Natürliche Veränderungen der Stresshormone während der Schwangerschaft

Langanhaltender, schwerwiegender Stress ist schlecht für die Schwangerschaft. Daran sind die Stresshormone schuld. Bei sehr hohen Stresshormonspiegeln ist die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen schwanger werden, geringer und die Wahrscheinlichkeit einer Fehlgeburt wird größer. Babys werden eher zu früh und untergewichtig geboren. Sie haben auch ein höheres Risiko für Entwicklungsstörungen und Stoffwechselerkrankungen im späteren Leben.

Das bedeutet jedoch nicht, dass eine gute Schwangerschaft eine Schwangerschaft ohne einen erhöhten Stresshormonspiegel ist. In diesem Artikel gehe ich auf die normalen Veränderungen der Hormone ein, die während der Schwangerschaft auftreten. Außerdem erkläre ich:

  • Wie Stresshormone die Entwicklung des Fötus fördern
  • Wie Stresshormone das mütterliche Gehirn anregen können
  • Die negativen Auswirkungen des veränderten Hormonspiegels auf das Gemüt der Mutter

Negativen Folgen von Stress

Wenn du dich in einer Krise befindest – oder einen belastenden Gedanken hast – schüttet dein Gehirn Corticotrophin-Releasing-Hormon (CRH) aus. Dieses Stresshormon löst die Ausschüttung von Glukokortikoiden (Stresshormonen) wie z.B. Cortisol aus. Angeregt durch Glukokortikoide und andere Stresshormone (wie Adrenalin), schalten Gehirn und Körper in den Kampfmodus. Deine Atmung und dein Puls beschleunigen sich, wodurch deinen Muskeln mehr Sauerstoff zur Verfügung steht. Der Blutzuckerspiegel erhöht sich. Kurzfristig unwichtige körperliche Prozesse – wie Verdauung, Wachstum und Reparatur – werden zeitweilig unterbrochen. dein Körper befindet sich im Notstand. Deine Sinne sind aufmerksamer, deine Muskeln einsatzbereit.

Ist die Krise vorbei, sollten deine Stresshormone wieder auf ihr früheres, geringeres Ausgangsniveau sinken. Doch was ist, wenn dein Grundwert ziemlich hoch ist? Erhöhte Grundwerte für Cortisol sind in der Regel ein schlechtes Zeichen. Es ist ein Hinweis darauf, dass dein Körper in ständiger Alarmbereitschaft ist. Dadurch leidet dein Körper unter erhöhtem Verschleiß.

Für eine schwangere Frau und ihren Fötus stellen hohe Cortisolwerte ein besonderes großes Risiko dar. Hohe Cortisolwerte werden mit einem gesteigerten Risiko einer frühen Fehlgeburt in Zusammenhang gebracht. Zudem kann es zu Präeklampsie (schwangerschaftsbedingter Bluthochdruck), Wachstumsverzögerungen beim Fötus, Frühgeburten und Entwicklungsverzögerungen nach der Geburt führen.

Angesichts dieser Risiken sollte man erwarten, dass gute Schwangerschaften von niedrigen Cortisolspiegeln gekennzeichnet sind. Erstaunlicherweise ist das aber nicht der Fall. Der Spiegel der Stresshormone steigt während einer Schwangerschaft an.

Der normale Verlauf

Im zweiten Trimester der Schwangerschaft steigt der Spiegel des Corticotrophin-Releasing-Hormons (CRH) im Blut stark an. Unter normalen Umständen würde ein solcher Anstieg eine übermäßige Produktion von Glukokortikoiden bei der Mutter auslösen. Doch hormonelle Signale sind wirkungslos, wenn es keinen Empfänger für sie gibt. Um ihre Wirkung zu entfalten, muss CRH sich mit speziellen Rezeptoren im Gehirn verbinden.

Schwangere Frauen produzieren große Mengen eines CRH-bindenden Proteins („CRH-BP“), das verhindert, dass CRH von den Rezeptoren erkannt und verwendet wird. Infolgedessen wird das meiste zusätzliche CRH ineffektiv.

In den letzten Wochen der Schwangerschaft ändert sich die Lage jedoch. In dieser Zeit steigt der CRH-Spiegel sogar noch weiter an. Gleichzeitig nehmen die CRH-bindenden Proteine ab. Schlagartig sind große Mengen an CRH verfügbar und effektiv. Dieser Anstieg von effektivem CRH steht mit einem starken Anstieg des Cortisolspiegels im Zusammenhang.

