Ich bin jemand, der sich vornimmt, alles, was ich tue, so schnell wie möglich zu erledigen, als würde ich ein imaginäres Rennen laufen. Da kommt es mir wie eine grausame Fügung des Schicksals vor, dass meine 10-jährige Tochter schon bei den einfachsten Aufgaben schlapp macht. Jeden Morgen vor die Tür zu gehen ist ein Kampf des Willens, den ich oft verliere. Am Ende kommen wir zu spät zu unserem Ziel und ich bin gestresst und wütend.

Diese Art von Familienkonflikten kann zwar Stress verursachen, aber es hat mir geholfen zu erkennen, dass unsere Kämpfe in Wirklichkeit auf eine unterschiedliche Verarbeitungsgeschwindigkeit zurückzuführen sind, d.h. auf die Geschwindigkeit, die eine Person braucht, um etwas zu erledigen.

Wenn du dich beeilst und dein Kind sich wie ein Faultier in der Sonne räkelt, ist es schwer, nicht zu schreien. Wenn ihr beide trödelt, kommt ihr am Ende zu spät zu Terminen und Übungen. Oder wenn ein Kind schnell und das andere langsam ist, kann es das schnelle Kind ärgern, auf das andere zu warten.

Zu wissen, wie schnell du und deine Familienmitglieder Informationen verarbeiten, Zeit erleben, Entscheidungen treffen und was ihr dagegen tun könnt, kann der Schlüssel sein, um Stressfaktoren innerhalb und außerhalb des Hauses zu minimieren.

Familienkonstellationen hinsichtlich der Verarbeitungsgeschwindigkeit

Die Verarbeitungsgeschwindigkeit ist die Zeit, die benötigt wird, um Informationen wahrzunehmen, zu verarbeiten und darauf zu reagieren.

In Familien kann es Mitglieder mit unterschiedlichen Verarbeitungsgeschwindigkeiten geben, aber die häufigste Fehlpassung ist der schnelle Elternteil mit einem Kind mit langsamer Verarbeitungsgeschwindigkeit. Ich habe zum Beispiel erlebt, wie sich eine Mutter in einer Facebook-Gruppe für Kinder mit langsamer Verarbeitungsgeschwindigkeit meldete und ihre Frustration darüber ausdrückte, dass ihr Kind ewig braucht, um die Hausaufgaben zu erledigen. Der Mutter geht es jetzt besser, nachdem die Therapeutin ihres Kindes beschrieben hat, wie anstrengend das Leben ihrer Tochter ist, weil sie sich mehr anstrengt als andere, um aufzupassen und zu handeln. Die Therapeutin bat sie, mehr Geduld zu haben, denn was für sie leicht ist, ist für ihre Tochter schwer.

Eine andere häufige Kombination sind Eltern und Kinder, die beide eine langsame Verarbeitungsgeschwindigkeit haben. Es muss auch bemerkt werden, dass das zwar nach einer guten Kombination klingt, die beiden aber am Ende frustriert sein können, weil sie immer zu spät kommen. Kinder, die sich langsamer bewegen, brauchen Struktur, Routine und zusätzliche Unterstützung. Ohne diese Unterstützung können sie ins Straucheln geraten und sich gegen ihre Eltern oder Lehrkräfte auflehnen.

Langsame Verarbeitungsgeschwindigkeit, Lernprobleme und wie man damit umgehen kann

Ungleiche Verarbeitungsgeschwindigkeiten fangen zwar schon zu Hause an, werden aber in der Schule oft noch verschlimmert.

