungsbeziehung zwischen Eltern und Kind stärken und die Entwicklung von emotionalen und sozialen Kompetenzen fördern.
Therapien zur Verbesserung der Beziehung
Welche Therapien sind für die Verbesserung der Beziehung zwischen Eltern und Kind geeignet?
Forscher haben verschiedene Ansätze getestet, darunter folgende:
- Video-Feedback. Eltern und Kind werden bei alltäglichen Aktivitäten gefilmt; ein geschulter Therapeut zeigt den Eltern die Höhepunkte und macht sie auf Momente aufmerksam, in denen die Eltern besonders gut auf die Signale des Kindes reagierten.
- Psychotherapie für Eltern und Baby. Ein Therapeut trifft sich mit Eltern und Kind und hilft den Eltern, einen maßgeschneiderten Ansatz zur Verbesserung des Verhaltens des Kindes zu finden.
- Interaktionstherapie zwischen Eltern und Kind. Dies ist ein Ansatz zur Bewältigung von Verhaltensproblemen bei Kindern im Alter von zwei bis sieben Jahren.
- Gruppenbasierte Maßnahmen, die direkte Anweisungen (wie du die Signale deines Kindes besser deuten kannst) mit praktischen Übungen kombinieren.
Wirksamkeit der Therapieverfahren
Es gibt Studien, welche die Anwendung dieser Ansätze untermauern. Doch leider fehlt es vielen dieser Studien an strengen Kontrollverfahren. Daher stufen Experten die Erkenntnisse oft als uneinheitlich oder unschlüssig ein.
So berichtet eine aktuelle Metaanalyse veröffentlichter Studien von „… mäßigen Beweisen dafür, dass Video-Feedback das Einfühlungsvermögen von Eltern gegenüber ihren Kindern verbessert, die wegen einer Reihe von Problemen ein Risiko für schlechte Bindungsbeziehungen haben.“ Allerdings gibt es „keine Beweise für die Effektivität von Video-Feedback auf das Verhalten von Kindern“.
Eine weitere Meta-Analyse kam zu dem Schluss, dass die Eltern-Kind-Therapie zwar ein vielversprechendes Modell ist, um die Bindungsbeziehung von Babys in Hochrisikofamilien zu verbessern, es aber keine nennenswerten Unterschiede im Vergleich zu keiner Behandlung oder herkömmlicher Therapie in Bezug auf andere eltern- oder beziehungsbezogene Aspekte gab.
Ich denke jedoch, dass sich jeder Ansatz lohnt, wenn er dabei hilft, (1) positive Gefühle zu vermitteln und Stress zu reduzieren, (2) dein Baby zu verstehen und sich darauf einzustellen und (3) sich respektiert, unterstützt und kompetent zu fühlen.
In diesem Sinne berichtet eine aktuelle australische Studie von guten Ergebnissen eines gruppenbasierten Programms für Mütter, die sich von einer Depression erholen.
Alle Mütter in der Studie erhielten eine kognitive Verhaltenstherapie zur Behandlung von Wochenbettdepressionen. Doch nur die Hälfte von ihnen wurde nach dem Zufallsprinzip für eine zusätzliche Behandlung eingeteilt – vier Sondersitzungen, in denen es darum ging, die Signale des Babys zu beobachten, zu verstehen und zu lernen, wie man am Besten auf diese Signale reagiert, um positive Gefühle und eine gute Bindungsbeziehung zu fördern.
Im Vergleich zu den Mutter-Baby-Paaren der Kontrollgruppe hatten die Mutter-Baby-Paare in der Behandlungsgruppe sechs Monate später weniger Probleme in der Bindungsbeziehung.
Bildquelle: https://www.freepik.com/free-photo/close-up-tired-mom-taking-care-newborn-baby_19122050.htm