Kennst du ein Kind, das sich vor Schlangen ekelt oder Angst hat?

Wie steht es mit einem ängstlichen Kleinkind? Oder Baby?

Menschen werden nicht mit solchen Reaktionen geboren. Das wissen wir aus Experimenten mit Babys. Wenn du 7 Monate alten Babys Schlangen zeigst, reagieren sie überhaupt nicht ängstlich.

Doch wie – und wann – entstehen diese Ängste zum ersten Mal?

Nach der Idee der klassischen Konditionierung entwickeln Menschen und Tiere Angst vor etwas, wenn sie mit der Begegnung etwas Unangenehmes verbinden. Z. B. einen Schock, den sie erlebt haben.

Doch dieser Prozess scheint ineffizient zu sein. Muss ein Affe erst angegriffen werden, um sich vor Schlangen zu fürchten? Wenn ja, wie viele Affen würden dann bis zum Erwachsenenalter überleben?

Die Realität sieht folgendermaßen aus: Tiere haben Möglichkeiten, etwas über Gefahren zu lernen, die nicht von eigenen Erfahrungen abhängen. Sie lernen über Raubtiere, indem sie ihre Artgenossen beobachten.

Trifft eine Gruppe von Affen auf eine Schlange, beobachten die Babys und Jungtiere, wie die Erwachsenen sich verhalten. Sie lernen zu schreien, andere Familienmitglieder zu warnen und sich aus der Gefahrenzone der Schlange zu entfernen. Sie lernen, sich zu fürchten.

Das ist sehr faszinierend. Der Mensch ist also nicht das einzige Lebewesen, das Wissen an seine Nachkommen weitergibt.

Aber es geht sogar darüber hinaus, und zwar die Art und Weise betreffend, wie Kinder Gefahren kennenlernen:

Unsere Gehirne könnten mit speziellen Mechanismen ausgestattet sein, die uns helfen, schneller etwas über gewisse Tierarten zu lernen – Tiere, die für unsere Vorfahren am bedrohlichsten waren.

Vor fünfzig Jahren schlug Martin Seligman die Idee vor, dass Tiere darauf „vorbereitet“ sind, manche Dinge sehr schnell zu lernen.

Ein Beispiel dafür sind möglicherweise giftige Lebensmittel. Ist dir schon mal aufgefallen, was passiert, wenn dir nach dem Verzehr eines neuen Lebensmittels übel wird (und du dich übergeben musst)? Dann willst du es nicht noch einmal essen. Manche Menschen brauchen nur eine einzige schlechte Erfahrung, um diese Lektion zu lernen – egal, ob es wirklich am Nahrungsmittel lag oder nicht.

Vielleicht ist das bei Schlangen und Spinnen ähnlich. Möglicherweise reicht schon wenig, um unsere Angst oder unseren Ekel auszulösen. Wenn wir sehen, wie sich Freunde oder Verwandte ängstlich verhalten, überzeugt uns das. Wir brauchen nicht lange, um die Lektion zu verinnerlichen. Wir sehen eine Schlange, nehmen die Eindrücke anderer auf und sagen: „Oh ja, deine Freunde haben Recht – diese Sachen sind SCHLECHT“.

Doch wo bleiben die Beweise?

Studien zu Angst bei Tieren

In den 1980er Jahren führten Michael Cook und Susan Mineka (1989) ein klassisches Experiment an Rhesusaffen in Gehegehaltung durch.

Diese Affen waren noch nie in freier Wildbahn gewesen und hatten auch noch nie zuvor eine Schlange gesehen. Zeigte man diesen Affen eine Spielzeugschlange, zeigten sie keine Angst.

Deshalb versuchten die Forscher/innen Folgendes. Sie teilten die Affen in zwei Gruppen ein und zeigten jeder Gruppe ein bestimmtes „gruseliges“ Video:

  • Die erste Gruppe sah ein Video mit einem Affen, der Angst vor einer Plastikblume hatte.
  • Die zweite sah ein Video mit einem Affen, der sich vor einer Plastikschlange fürchtete.

Die Videos waren sorgfältig aufbereitet worden, um den Eindruck zu erwecken, dass der Affe vor beiden Objekten im gleichen Maße Angst hat. Allerdings wiesen die Videos nicht die gleiche Effektivität auf.

Gab man einem Affen nach dem Ansehen des Videos eine Plastikblume, so reagierte er wahrscheinlich nicht. Gab man ihm aber eine Plastikschlange, fürchtete er sich.

