Für die jungen Väter von heute ist Kindererziehung mehr denn je eine praktische Erfahrung – und die Männer sind stolz darauf.
Vaterschaft im 21. Jahrhundert
Es ist ein milder Samstagnachmittag, ein perfekter Tag, um Fußball zu schauen, den Rasen zu mähen oder Besorgungen zu machen. Stattdessen versammelt sich eine Gruppe von Männern in Jeans in einem sonnigen Raum hinter einem Laden in Neukölln, Berlin. Sie sitzen auf dem Boden zwischen gelben Sitzkissen und haben alle ein Baby auf dem Schoß oder in einem Autositz neben sich sitzen. Diese Männer haben sich versammelt, um etwas zu tun, was ihre eigenen Väter verspottet oder zumindest missverstanden hätten: Sich bei einem beliebten Programm namens „Zeit für Väter“ miteinander – und mit ihren Babys – zu beschäftigen.
„Mein Vater schikaniert mich wegen dieses Kurses“, scherzt Klaus, 27, Krankenpfleger in der Onkologie, hinterher. „Er sagt: ‚Du machst was?‘“ Aber Klaus findet das Programm – ein Haufen Jungs, die zusammensitzen und über Babykram quatschen – großartig. „Es bringt uns Väter aktiv in den Prozess ein“, sagt er, während er den 3 Monate alten Jakob sanft schaukelt. „Wir sind nicht mehr nur am Seitenrand, sondern spielen mit.“
Das ist der Vater des 21. Jahrhunderts, ein Mann, der Milchflecken auf seiner Schulter stolz als Kampfnarbe trägt, nicht als peinlichen Fleck. Er gibt sich nicht länger mit einer Nebenrolle im Leben seiner Kinder zufrieden. Heute besucht der moderne Vater nicht nur Geburtsvorbereitungskurse, merkt sich die Nummer des Kinderarztes und hilft bei der Auswahl der Babyausstattung, sondern bleibt auch zu Hause, wenn sein Kind krank ist, bringt es in die Kita und nimmt an Programmen wie „Zeit für Väter“ teil.
Gemeinsame Elternschaft
Auch wenn ihre Zahl immer noch gering ist, reduzieren immer mehr Männer ihre Arbeit oder geben sie ganz auf, um eine Familie zu gründen. Und selbst diejenigen, die die traditionelle Ernährer-Rolle beibehalten, unterscheiden sich von den Vätern der Vergangenheit: Viele sagen, dass sie sich freier fühlen, fürsorglichere, liebevollere und emotional ausdrucksstärkere Eltern zu sein, ohne sich Sorgen zu machen, dass ihre Männlichkeit in Frage gestellt werden könnte.
Die Zahl der Männer, die sich für die gemeinsame Elternschaft interessieren, ist höher als je zuvor. In Kursen über die Entwicklung von Kindern erzählen junge Männer, dass sie sich mehr um ihre Kinder kümmern wollen. Sie fühlen sich nicht wohl, wenn sie so wenige Erinnerungen an ihre Väter haben, die an ihrem Leben teilhaben. Sie wollen die Dinge anders machen.
Die neue Sensibilität spiegelt das Zusammentreffen vieler Trends wider: Viele der jungen Väter von heute sind Söhne von berufstätigen Müttern und mit flexibleren Ansichten über Geschlechterrollen aufgewachsen. Viele von ihnen haben berufstätige Ehefrauen – wer kann es sich heute noch leisten, von einem Einkommen zu leben? – und von ihnen wird erwartet, dass sie zuhause mithelfen. Außerdem ist der Arbeitsplatz nicht mehr so starr wie früher, als man von Montag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr im Büro sitzen musste; die Technologie hat es einfacher denn je gemacht, jederzeit und überall zu arbeiten.