Der Cortisolspiegel beginnt im zweiten Trimester zu steigen, erreicht aber erst gegen Ende der Schwangerschaft seinen Spitzenwert. In den letzten Wochen vor der Geburt ist der Cortisolspiegel zwei- bis dreimal so hoch wie normal. Diese hohen Werte sind vergleichbar mit den Cortisolwerten von Menschen mit schweren melancholischen Depressionen und dem Cushing-Syndrom (eine hormonelle Störung, die mit einer Vielzahl von Gesundheitsproblemen und psychischen Störungen einhergeht – siehe unten).

Was löst diesen Hormonschub aus?

Erhöhte vorgeburtliche Stresshormone wurden bei einer Reihe von Säugetieren festgestellt, darunter Schafe, Nagetiere und Primaten. Die einzelnen Tierarten unterscheiden sich zwar im Detail, aber eine Gruppe – die Anthropoiden (Menschen, Affen und Menschenaffen) – haben eine Besonderheit gemeinsam.

Normalerweise wird CRH vom Gehirn ausgeschüttet. Bei schwangeren Menschenaffen wird der steile Anstieg der Stresshormone des Muttertiers allerdings durch die Plazenta gesteuert – ein Organ, das durch die DNA des Fötus kontrolliert wird. Die Gene des Fötus weisen die Plazenta an, ihren eigenen Bestand an Hormonen auszuschütten. Und diese Hormone gelangen in die Blutbahn des Muttertiers.

Es ist noch unklar, warum die anthropoide Plazenta diese Besonderheit aufweist. Doch wenn die Plazenta so viel zusätzliches CRH ausschüttet, scheint eins sicher zu sein. CRH muss dem Fötus zugute kommen.

Positive Auswirkungen von Stresshormonen auf den Fötus

Was genau machen diese vorgeburtlichen Stresshormone für den Fötus? Forscherinnen und Forscher haben einige wichtige Funktionen aufgedeckt.

Am Anfang der Schwangerschaft unterdrückt CRH das Immunsystem der Mutter und verhindert so, dass der Körper der Mutter den Fötus angreift. Im späteren Verlauf hilft CRH, den Blutkreislauf zwischen der Plazenta und dem Fötus zu regulieren. CRH kann auch dazu beitragen, dass die Organe des Fötus reifen, und scheint den Zeitpunkt der Geburt zu beeinflussen.

Der verspätete Cortisolschub scheint eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Gehirns und der Reifung der Lunge zu spielen. Werden Babys zu früh geboren (vor dem späten Cortisolschub), haben sie ein höheres Risiko für Atemprobleme und Hirnblutungen (interventrikulärer Blutungen). Aus diesem Grund hat das amerikanische Gesundheitsministerium (National Institutes of Health) empfohlen, Frauen, bei denen ein Risiko für eine Frühgeburt besteht, synthetisches Cortisol zu verabreichen.

CRH und Cortisol können auch dazu führen, dass schwangere Frauen schwächer auf akute Stresssituationen reagieren. Demnach stellt sich das System der Stressreaktion auf einen hohen Grundwert des Cortisols ein, indem es spätere Stresssignale „ausblendet“. Diese Theorie wird dadurch untermauert, dass Frauen im letzten Abschnitt der Schwangerschaft keinen erhöhten Cortisolspiegel aufwiesen, nachdem sie ihre Hände in eiskaltes Wasser tauchten.

Die Vorbereitung des Gehirns auf die Mutterschaft

Eine der spannendsten Funktionen von Stresshormonen betrifft das mütterliche Verhalten. CRH – oder die Hormone, die durch CRH angeregt werden – könnten dazu beitragen, das Gehirn der Schwangeren auf die Mutterschaft vorzubereiten.

So wurde zum Beispiel der Cortisolspiegel vor der Geburt bei Pavianen mit einer aufmerksameren Mutterschaft in Verbindung gebracht. In einer Studie wurde festgestellt, dass die Mütter, die mehr Zeit damit verbrachten, ihre Babys zu überwachen, zu pflegen und zu manipulieren, während der Schwangerschaft einen höheren Cortisolspiegel hatten.

Die Forschung zeigt beim Menschen ähnliche Ergebnisse. In einer Studie wurde der Cortisolspiegel innerhalb von 24-48 Stunden nach der Geburt gemessen – ein Zeitraum, in dem die Frauen noch unter dem Einfluss der Schwangerschaftshormone stehen. Die Forscher/innen baten die Frauen, den Aufnahmen des Weinens eines Babys zuzuhöre, und maßen den Cortisolspiegel vor und nach dem Hören. Die Mütter, die mehr Anteilnahme an dem Weinen des Babys zeigten, hatten einen höheren Cortisolspiegel im Ausgangszustand. Zudem hatten die Mütter, die mehr Mitgefühl zeigten, eine höhere Herzfrequenz – sowohl vor als auch nach dem Anhören der Aufnahme.