In einem vergleichbaren Experiment lernten die Affen in kürzester Zeit, Angst vor einem Spielzeugkrokodil zu haben, jedoch nicht vor einem Spielzeughasen.

Die Ergebnisse waren faszinierend. Affen entwickelten Angst vor Schlangen (und Krokodilen), nachdem sie nur ein paar Mal kurz einen anderen Affen beobachteten. Es handelte sich nicht um eine allgemeine Reaktion auf soziale Eindrücke, denn die Affen schienen relativ resistent gegen die Angst vor Blumen oder Hasen zu sein.

Schließlich war es naheliegend, dass Primaten spezielle Gehirnmechanismen entwickelten, um zu lernen, Schlangen und Krokodile zu fürchten.

Denn Schlangen und Krokodile fressen Primaten, und das schon seit Millionen von Jahren. Das Erkennen dieser Raubtiere war also sehr wichtig. Wenn die Kosten hoch genug sind, haben Individuen, die sozialen Hinweisen auf Raubtiere schnell folgen können einen klaren Vorteil.

Doch was ist mit dem Menschen? Gibt es Beweise dafür, dass Kinder durch natürliche Auslese über die Gefahr von Schlangen lernen?

Studien über Angst bei Kindern

Die Kinderpsychologinnen Judy DeLoache und Vanessa LoBue fanden heraus, dass amerikanische Kindergartenkinder gut darin sind Schlangen zu erkennen.

Zeigt man Dreijährigen acht Fotos – sieben mit Raupen und eines mit einer Schlange -, erkennen sie die Schlange ziemlich schnell. Im Gegensatz dazu benötigen sie länger, um die Raupe in einer Gruppe von Schlangenbildern zu finden. Das selbe geschieht, wenn du die Kinder bittest, Schlangen und Frösche zu identifizieren. Es scheint einfacher zu sein, Schlangen zu erkennen.

DeLoache und LoBue haben auch untersucht, wie Babys – manche erst im Alter von 7 Monaten – auf Schlangen und Geräusche von Angst reagieren.

In einem Experiment stellten die Forscher/innen fest, dass Babys nicht ängstlich auf den Anblick von Schlangen reagierten. Zumindest nicht, wenn die Schlangen auf Video zu sehen waren und die Babys keine Hinweise erhielten, dass Schlangen gefährlich sind.

Als nächstes stellten sich die Forscher/innen folgende Frage: Verhalten sich Babys in Bezug auf Schlangen anders, wenn sie Erwachsene hören, die ängstlich klingen?

Um das herauszufinden, präsentierten LoBue und DeLoache 48 Babys eine ganz besondere „Schlangenshow“.

Jedes Baby saß mit seiner Mutter zusammen, während zwei Videos gleichzeitig abgespielt wurden. Ein Video zeigte eine schlängelnde Schlange. Das andere Video zeigte eine anderes Tier, das sich mit der gleichen Geschwindigkeit bewegte. Den Müttern wurden die Augen verbunden, damit sie ihren Babys keine Hinweise geben konnten.

Die Babys sahen sich die Videos in insgesamt 12 Versuchen an – bei jedem Versuch wurde ein anderes Schlangenvideo mit einem Video von einem anderen Tier (Giraffe, Nashorn, Eisbär, Nilpferd, Elefant und einem großen Vogel) kombiniert.

Und nun das Wichtigste. Die Hälfte der Versuche wurde von Audiomaterial begleitet, auf dem ein ängstlicher Erwachsener sprach. Bei den restlichen Versuchen wurden die Videos mit einer fröhlichen Stimme eines Erwachsenen kombiniert.

Konnten sich die Babys entscheiden, welche Videos sie anschauten?

Das hing vom jeweiligen Kontext ab.

Wurden die Videos von der ängstlichen Stimme eines Erwachsenen begleitet, schauten sich die Babys das Schlangenvideo länger an.

In Kombination mit einer fröhlichen Stimme schenkten die Babys der Schlange keine nennenswerte Aufmerksamkeit.

Beweise für evolutionäre Neigungen bei Angst

Konnten Wissenschaftler/innen nachweisen, dass es im Gehirn spezialisierte Mechanismen zur Schlangenerkennung gibt? Kann man daraus schließen, dass Menschen vorprogrammiert sind, um schnell etwas über die Gefahren von Schlangen zu lernen?

Nein, noch nicht. Wir müssen die Tatsache in Betracht ziehen, dass diese Kinder bereits etwas über Schlangen (oder andere Tiere) lernten, bevor sie an den Experimenten teilnahmen.

