Manche Teenager lernen fleißig Mathe. Andere vermeiden es. Spielt das eine Rolle? Ja, und zwar nicht nur bezüglich der Karrierechancen. Neue Studien deuten darauf hin, dass es sich auch auf die Hirnchemie und die Art und Weise, wie Schüler:innen lernen, auswirken können.

In den Vereinigten Staaten verlangen viele High Schools drei Jahre Mathematik für den Abschluss. Die Universitäten bevorzugen oft Studierende, die vier Jahre Mathematik belegen. Doch das sind Richtwerte, die je nach Ort und Land variieren. Gibt es eine Alternative, die auf die Bedürfnisse der Schüler:innen eingeht?

Man könnte zunächst das Naheliegenste sagen. Es hängt von den beruflichen Zielen ab. Das Problem ist jedoch, dass sich Schüler:innen oft noch nicht für einen Beruf entschieden haben. Sie kennen noch nicht einmal alle ihre Möglichkeiten.

Deshalb ist es sinnvoller, das Problem aus der Perspektive der kognitiven Entwicklung zu betrachten. Und hier gibt es einige interessante Erkenntnisse.

Die Auswirkungen von Mathematik in der Oberstufe auf die Entwicklung des Gehirns

Eine Studie aus Großbritannien

Der Beweis dafür stammt aus einer Studie von George Zacharopolous und seinen Kolleg:innen und Forscher:innen, die in Großbritannien arbeiten, wo die Schulpflicht mit 16 endet.

In Großbritannien nehmen Kinder, die ihre akademische Ausbildung nach dem 16. Lebensjahr fortsetzen wollen, an einem zweijährigen Programm teil, das sie auf die Universität vorbereitet.

Wichtig ist, dass die Schüler die Wahl haben, welche weiterführenden Fächer („A-Levels“) sie belegen möchten. Mathematik wird angeboten, ist jedoch kein Pflichtfach. Es gibt also eine akademische Weggabelung: Einige Kinder entscheiden sich dafür, weiter Mathematik zu lernen. Andere dagegen.

Zacharopolous und sein Team fragten sich, ob diese Entscheidungen zu Unterschieden in der Hirnchemie führen? Die Forscher:innen interessierten sich vor allem für einen Neurotransmitter namens Gamma-Aminobuttersäure (GABA).

Während der Pubertät hilft GABA, Gehirnaktivitäten zu hemmen, die das Lernen und die Selbstkontrolle einschränken. Daher ist ein erhöhter GABA-Spiegel im Allgemeinen vorteilhaft. Jugendliche, die einen niedrigeren GABA-Spiegel haben, neigen zu einer schlechteren Impulskontrolle. Im Durchschnitt schneiden sie bei Tests zu kognitiven Funktionen schlechter ab.

Deshalb untersuchten Zacharopolous und seine Kolleg:innen, welche Auswirkungen der Mathematikunterricht auf den GABA-Spiegel hat, vor allem in den Teilen des Gehirns, die mit mathematischem Denken zu tun haben – wie Rechnen und Algorithmen lernen.

Eine dieser Regionen des Gehirns ist die Mittlere Frontalwindung, die ungefähr ein Drittel des Frontallappens ausmacht. Man kann GABA im Gehirn schmerzfrei messen, indem man es mit einer Technik namens H-Magnetresonanzspektroskopie durchleuchtet.

So sah also das Konzept aus: Eine Gruppe von jungen Freiwilligen – Jugendliche, die gerade ihr Abitur machen – rekrutieren und untersuchen, ob es Unterschiede bezüglich Mathematik gab. Haben Jugendliche, die Mathe belegen, einen höheren GABA-Spiegel?

Die Ergebnisse

Insgesamt waren es 87 Schüler:innen, und mehr als die Hälfte von ihnen lernte noch Mathematik. Der Rest – 38 Schüler:innen – nicht mehr. Und ja, es gab einen Unterschied.

Die Schüler:innen, die Mathematik als Leistungskurs belegten, hatten höhere GABA-Werte in der Mittleren Frontalwindung.

