Warum sich Menschen für die traditionelle chinesische Erziehung interessieren

„Chinesischstämmige Amerikaner sind an vielen der Eliteuniversitäten des Landes überdurchschnittlich stark vertreten“, stellen Yong Zhao und Wei Qiu fest. Sie erzielen höhere SAT-Ergebnisse in Mathematik und sind unter den US National Merit Scholars (US-Stipendiaten) überproportional vertreten.

Warum ist dies der Fall? Entgegen der weit verbreiteten Meinung liegt es nicht daran, dass Chinesen genetisch bedingt klüger sind. Als James Flynn vergangene Studien über Leistung und IQ analysierte, stellte er fest, dass die Erfolge der „Chinesen“ eher durch Umweltfaktoren erklärt werden können. Was ist das Geheimnis?

Amy Chua, Juraprofessorin in Yale, sagt, dass es an der Erziehung liegt. Chinesische Mütter ziehen leistungsfähigere, akademisch erfolgreichere Kinder heran, weil sie anspruchsvoller und strenger sind als westliche Mütter. Hat Chua recht?

Es gibt einige Hinweise, die das belegen. So wissen wir zum Beispiel, dass Kinder von Eltern, mit hohen Ansprüchen, schulisch in der Regel erfolgreicher sind. Es ist auch eindeutig, dass chinesische Eltern mehr Zeit damit verbringen, ihre Kinder zum Lernen, Üben und zu Höchstleistungen anzuspornen.

Viele Kritikerinnen und Kritiker wollen wissen, welche konkreten Erziehungspraktiken Chua in ihrem kontroversen Artikel für das Wall Street Journal und in ihrem autobiografischen Buch beschreibt.

Wie steht es um die emotionalen Entwicklungen der Kinder?

Wie ich nachfolgend anmerke, klingen diese Praktiken – die mit der Androhung von Strafen und viel psychologischer Kontrolle einhergehen – nach autoritärer Erziehung, einem Erziehungsansatz, der normalerweise nicht mit den besten akademischen und emotionalen Entwicklungen von Kindern in Verbindung gebracht wird.

Die besten Ergebnisse werden meist mit einem anderen Erziehungsstil in Verbindung gebracht – der autoritativen Erziehung. Das gilt für viele Menschen im Westen, doch auch für viele Chinesen ist das der Fall. Wenn chinesische Kinder von autoritativen Eltern erzogen werden, schneiden sie genauso gut oder sogar besser als Kinder aus autoritären Elternhäusern ab.

Zudem haben Studien belegt, dass die von Chua als „Tiger Parenting“ beschriebene Taktik zu gemischten Ergebnissen führt. In einigen Fällen sind die schulischen Leistungen der Kinder tatsächlich schlechter. In anderen Fällen führt Tiger Parenting zwar zu besseren Leistungen, aber zu einem schlechteren Wohlbefinden: Die Kinder sind einem höheren Risiko für emotionale Probleme ausgesetzt.

Und die experimentelle Forschung zeigt, dass Kinder davon profitieren, wenn Eltern auf psychologische Methoden der Kontrolle verzichten und stattdessen gute Erziehungsmethoden anwenden. Vollziehen chinesische Eltern diesen Wandel, haben ihre Kinder seltener schulische Probleme.

Wie lässt sich dann der Erfolg des chinesischen Schülers erklären?

Jahrzehntelange Forschungen legen nahe, dass chinesische Kinder zwei große Vorteile haben, die wenig mit autoritärer Erziehung zu tun haben:

  • Eltern betonen die Anstrengung, nicht die natürlichen Fähigkeiten ihrer Kinder
  • Gleichaltrige Kinder unterstützen einander, wenn sie in der Schule fleißig sind

Anstrengung – und der Glaube daran, dass Anstrengung sich auszahlt – ist ein Schlüsselelement des Erfolgs der Chinesen. Chua selbst bringt dies im Wall Street Journal auf den Punkt. Sie vermittelt ihren Kindern nicht, dass sie niemals erfolgreich sein werden.

Im Folgenden findest du einen Überblick über Chuas umstrittene Behauptungen und einen Blick auf die Forschung zum Thema chinesischer Kindererziehung.

Porträt einer chinesischen Mutter

Amy Chua ist die Tochter chinesischer Einwanderer in den Vereinigten Staaten. Ihre Eltern, sagt sie, waren „extrem streng, doch extrem liebevoll“. Sie versucht, ihre Kinder auf die gleiche Weise zu erziehen.

Was bedeutet das? Hierzu nennt Chua einige konkrete Beispiele.

