Was ist der Abstandseffekt? Wenn euer Kind etwas lernen muss – und das auch behalten soll – ist es am besten, die Lerneinheiten zeitlich zu streuen. Eine einzige, lange Unterrichtsstunde ist in der Regel nicht so hilfreich wie mehrere, kurze Einheiten. Pausen sind eine gute Sache!

Das ist eines der ältesten und zuverlässigsten Erkenntnisse der kognitiven Psychologie: Wir lernen besser – und prägen uns Dinge besser ein, wenn wir das Lernen über einen längeren Zeitraum verteilen.

Doch wie funktioniert das eigentlich? Wie lang sollte eine Lerneinheit sein? Wie viel Zeit sollte zwischen den einzelnen Sitzungen liegen?

Es gibt keine Pauschalantwort. Es kommt immer auf das Alter des Schülers oder der Schülerin an und darauf, was es zu lernen gilt. Doch die Forschung liefert einige überraschende Einsichten.

Stell dir zum Beispiel vor, dass du ein kleines Kind hast, das gerade Lesen lernt. Wie sieht der beste Zeitplan aus, um die frühen Lesefähigkeiten zu fördern?

Forscherinnen und Forscher sind dieser Frage in einer experimentellen Studie mit Erstklässlern nachgegangen. Sie gaben allen Schülern insgesamt 6 Minuten Leseunterricht pro Tag. Doch jedes Kind wurde einem von zwei unterschiedlichen Zeitplänen zugeteilt:

  • Einige Kinder erhielten ihren Unterricht in einer einzigen, sechs Minuten langen Sitzung.
  • Andere Kinder erhielten ihren Unterricht in drei getrennten, zwei Minuten langen Sitzungen, die zu verschiedenen Zeitpunkten während des Schultags stattfanden.

Die Forscher verfolgten die Fortschritte der Kinder und führten am Ende der Studie einen Test im Lesen durch.

Welche Kinder machten die größten Fortschritte? Die Kinder, die die zweiminütigen, zeitlich getrennten Trainingseinheiten absolvierten.

Das ist nur ein Beispiel. Das bedeutet jedoch nicht, dass jeder vom Lernen im 2-Minuten-Takt profitiert. Oder dass es immer eine gute Idee ist, mehrere Lerneinheiten an einem Tag abzuhalten. Ganz im Gegenteil. Verschiedene Umstände erfordern verschiedene Strategien.

Wenn du zum Beispiel als Erwachsener versuchst, neue Wörter in einer Fremdsprache zu lernen – und du willst dich 12 Wochen später an sie erinnern -, solltest du Studien zufolge die Wörter am selben Tag kurz wiederholen und dann an Tag 3, Tag 9 und Tag 28 mit kurzen Wiederholungen fortfahren.

Es gibt also nicht den einen Zeitplan, der für alle Situationen funktioniert. Doch es gibt relativ simple Regeln, an die sich die meisten von uns halten können. Solange ein Kind nicht wirklich konzentriert und enthusiastisch ist, um eine lange Unterrichtsstunde durchzuhalten, ist es wahrscheinlich besser, den Unterricht zu unterteilen.

Um zu sehen, was ich meine, schau dir eine experimentelle Studie mit Erst- und Zweitklässlern an, bei der die Kinder eine Reihe kurzer Unterrichtsstunden im Fach Biologie erhielten.

Jede Einheit war nur 5 Minuten lang und lief nach dem gleichen Schema ab. Die Unterrichtseinheit begann mit einem Überblick über die Nahrungsketten – allgemeine Informationen, die für Nahrungsketten auf der ganzen Welt gelten.

In der nächsten Einheit ging es um die Details einer Nahrungskette in einem bestimmten Lebensraum, z. B. in der Arktis, der Wüste, dem Meer, dem Grasland oder dem Sumpf. Die Schüler lernten 5 verschiedene Lebensformen in dem jeweiligen Lebensraum kennen und die Rolle, die jede Lebensform in der Nahrungskette einnimmt.