Eine langsame Verarbeitungsgeschwindigkeit kann zwar auch ohne eine Lernschwäche wie Legasthenie oder ein Aufmerksamkeitsproblem wie ADHS oder Angstzustände auftreten, aber sie gehen oft Hand in Hand. Expert:innen schätzen, dass etwa 60 % der Menschen mit einer langsamen Verarbeitungsgeschwindigkeit auch an ADHS und mehr als 30 % an Legasthenie leiden. Es ist schwierig, eine Statistik für ängstliche Kinder zu bestätigen, weil es schwer zu unterscheiden ist, ob ihre langsame Geschwindigkeit Angst verursacht oder die Angst sie dazu bringt, langsamer zu reagieren. In jedem Fall ist es wichtig, den Zeitdruck zu beseitigen und ruhig zu bleiben, wenn die Geschwindigkeit frustrierend ist.

Kinder mit ADHS und langsamer Verarbeitungsgeschwindigkeit haben es schwer, weil weniger Informationen bei ihnen ankommen (wegen ihrer Unaufmerksamkeit) und sie Zeit brauchen, um sie zu verarbeiten und zu reagieren. Der Schlüssel, um diesen Kindern zu helfen, liegt darin, ihnen das, was sie lernen müssen, mehrfach und auf verschiedene Arten zu vermitteln.

Wenn dein Kind auch noch an Legasthenie leidet, braucht es länger sonderpädagogische Unterstützung. Es wird zum Beispiel empfohlen, dass ein Kind mit Legasthenie, das keine langsame Verarbeitungsgeschwindigkeit hat, zweimal pro Woche 30 Minuten Nachhilfe braucht, während ein Kind mit langsamer Verarbeitungsgeschwindigkeit und Legasthenie wahrscheinlich viermal pro Woche 30 Minuten Nachhilfe braucht.

Wie Eltern ihre Kinder unterstützen können

Die Verarbeitungsgeschwindigkeit meiner Tochter liegt weit unter dem Durchschnitt. Bevor ich das wusste, dachte ich, sie hört nicht auf meine ständigen Bitten, schneller zu arbeiten oder eine Reihe von Schritten abzuschließen. Ich bestrafte sie mit Auszeiten und Elektronikverbot, aber sie verbesserte sich nicht.

Als ich merkte, dass sie nichts für ihr langsames Tempo konnte, gab ich ihr nicht mehr die Schuld daran, dass sie länger brauchte als alle anderen. Ich wecke sie 30 Minuten früher als ihren Bruder, damit sie sich für die Schule fertig machen kann. Wenn wir jetzt essen gehen, gehe ich auf dem Weg dorthin mit ihr die Speisekarte durch, damit sie Zeit hat, sich zu überlegen, was sie bestellen will. Ich stelle Timer ein, damit sie weiß, wann sie die Aufgaben wechseln muss.

Hier ist, was Eltern noch tun können, um ihren Kindern zu helfen, mit einer langsamen Verarbeitungsgeschwindigkeit umzugehen:

Macht einen Aufgaben-Plan

Kinder lernen schneller, wenn sie wissen, was sie erwarten können. Man kann zum Beispiel zu Hause einen Kalender mit dem Tagesablauf führen. Geh ihn morgens durch und gib den Kindern genügend Zeit, um von einer Aufgabe zur nächsten zu wechseln. Es gibt auch Apps, die speziell für Kinder mit einer langsamen Verarbeitungsgeschwindigkeit entwickelt wurden, um ihnen zu helfen, ihre Fähigkeiten zu verbessern oder ihren Tag zu planen. Wir benutzen ein Whiteboard mit einer täglichen To-Do-Liste, die meine Tochter gerne abhakt, wenn sie etwas erledigt hat. Wenn dein Kind noch nicht lesen kann, kannst du ihm mit Bildern zeigen, was es erledigen soll.

Gehe kleinschrittig vor

Versuche, deine Sprache von „Geh dein Zimmer aufräumen“ zu einer spezifischeren Formulierung zu ändern. Ich beginne mit: „Lass uns in dein Zimmer gehen, damit du dein Bett machen kannst.“ Als nächstes lasse ich sie ihre Spielsachen aufheben. Zuletzt räumt sie ihre schmutzige Kleidung weg. Das klingt mühsam, aber mit etwas Übung muss ich nicht mehr Schritt für Schritt vorgehen.