Außerdem gab es Hinweise dafür, dass GABA für die Entwicklung zukünftiger mathematischer Kompetenzen vorteilhaft ist.

Etwa 19 Monate nach Durchführung der Hirnscans baten Zacharopolous und Kolleg:innen die Jugendlichen, einen Test ihrer mathematischen Fähigkeiten zu absolvieren.

Durchweg – bei den Schüler:innen, die Mathematik als Leistungskurs belegt hatten, und bei den Schüler:innen, die dies nicht taten – sagten höhere GABA-Konzentrationen zu Beginn der Studie bessere Mathematikleistungen 19 Monate später voraus.

Doch zurück zu dem grundlegenden Unterschied zwischen den Gruppen. Waren die Kinder, die weiter an Mathematik lernten, von vornherein schlauer?

Dafür gibt es keine Beweise. Zusätzlich zu den anfänglichen Gehirnscans testeten die Forscher:innen die Fähigkeit der Schüler:innen, komplexe Problemstellungen zu lösen. Die Jugendlichen in beiden Gruppen schnitten gleich gut ab.

Und als die Forscher:innen andere Faktoren berücksichtigten, stellten sie fest, dass der Zusammenhang zwischen dem GABA-Spiegel und dem Mathematikunterricht bestehen blieb.

Zum Beispiel blieb der Zusammenhang auch dann erheblich, wenn man die Gesamtzahl der Leistungsfächer, die ein:e Schüler:in belegte, berücksichtigte.

Du könntest also Hermine Granger sein und alle möglichen anspruchsvollen Fächer belegen. Aber wenn du keine Mathematik in deinem Lehrplan hast, wirst du vermutlich einen niedrigeren GABA-Spiegel in der Mittleren Frontalwindung haben.

Natürlich müssen wir bei der Auswertung dieser Ergebnisse vorsichtig sein.

Nur weil die Schüler:innen mit „A-Level“-Mathe mehr GABA hatten, heißt das nicht, dass das Lernen von Mathe den GABA-Spiegel ansteigen ließ. Möglicherweise funktioniert es auch andersherum. Vielleicht haben manche Kinder von vornherein einen höheren GABA-Spiegel, und vielleicht mögen diese Kinder Mathematik mehr. Also entscheiden sie sich dafür, mehr Mathematik zu lernen.

Doch die Forscher:innen führten eine weitere Versuchsreihe durch – dieses Mal mit einer Gruppe von Schüler:innen, die noch nicht mit dem A-Level begonnen hatten.

Diese Schüler.innen befanden sich an der akademischen Weggabelung. Sie wählten ihren Leistungskurs, führten aber noch die Fächer des Vorjahres zu Ende. Deshalb hatten sie alle zur gleichen Zeit Mathematik (vor dem A-Level).

Und ihre GABA-Werte? Dasselbe. Es gab keinen Unterschied zwischen den Gruppen. Noch keinen.

Aus dieser Untersuchung geht hervor, dass Kinder, die sich für fortgeschrittene Mathematik entscheiden, nicht von vornherein einen höheren GABA-Spiegel haben. Das geschieht erst später – nach der akademischen Richtungswahl.

Schlussfolgerungen

Es handelt sich um eine einzelne Studie, die noch überprüft werden muss, und viele Fragen sind noch unbeantwortet. Die Studie sagt nichts darüber aus, wie sich der Mathematikunterricht langfristig auf das Gehirn auswirkt – also nach der Schulzeit.

Aber Zacharopolous und sein Team glauben, dass sie wichtige Erkenntnisse über die Entwicklung des Gehirns herausfanden. Die Entscheidung eines jungen Menschen, mit Mathe aufzuhören, scheint die Produktion von GABA zu verändern. Die Forscher:innen vermuten, dass sich dies auch auf die Bildung bestimmter Arten von Neuronen auswirkt und möglicherweise auch zu Veränderungen der Neuroanatomie führt.

Das scheint ein weiterer guter Grund zu sein, dranzubleiben und Kindern die nötige Hilfe beim Lernen zu geben.

Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/schreiben-mathematik-student-mathe-6256102/

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