Andere Forschungsergebnisse zeigen, dass Frauen die nach der Geburt einen höheren Cortisolspiegel haben

  • besseres mütterliches Verhalten gegenüber ihren Babys
  • eine größere Vorliebe für den Geruch ihres Babys haben und
  • eine bessere Fähigkeit, den Geruch ihres Babys von dem anderer Babys zu unterscheiden.

Wie beeinflussen die Stresshormone das Verhalten von Müttern? Das ist noch unklar. Womöglich wirken sich die Hormone direkt auf das Gehirn der Mutter aus und machen sie wachsamer und emotional wacher. Es kann aber auch sein, dass ein höherer Cortisolspiegel lediglich als Anzeichen für weitere hormonelle Veränderungen dient. Das CRH der Plazenta und das Cortisol, das es stimuliert, lösen die Produktion von Östrogen aus. Östrogen wiederum kann Frauen sensibler für Oxytocin und Endorphine machen – die „Wohlfühl“-Hormone, die die Bindungsfähigkeit zwischen Mutter und Kind fördern.

Unangenehme Begleiterscheinungen von Stresshormonen

Es scheint, dass vorgeburtliche Stresshormone viele gute Eigenschaften haben. Doch gibt es auch eine Kehrseite? Normalerweise ist ein hoher Grundwert des Cortisols ein Anzeichen für das Cushing-Syndrom, das mit einer Vielzahl von Gesundheitsproblemen und Stimmungsschwankungen wie Angstzuständen, Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen und Schlaflosigkeit einhergeht. Ein hoher Grundwert des Cortisols wird auch mit melancholischen Depressionen in Verbindung gebracht. Patienten mit melancholischer Depression verlieren ihre Fähigkeit, Freude oder Fröhlichkeit zu empfinden. Sie sind körperlich unruhig, leiden unter Schlaflosigkeit und haben einen geringen Appetit.

Angesichts dieser Zusammenhänge scheint es plausibel, dass erhöhte Stresshormone zu Stimmungsschwankungen bei schwangeren Frauen beitragen. Und die psychischen Auswirkungen könnten sich sogar bis ins Wochenbett fortsetzen.

Einige Studien berichten, dass der Grundwert des Cortisolspiegels innerhalb weniger Tage nach der Geburt sinkt. Bei einigen Frauen bleibt der Grundwert nach der Geburt jedoch erhöht, und erreicht erst nach 8 Wochen wieder den Wert vor der Schwangerschaft. Dies legt nahe, dass erhöhtes Cortisol einige Stimmungsschwankungen nach der Geburt verursacht. Interessanterweise zeigten Ratten nach der Geburt Anzeichen von depressivem Verhalten, wenn ihnen ein Hormon dem Cortisol für Ratten entsprechend injiziert wurde.

Es bedarf jedoch noch mehr Forschung, um eindeutige Beweise zu liefern. Die Schwangerschaft und die Geburt sind mit Veränderungen vieler Hormone verbunden, nicht nur mit Stresshormonen. Um Cortisol als Ursache für Stimmungsschwankungen von Müttern zu identifizieren, müssen die Auswirkungen anderer Hormone ausgeschlossen werden. Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit, dass zu wenig Cortisol Probleme mit der Stimmung verursacht. Wenn Frauen im Wochenbett kurz nach der Geburt einen raschen Cortisolabbau erleben, haben sie möglicherweise ein höheres Risiko, eine atypische Depression zu entwickeln. Trotz des Namens ist die atypische Depression häufiger als die melancholische Depression (siehe oben). Patienten mit atypischer Depression bewahren sich die Fähigkeit, Freude zu empfinden, doch essen und schlafen mehr als gesunde Menschen.

Werden die Auswirkungen von Stress durch die Mutterschaft begrenzt?

Letztlich ist unklar, ob schwangere Frauen und Frauen nach der Geburt Stress auf die gleiche Art und Weise empfinden wie andere Menschen auch. Wie bereits erwähnt, dämpfen erhöhte Stresshormone möglicherweise das System der Stressreaktion, so dass Mütter in stressigen Situationen schwächer – und nicht stärker – reagieren. Außerdem haben Mütter, die nach der Geburt stillen, eventuell einen besonderen Schutz gegen Stress. Nachdem sie einem Stressfaktor begegneten, weisen Frauen, die stillten, niedrigere Cortisolwerte auf als Frauen, die nicht stillten.

Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/schwangere-frau-die-bauch-beim-stehen-im-wald-umarmt-4409091/

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