Alle Kinder nahmen an insgesamt vier Lektionen teil. Doch jedes Kind wurde nach dem Zufallsprinzip einem von drei verschiedenen Lehrplänen zugeordnet:

  • 12 Schüler wurden ausgewählt, um alle vier Einheiten am selben Tag zu erhalten;
  • 12 Kinder wurden ausgewählt, um je zwei Einheiten an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zu erhalten und
  • 12 Kinder wurden ausgewählt, die an vier aufeinanderfolgenden Tagen nur eine Unterrichtseinheit pro Tag absolvierten.

Jedes Kind wurde vor Beginn der Studie und am Ende der Studie – eine Woche nach der letzten Unterrichtsstunde – erneut auf sein Wissen geprüft.

Und was geschah? Wieviel hatten die Kinder gelernt?

Die Kinder, die alle vier Lektionen an einem einzigen Tag erhielten, lernten fast nichts.

Ihr Verständnis von Nahrungsketten hatte sich nur wenig verändert. Ihre Testergebnisse am Ende der Studie waren nur leicht verbessert im Vergleich zu den Ergebnissen vor dem Unterricht.

Die Kinder, die zwei Lektionen pro Tag absolvierten, zeigten größere Fortschritte – eine deutliche Steigerung gegenüber den Kindern, die alle vier Lektionen an einem Tag absolvieren mussten.

Und der größte Zuwachs von allen? Das waren die Kinder, die täglich nur eine Unterrichtsstunde absolvierten. Diese Kinder waren besonders erfolgreich, wenn es darum ging, die Lerninhalte auf neue Situationen anzuwenden.

Sie schnitten zum Beispiel bei Testfragen, in denen sie über Ursache und Wirkung in einer neuen, bisher nicht untersuchten Nahrungskette nachdenken sollten, viel besser ab als andere Kinder. („Das Gras wird mit einem Gift besprüht, alle Tiere die davon essen, sterben. Was passiert mit der Anzahl der Grillen? Steigt sie, sinkt sie, oder bleibt sie gleich?“)

Es scheint also, dass kleinere Mengen an Unterricht – verteilt über vier Tage – effektiver waren als die gleiche Menge an Unterricht an nur einem oder zwei Tagen.

Okay …aber das ist lediglich eine einzige, kleine Studie. Welche anderen Beweise gibt es für den Effekt des zeitlich verteilten Lernens?

Zunächst einmal Folgendes: Die Forscherinnen und Forscher wiederholten das Experiment zur Nahrungskette mit einer neuen Gruppe von Kindern und auch diesmal war der Lehrplan „eine Stunde pro Tag“ mit den besten Lernerfolgen verbunden. Die Schüler erinnerten sich besser und verstanden die Konzepte eher.

Zudem deuten Studien darauf hin, dass Kinder durch das Lernen in zeitlichen Abständen die Multiplikation besser erlernen und die Fakten in Geschichte längerfristig im Gedächtnis behalten.

Und für jede Art verbaler Informationen gibt es zahlreiche Belege für den Vorteil von zeitlich gestaffeltem Üben gegenüber dem „Pauken“. In mehr als 250 Studien zeigte sich, dass Menschen sich besser erinnern, wenn die Lerneinheiten zeitlich gestaffelt sind. Eine einzige, lange Lernsitzung ist selten so effektiv wie mehrere, kürzere Einheiten, die über einen längeren Zeitraum verteilt sind.

Die Forschung sagt uns auch noch etwas anderes. Zeitlich gestaffelte Lerneinheiten sind besonders dann effektiv, wenn sie eine Prüfungskomponente enthalten.

Um zu sehen, was ich meine, lass uns zu der Studie über die Nahrungskette zurückkehren.

Diese 5-Minuten-Unterrichtsstunden waren nicht einfach nur reine Vorträge. Die Kinder erhielten nicht nur Informationen. Sie mussten auch Fragen zum Thema beantworten. Fragen, die ihr Gedächtnis und ihr Verständnis für die Konzepte überprüften.

Viele Studien belegen, dass solche Tests von Vorteil sind. Das Gelernte bleibt eher hängen, wenn wir gezwungen sind, nach Antworten zu forschen. Und es scheint, dass diese Vorteile noch größer werden, wenn wir die Tests mit zeitlich getrennten Lerneinheiten kombinieren.

Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/gluckliche-gealterte-frau-die-kekse-und-tasse-heisses-getrank-zu-erfreuter-enkelin-gibt-die-hausaufgaben-zu-hause-macht-3768164/

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