Chua sagt zum Beispiel, dass sie ihren Kindern nie erlaubte, sich zum Spielen zu verabreden, fernzusehen, an Schulaufführungen teilzunehmen oder ihre eigenen außerschulischen Aktivitäten zu wählen. Die Kinder dürfen auch „keine Note die schlechter als eine Eins ist bekommen“ oder „nicht in allen Fächern außer Sport und Theater die Besten sein“.

Als ihre 7-jährige Tochter ein neues Stück auf dem Klavier nicht beherrschte, trieb Chua sie gnadenlos voran. „Ich drohte ihr damit, dass sie kein Mittagessen, kein Abendessen und keine Weihnachtsgeschenke bekommen würde“, schreibt Chua, „keine Geburtstagsfeiern für zwei, drei, vier Jahre. Als sie es immer noch falsch machte, sagte ich ihr, dass sie sich absichtlich in den Wahnsinn trieb, weil sie insgeheim Angst hatte, zu versagen. Ich sagte ihr, sie solle aufhören, faul, feige, selbstverliebt und erbärmlich zu sein.“

Chua ließ ihre Tochter bis in die Nacht hinein üben und gönnte ihr nicht einmal eine Pause, um auf die Toilette zu gehen. „Das Haus wurde zum Kriegsgebiet und ich verlor meine Stimme beim Schreie. Aber trotzdem schien es nur Rückschritte zu geben und selbst ich begann zu verzweifeln.“

Dann endlich schaffte das Mädchen den Durchbruch. Sie beherrschte das Stück und wollte es wieder und wieder spielen. Und der emotionale Zwiespalt hatte sich aufgelöst. In dieser Nacht kroch das Mädchen in das Bett ihrer Mutter und sie „kuschelten und umarmten sich und brachten sich gegenseitig zum Lachen.“

Für viele Menschen ist diese Geschichte verstörend. Chuas Herangehensweise scheint streng und nicht hilfreich zu sein.

Sie glaubte, dass ihr Kind es schaffen kann

Doch Chua hat ihr Ziel erreicht. Und, so Chua, der springende Punkt ist dieser:

Im Gegensatz zu vielen westlichen Eltern, die in der Überzeugung, dass ihr Kind das neue Klavierstück noch nicht schaffen kann, einen Rückzieher machen, glaubte Chua, dass ihr Kind es schaffen kann. Doch ohne intensive Anstrengung würde sie das Stück nicht lernen und diese Anstrengung würde nicht erfolgen, wenn das Kind nicht gedrängt würde.

Was hilft Kindern? Wenn sie selbst wählen dürfen, oder wenn sie zu Leistungen gedrängt werden, die sich später im Leben auszahlen? Eine nachsichtigere Herangehensweise mag fürsorglicher erscheinen. Aber, wie Chua argumentiert, zeigt ihr Erziehungsstil, dass ihr das langfristige Wohl ihrer Kinder am Herzen liegt.

„Die Chinesen glauben, dass sie ihre Kinder am besten beschützen, indem sie sie auf die Zukunft vorbereiten, ihnen zeigen, wozu sie in der Lage sind und sie mit Fähigkeiten, Arbeitseinstellungen und Selbstvertrauen ausstatten, die ihnen niemand mehr nehmen kann.“

Das bedeutet nicht, dass die chinesische Erziehung besser ist. Wie Chua in ihrem Buch erzählt, rebellierte eine ihrer Töchter und sie musste ihre Ansichten überdenken. Sie erzählt: „…ich bin mir jetzt der Grenzen dieses Konzepts bewusst – dass es zu wenig Entscheidungsfreiheit bietet, die individuellen Charaktere der Kinder nicht berücksichtigt.“

Aber Chua hält an ihrer Grundannahme fest. Wenn man wissen will, warum chinesische Kinder erfolgreich sind, dann liegt das an den genannten Erziehungsmethoden.

Was sagen diese Studien über die traditionelle chinesische Kindererziehung?

Chuas Behauptungen haben für Aufsehen gesorgt. Sind die von ihr beschriebenen Erziehungsmaßnahmen wirklich effektiv? Und wenn diese Taktiken funktionieren, gehen sie dann auf Kosten der Kinder? Hier sind die Ergebnisse der Forscher.

1. Traditionelle chinesische Erziehungsmethoden werden von einigen Forschern als „autoritär“ bezeichnet.

Autoritäre Erziehung ist ein Erziehungsstil, der hohe Ansprüche stellt und dazu neigt, Kinder durch Beschimpfungen, Lieblosigkeit oder andere Bestrafungen zu kontrollieren. Sie unterscheidet sich von der autoritativen Erziehung, die ebenfalls hohe Ansprüche stellt, aber mit einem hohen Maß an elterlicher Wärme und der Bereitschaft, mit den Kindern zu diskutieren, einhergeht.