Qualitätszeit mit den Kindern
Mach dir nichts vor – das ist keine Revolution. Der typische Vater verbringt 6,5 Stunden pro Woche mit seinen Kindern, weniger als eine Stunde pro Tag und weit weniger Zeit als die typische Mutter. Dennoch ist das mehr als doppelt so viel wie die 2,6 Stunden, die Männer vor 30 Jahren für ihre Familien aufbrachten. Und den meisten Berichten zufolge ist die Zeit, die Väter mit ihren Kindern verbringen, keine Zeit, in der sie Sport schauen und auf ihren Handys tippen, sondern echte Qualitätszeit. Ein Bericht ergab, dass von den fast 600 befragten Vätern 92 Prozent angaben, dass Liebe und Zuneigung zu ihren Kindern ihre wichtigste Aufgabe sei. „Ich bin ein ganz anderer Vater als mein Vater“, sagte einer der befragten Väter. „Zuneigung, Knutschen, Kuscheln – mein Sohn und ich haben kein Problem damit. Es ist nicht so, dass mein Vater kalt und distanziert war, aber er war ein Mann und ich war ein Mann. Wir haben nie über unsere Gefühle gesprochen. Wir haben uns Karatefilme angesehen. Das mache ich auch mit meinem Sohn, aber ich singe ihm auch Schlaflieder vor.“
Der Trend des Vaterseins
Vor einer Generation wäre die Idee eines Wickeltisches in der Männertoilette oder von Babyartikeln für Männer noch Stoff für eine Stand-up-Comedy-Nummer gewesen. Jetzt nicht mehr. Bei Restaurants und Einkaufszentren werden die Toiletten mehr und mehr so ausgestattet, dass Väter den Wickeldienst übernehmen können. Auf dem Markt gibt es immer mehr Babyartikel, die für Männer entwickelt wurden. „Einige unserer Wickeltaschen für Väter sind so beliebt, dass wir sie kaum auf Lager halten können“, sagt Johannes B., Mitbegründer eines Unternehmens, das Produkte für Männer herstellt, um Babyartikel zu transportieren. Johannes und sein Geschäftspartner gründeten das Unternehmen in 2019, und innerhalb von drei Jahren hat sich der Umsatz vervierfacht. „Väter sind jetzt nicht nur stolz auf ihre Kinder, sondern auch darauf, aktive Eltern zu sein“, sagt Johannes.
Wenn du dich umschaust, wirst du überall Beweise für den neuen Vaterstolz sehen. Am Arbeitsplatz geben Männer vor ihren Kollegen mit ihren Kindern an und holen Fotos aus der Tasche, als wären es Visitenkarten. Am Wochenende tragen sie ihr Neugeborenes stolz auf der Brust, setzen sich zu Märchenstunden und Teepartys und füttern Kinder mit Rosinen, während sie sie durch den Supermarkt schieben.
Die Promi-Magazine sind voll mit Bildern von Vätern wie Matt Damon, Brad Pitt und Ben Affleck, die mit ihren Babys und Kleinkindern im Schlepptau durch die Stadt stolzieren. Und im Fernsehen tauschen Comedians Geschichten über ihre Kinder aus. Sogar in der machohaften Welt des Sports sind stolze Väter zu sehen, die stolzer sind als je zuvor: Fußballspieler sieht man immer öfter mit ihren Kleinen nach dem Spiel auf dem Feld. Vatersein ist schick, es ist in, es kostet diese Männer nicht mehr ihre Männlichkeit. Das ist ein großer gesellschaftlicher Wandel.
Langsam aber sicher macht sich dieser Wandel auch in Zahlen bemerkbar. In einer kürzlichen Umfrage einer Online-Jobagentur, nannten Väter flexible Arbeitszeiten als die Vorteile, die sie am meisten schätzen, gefolgt von Telearbeit und Kinderbetreuung vor Ort. Die Umfrage ergab auch, dass 71 Prozent der Väter mit einem Kind unter 5 Jahren angaben, dass sie sich von der Arbeit freigenommen haben, um ein Kind zu betreuen, wenn ihr Unternehmen dies erlaubte.
Die Entscheidung, wer zuhause bleibt
„Als ich krank war, ist mein Vater nie zu Hause geblieben“, sagt Peter, 36, der ein Sportbekleidungsunternehmen leitet und mit seiner Frau und seiner 4-jährigen Tochter in Hamburg lebt. „Meine Frau und ich schauen uns unsere Zeitpläne an und überlegen, wer von uns beiden sich leichter freinehmen kann. Mein Vater ist mit mir nie zum Arzt gegangen, als ich ein Kind war. Ich bin bei allen Terminen meiner Tochter dabei.“
Einige junge Väter ändern ihre Arbeitszeiten sogar komplett, um sich auf die Kinder einzustellen. Dieter, ein Softwareingenieur aus Frankfurt, arbeitet Teilzeit, während seine Frau, eine Kunstkuratorin, Vollzeit arbeitet. „Ich wurde kurz vor der Geburt unserer Zwillinge entlassen und bekam dann einen Job mit zwei Tagen pro Woche“, erklärt er. „Nachdem die Babys da waren, beschlossen wir, dass ich den Teilzeitjob beibehalten würde, damit ich mit ihnen zu Hause sein kann. Und das war es, was ich wirklich wollte.“
Viele Paare entscheiden, wer arbeitet und wer zu Hause bleibt, je nachdem, welcher Partner mehr verdient – und immer öfter ist es die Frau. Eine Studie ergab, dass mehr als ein Viertel der Ehefrauen in den USA mehr Geld verdienen als ihr Mann. Die Zahlen sind bei jungen Paaren in städtischen Gebieten sogar noch höher, was erklären könnte, warum die Zahl der Väter, die zu Hause bleiben, immer größer wird. Nach den neuesten Zahlen des „U.S. Census Bureau“ waren schätzungsweise 159.000 Männer die Hauptbezugsperson für Kinder unter 15 Jahren – immer noch nur ein winziger Bruchteil der Gesamtzahl der Eltern, die zu Hause bleiben, aber ein Anstieg gegenüber den 98.000 im Jahr 2003. Und Expert:innen sagen voraus, dass in nicht allzu ferner Zukunft noch mehr Väter die Aktentasche gegen die Babyflasche eintauschen werden – oder zumindest mit beidem jonglieren. Im Jahr 2000 baten Forscher:innen des „Families and Work Institute“ in New York Schüler:innen aus dem ganzen Land, sich ihr Erwachsensein vorzustellen. Fast 60 Prozent der Jungen gaben an, dass sie planen, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, wenn sie Vater werden. „Ich glaube nicht, dass wir das 20 oder 30 Jahre früher gesehen hätten“, sagte die Präsidentin des Instituts.