Und selbst wenn wir davon ausgehen, dass Kinder veranlagt sind Schlangen leicht erkennen, ist noch unklar, wie schlangenähnlich ein Gegenstand sein muss, um dies auszulösen.

Doch DeLoache und LoBue grenzen die Möglichkeiten ein. Im Anschluss an den Versuch mit den Videos führten sie ein ähnliches Experiment mit Fotos durch. Dieses Mal schenkten die Babys den Schlangen keine Beachtung – egal, welche Art von Stimmen sie hörten.

LoBue und Deloache nehmen an, dass es die typischen Bewegungen der Schlangen sind, die die Menschen wirklich beängstigen.

Mittlerweile denke ich, dass die Theorie des „prepared learning“ unsere ernsthafte Aufmerksamkeit verdient.

Die Anthropologin Lynn Isbell hat die These aufgestellt, dass Schlangen die Evolution des dreidimensionalen und farbigen Sehvermögens der Primaten beschleunigten – um Schlangen besser erkennen zu können.

Und ich bin begeistert von den Ergebnissen eines weiteren Experiments zur „Schlangenerkennungs“- ähnlich wie bei der Studie „Finde die Schlange unter den Raupen“, jedoch mit einer interessanten Ergänzung.

Bei diesem Experiment baten Nobuo Masataka und seine Kolleg/innen die Teilnehmer, das Bild einer Schlange aus einer Reihe von Blumenfotos auszuwählen. Und der Clou? In einigen Versuchen war die Schlange in Ruhestellung. In anderen Fällen war sie zum Angriff bereit und zusammengerollt.

Masatakas Team fand heraus, dass Menschen Schlangen, in Angriffshaltung, schneller erkannten.

Die Ergebnisse scheinen aus zwei Gründen besonders aussagekräftig zu sein:

  1. Der optische Unterschied zwischen den Bildern der entspannten und der Angriffshaltung war tatsächlich recht gering.
  2. Dieser Effekt wurde sowohl bei Erwachsenen als auch bei kleinen Kindern (3-4 Jahre) festgestellt.

Nach Angaben der Eltern waren diese kleinen Kinder noch nie mit Schlangen in Berührung gekommen. Sie hatten noch nie eine echte Schlange gesehen, geschweige denn Bilder von Schlangen. Oder Spielzeugschlangen.

Falls sich diese Ergebnisse auch anderswo wiederholen lassen, wäre das ziemlich beeindruckend. Erkennen ahnungslose Kinder Schlangen leichter, wenn diese zum Angriff bereit sind? Das ist genau die Funktion, die wir uns von einem System zur Erkennung von Raubtieren wünschen würden.

Falls du dich wunderst: Es gibt Hinweise darauf, dass eine ausgeprägte Schreckreaktion Menschen helfen könnte, Schlangen zu erkennen. In Studien, in denen Erwachsene mit Schlangenphobie mit ihren nicht-phobischen Kolleg/innen verglichen wurden, erkannten die Menschen mit Schlangenphobie diese schneller.

Bei den Kindergartenkindern war das nicht der Fall. Kinder mit Schlangenphobie erkannten sie nicht schneller. Vielleicht entwickelt sich der Vorteil also mit der Zeit.

Geschlechtsunterschiede in der Entwicklung von Angst

Die Angst vor Schlangen und Spinnen kommt bei Frauen häufiger vor. In einer schwedischen Umfrage gaben zum Beispiel 12 % der Frauen, jedoch lediglich 3 % der Männer an, unter Angst vor Schlangen oder Spinnen zu leiden.

Woher kommt dieser Unterschied? Einige Forscherinnen und Forscher vermuten, dass Frauen unter einem größeren Druck standen, Schlangen und Spinnen zu meiden – entweder weil sie ihnen öfter begegneten (bei der Nahrungssuche) oder weil sie besonders gut auf ihre kleinen Kinder aufpassen mussten.

Gibt es Anhaltspunkte für die Vermutung, dass Frauen aus Gründen der Evolution eher auf Schlangen reagieren? DeLoache und LoBue haben keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern bei der Fähigkeit kleiner Kinder, Schlangen zu erkennen, festgestellt. Andere Untersuchungen legen jedoch nahe, dass weibliche Babys schneller lernen, Schlangen und Spinnen mit furchterregenden Gesichtsausdrücken zu assoziieren. Ist dieser Unterschied angeboren? Das ist völlig unklar, denn Babys werden von Geburt an auf geschlechtsspezifische Weise behandelt.

Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/hande-tier-reptil-festhalten-8458936/

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