2. Im Vergleich zur autoritativen Erziehung steht die autoritäre Erziehung im Zusammenhang mit schlechterer Selbstbeherrschung, mehr emotionalen Problemen und schlechteren schulischen Leistungen.

Diese Zusammenhänge wurden für westliche Kinder, die in Nordamerika aufwachsen, nachgewiesen. Auch bei chinesischen Kindern, die in Peking und Taiwan leben, wurden sie nachgewiesen. Es gibt jedoch einige Ausnahmen. Studien über Chinesen aus Hongkong und chinesische Einwanderer in Nordamerika zeigen einen Zusammenhang zwischen autoritärer Erziehung und besseren schulischen Leistungen.

3. Forscher wie Ruth Chao argumentieren, dass die Bezeichnung „autoritär“ nicht ganz auf den strengen, kontrollierenden Erziehungsstil vieler traditioneller Chinesen zutrifft.

Der Begriff „autoritär“ impliziert, dass Eltern eher gefühlskalt und distanziert sind. Strenge chinesische Eltern pflegen jedoch ein Gefühl der Nähe zu ihren Kindern. Und die Kinder können die Zwangsmaßnahmen ihrer Eltern als Beweis dafür interpretieren, dass sie geliebt sind. Deshalb, so Chao, haben einige Studien keinen Zusammenhang zwischen schlechten Leistungen und autoritärer Erziehung bei chinesischen Einwanderern nachgewiesen. Anders als Kinder in westlichen autoritären Familien – Kinder, die sich von ihren Eltern entfremdet fühlen – fühlen sich chinesisch-amerikanische Kinder mit ihren Eltern verbunden.

4. Die traditionelle chinesische Erziehung hat einen klaren Vorteil gegenüber der modernen westlichen Erziehung: Chinesische Eltern – wie auch viele andere asiatische Eltern – legen mehr Wert auf Anstrengung als auf Talent.

Experimente zeigen, dass Menschen mehr lernen, wenn sie glauben, dass Anstrengung und nicht genetisch bedingte Intelligenz der Schlüssel zum Erfolg ist. Andere Studien legen nahe, dass westliche Eltern eher annehmen, dass ein Kind scheitert, weil es keine natürliche Begabung hat.

5. Chinesisch-amerikanische Kinder neigen dazu, einen Freundeskreis zu haben, der Leistung fördert.

Studien über Jugendliche in den Vereinigten Staaten legen nahe, dass manche Kinder einen hohen Preis dafür zahlen, wenn sie fleißig lernen. Sobald ein Kind in der Schule gute Leistungen bringt, wird es von seinen Mitschülern abgelehnt. Chinesischstämmige Amerikaner/innen müssen sich seltener zwischen schulischem Erfolg und sozialem Erfolg entscheiden. Lawrence Steinberg und seine Kolleginnen und Kollegen stellen deshalb die These in den Raum, ob der Leistungsdruck der Gleichaltrigen chinesische Kinder vor den negativen Auswirkungen einer autoritären Erziehung schützt.

Und was ist mit der Kreativität? Selbstständigem Denken?

Ich habe keine Studien gefunden, die sich mit diesem Thema befassen. Aber einige Pädagogen in China haben sich besorgt darüber geäußert, dass die traditionelle chinesische Erziehung Kreativität und abweichendes Denken nicht fördert. Und es scheint logisch, anzunehmen, dass Kinder nur dann Fähigkeiten entwickeln, die sie auch üben.

Wie Yong Zhao und Wei Qiu feststellen, ist es ein Mythos, dass chinesische (und andere asiatisch-amerikanische) Schüler alles gut können. Wie jeder andere haben auch sie ihre Stärken und Schwächen. Und diese werden durch Übung entwickelt.

Es gibt hier also keine Zauberformel. Es gibt nur die Belohnung für Fleiß.

Ist die Kontroverse gerechtfertigt? Sie ist sicherlich nachvollziehbar und berechtigt.

Viele Menschen wollen wissen, ob autoritäre Erziehung gelegentlich von Vorteil ist. Ich bin geneigt, das zu verneinen. Auf jeden Fall ist aber klar, dass die traditionelle chinesische Erziehung – und die chinesische Kultur – auch viel Gutes zu bieten haben, das nichts mit Autoritarismus zu tun hat. Und das ist es, wovon wir alle profitieren können.

Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/rote-und-goldene-blumenlaterne-3615386/

Write A Comment

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu.

Datenschutzerklärung