Die Herausforderungen der modernen Vaterschaft
Auch hätten wir nicht so viele Männer gesehen, die ihre Rolle als Vater als zentralen Teil ihrer Identität betrachten. „Wenn wir mit unseren Untersuchungen beginnen, fragen wir die Leute: „Erzählen Sie mir etwas über sich selbst“, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sie sich identifizieren“, erklärte uns ein Mitarbeiter eines Marktforschungsunternehmens, das neue Lifestyle-Trends untersucht. Wir stellen fest, dass jüngere Väter zuerst sagen: „Ich bin Katharinas Papa. Ich trainiere Fußball. Wir verbringen gerne so viel Zeit wie möglich draußen.“ Diese Jungs sehen sich grundsätzlich als Väter. Er sagt, dass sich auch ältere Väter als Väter identifizieren, diese Rolle aber nur als einen Teil ihres arbeitsreichen Lebens sehen. „Bei jüngeren Männern heißt es wirklich ‚Papa‘“, sagte er. „Die Arbeit ist nicht mehr die Quelle ihrer Identität. Es ist nur eines der Dinge, die sie tun.“
Natürlich begrüßen die Mütter diese Flutwelle väterlichen Stolzes und freuen sich über Hilfe an der Heimatfront. Aber sie sind sich auch der Herausforderungen bewusst, mit denen ihre Männer konfrontiert sind, wenn sie versuchen, die konkurrierenden Anforderungen unter einen Hut zu bringen: Ist es besser, ein Fußballspiel zu verpassen oder auf eine wichtige Geschäftsreise zu verzichten? Lohnt es sich, das Familienessen zu opfern und die Beförderung anzustreben? Männer stellen sich die gleichen Fragen wie berufstätige Mütter. Sie haben sich ihren Frauen im Ringkampf angeschlossen.
Der Wettkampf ist eine Herausforderung: Eine aktuelle Studie ergab, dass 59 Prozent der Männer und 62 Prozent der Frauen glauben, dass Väter es heute schwerer haben als Väter vor einer Generation. Nur 12 Prozent sagten, dass es heute einfacher ist, Vater zu sein. Das Gute daran ist jedoch, dass es für die Kinder viele Vorteile hat, wenn ihr Vater dabei ist. Die Kinder sind die größten Gewinner.
Die Vorteile der modernen Vaterschaft für Kinder
Laut einer Professorin für Entwicklungspsychologie, fördert die unterschiedliche Art und Weise, wie Mütter und Väter mit ihren Kindern interagieren, in der frühen Kindheit die Entwicklung unterschiedlicher Fähigkeiten. Obwohl Mütter und Väter viele der gleichen Erziehungsmethoden anwenden, neigen Väter dazu, mit ihren Kindern mehr körperlich zu spielen als Mütter. In ihrer Forschung hat diese Professorin einen Zusammenhang zwischen dem anregenden Spielstil beider Elternteile und den verbesserten sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten bei Kleinkindern nachgewiesen. Und auf lange Sicht ist ein aktiv beteiligter Vater ein starkes Vorbild, das seine Kinder dazu ermutigt, sich ebenfalls für das Familienleben zu begeistern. Die Kinder sehen, dass die Kindererziehung eine gemeinsame Verantwortung ist, und erwarten das auch in ihren Beziehungen.
Das ist zweifellos eine Lektion, die die Babys, die am Kurs „Zeit für Väter“ in Neukölln, teilnehmen, lernen werden. Wenn sich der Kurs am Samstagmorgen dem Ende zuneigt, sieht der Kursleiter Lothar zu, wie die Jungs ihre Kinder und ihre Ausrüstung einpacken und sich auf den Weg machen, um ein Fußballspiel zu sehen, den Rasen zu mähen oder ihre Besorgungen zu machen. Lothar, der selbst ein 5 Monate altes Baby hat, kann den Stolz dieser neuen Väter gut verstehen. „Ich liebe es, Vater zu sein, und ich bin verdammt stolz, wenn ich meinen Sohn in seinem BabyBjörn zum Einkaufen mitnehme“, sagt er. „Das ist der Höhepunkt meines Tages.“
Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/mann-der-oben-auf-berg-unter-blauem-himmel-geht-1157386/