Sprich mit den Lehrkräften deines Kindes

Du kannst auch die Schule deines Kindes um Hilfe bitten. Experten raten, sich zu Beginn eines jeden Schuljahres mit den Lehrkräften deines Kindes zu treffen. Lass sie wissen, wie dein Kind am besten lernt. Gehe nicht davon aus, dass die neue Lehrkraft den individuellen Bildungsplan deines Kindes liest oder das einzigartige Lernprofil deines Kindes versteht, nur weil dein Kind einen individuellen Bildungsplan hat oder die Voraussetzungen für eine Förderung erfüllt.

In der Schule brauchen alle Kinder die Möglichkeit, auf die Fragen der Lehrkräfte zu antworten, aus falschen Antworten zu lernen und für richtige Antworten gelobt zu werden. Aber im Unterricht angesprochen zu werden, ist stressig, wenn das Gehirn länger braucht, um eine Antwort zu formulieren.

Ein guter Tipp ist, die Lehrkraft zu bitten, dein Kind vorzuwarnen, wenn sie es etwas fragen will. Die Lehrkraft kann etwas sagen wie: „Ich werde dich nachher etwas über die Hauptfigur der Geschichte fragen, die wir heute lesen, also pass gut auf“. Eine Vorankündigung sorgt dafür, dass die Kinder nicht in Panik geraten, wenn sie gefragt werden, und stärkt ihr Selbstvertrauen.

Suche dir weitere Hilfe

Ziehe in Erwägung, dir Hilfe zu holen, wenn du selbst oder dein Kind Schwierigkeiten haben. Wenn du zum Beispiel nicht in der Lage bist, den Zeitplan eurer Familie zu strukturieren, weil du genauso langsam bist wie dein Kind, kannst du dir externe Hilfe suchen. Es gibt auch Familien, die für ihre Kinder eine:n Nachhilfelehrer:in für Fähigkeiten gefunden hat, die/der ihnen hilft, organisiert zu bleiben und Aufgaben rechtzeitig zu erledigen.

Erkenne und nutze alle Stärken deiner Familienmitglieder

Die Verarbeitungsgeschwindigkeit meines Mannes ist langsamer als meine, deshalb ist er viel geduldiger, wenn er unseren Kindern bei den Hausaufgaben hilft. Mein Sohn ist schnell, also belohnen wir ihn, wenn er seine Schwester bei Dingen wie Zähneputzen und Schlafengehen auf Trab hält.

Wenn du ein Kind hast, das sich viel schneller bewegt als andere in der Familie, musst du Wege finden, seine Geschwindigkeit zu erkennen und zu nutzen. Übertrage ihnen die Verantwortung dafür, neue Technologien zu erlernen und sie anderen zu erklären. Ich hörte schon von einer Familie, die ihren schnellen Sohn seinem Vater beim Organisieren von Familienfotos auf dem Heimcomputer helfen lässt. Er liebt es, mit seinem Vater an solchen Projekten zu arbeiten, und so hat seine Mutter Zeit, mit seiner Schwester Hausaufgaben zu machen.

Sieh das Positive an der Sache

Kinder mit einer hohen Verarbeitungsgeschwindigkeit können mit den ständigen Anforderungen der Welt mithalten und suchen oft ein wettbewerbsorientiertes Umfeld. Sie werden zwar für ihre Schlagfertigkeit belohnt, aber das Schöne an Menschen mit einer langsameren Verarbeitungsgeschwindigkeit ist, dass sie dazu neigen, im Moment zu leben. Sie werden sich zu Aktivitäten hingezogen fühlen, bei denen sie langsamer denken können.

Meine Tochter lehrt mich, dass das Leben kein Wettlauf ist, den ich gewinnen muss. Mit neuen Übungen lerne ich, langsamer zu werden, und sie bewegt sich ein bisschen schneller.

Bildquelle: https://pixabay.com/photos/people-woman-mother-child-7437187/

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