Haben Babys eigentlich soziale Impulse? Empfinden sie Empathie? Haben sie vielleicht so etwas wie eine Vorliebe für Wohltäter? Neigen sie dazu, hilfsbereit zu sein? Wissen sie, was richtig und was falsch ist?
Eins sollte zunächst klar sein: Wir sollten Babys nicht für moralische Verstöße zur Verantwortung ziehen. Sie verstehen nicht alle Folgen ihrer Taten.
Schlägt dich dein Baby mit einem Löffel ins Gesicht, ist das kein absichtlicher Versuch, Schaden anzurichten. Wenn dein Baby dich mitten in der Nacht aufweckt, ist das kein Akt der Manipulation oder Boshaftigkeit!
Doch es gibt stichhaltige Beweise dafür, dass Babys einige der grundlegenden Bestandteile eines moralischen Bewusstseins besitzen. Babys sind keine kleinen Überlebenskünstler, die sich ausschließlich auf ihre eigenen, direkten Bedürfnisse konzentrieren, sondern weisen auch Merkmale von Empathie auf. Außerdem haben sie ein starkes Interesse an ihrer sozialen Umgebung.
Babys interessieren sich für Opfer und sie bevorzugen Menschen, die andere freundlich und fair behandeln. Sobald sie laufen können, zeigen Babys spontane, wohlwollende Handlungen – sie bieten Menschen in Schwierigkeiten Hilfe und Trost an.
Nimm mich aber nicht beim Wort. Sehen wir uns gemeinsam einige Studien an. Es folgt ein Überblick über die cleveren – und faszinierenden – Tests, die Psychologen anwenden, um die moralische Entwicklung von Babys zu verstehen.
Babys wenden sich Opfern gezielt zu
Stell dir folgende Situation vor: Eine Mutter hält ein 6 Monate altes Baby auf ihrem Schoß. Das Baby sieht sich ein Puppenspiel an.
Es ist eine einfache Geschichte. Eine lilanes rechteckige Figur mit Kulleraugen klettert einen Hügel hinauf. Eine andere Figur – ein Kreis mit Kulleraugen – sitzt auf dem Gipfel und beginnt hinabzusteigen.
Dann kommt der Konflikt: Der Kreis greift das Rechteck an. Er schlägt mehrmals auf das Rechteck ein – mit einem dumpfen Geräusch – und drängt das arme Rechteck den Berg hinunter.
Die Geschichte endet damit, dass das Rechteck sich vornüber beugt und traurig wimmert.
Was hält das Baby davon?
Florina Uzefovsky und ihre Kolleginnen und Kollegen wollten herausfinden, ob Babys ein Gespür für die Not der Opfer haben. Also zeigten die Forscher dieses und ein anderes Puppenspiel 27 Babys im Alter von 5 bis 9 Monaten.
Das zweite Puppenspiel spielte in derselben Szenerie wie das erste. Aber die Figuren verhielten sich anders, es gab keine Gewalt oder Gemeinheiten.
In dieser heiteren Geschichte klettert eine gelbe rechteckige Figur auf einen Hügel und eine kreisförmige Figur sitzt auf dem Gipfel. Doch diesmal ist der Kreis freundlich. Die Figuren treffen sich an der Steigung und geben fröhliche Laute von sich. Dann steigen sie gemeinsam hinunter. Das Rechteck wirkt nicht traurig.
Das Team von Uzefovsky ließ die Babys jede Szene dreimal in wechselnder Reihenfolge anschauen. So hatten die Kinder ausreichend Gelegenheit, sich die Details zu merken. Das lilafarbene Rechteck wurde verprügelt. Das gelbe Rechteck wurde gut behandelt.
Machte das einen Unterschied für die Babys?
Um das festzustellen, machten die Forscher einen einfachen Test: Sie präsentierten den Babys die beiden Puppen auf einem Tablett und sagten ihnen, sie sollten sich eine aussuchen. „Du kannst dir eine aussuchen, nur eine. Welche willst du?“
Von den 27 Babys, die an dem Versuch teilnahmen, entschieden sich 22 für die Puppe, die Opfer von Gewalt war.
Mehr als ein Zufall
Natürlich handelte es sich hierbei nur um eine einzige Studie, die zudem relativ klein war. Daher müssen wir Vorsicht walten lassen, bevor wir aus diesen Ergebnissen etwas über die Entwicklung der Moral bei Babys schließen.
Aber das Experiment von Uzefovsky baut auf der Forschung anderer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf, und der Trend in allen Studien ist eindeutig. Babys verhalten sich häufig so, als ob sie soziale Verhaltensweisen oder Vorlieben hätten. Hier sind einige Beispiele für das, was ich meine.
Babys bevorzugen Opfer gegenüber Angreifern
Yasuhiro Kanakogi und seine Kollegen zeigten 10 Monate alten Babys kurze Videoclips von geometrischen Figuren, die sich bewegten und miteinander interagierten.
Danach wurden den Babys feste Figuren angeboten, die den „Charakteren“, die sie auf dem Bildschirm gesehen hatten, ähnelten. Wie reagierten die Babys?
Wenn sie die Wahl zwischen einem Tyrannen und einem Opfer hatten, griffen die Babys eher nach dem Opfer. Außerdem bevorzugten die Babys Opfer gegenüber neutralen Personen.
Babys bevorzugen Personen, die sich für die Opfer einsetzen
In einer weiteren Studie zeigte das Team von Kanagoki 6 und 10 Monate alten Babys animierte Szenarien mit bunten, glubschäugigen Kreaturen. Andere Szenarien zeigen wie ein Tyrann ein Opfer ungestraft angriff, während die anderen Anwesenden nichts unternahmen. In anderen Szenarien griff einer der Unbeteiligten ein und versperrte dem Tyrannen den Weg.
Wieder wurden die Babys vor die Wahl gestellt, sich für eine Figur zu entscheiden, und wieder entschieden sie sich für die Beschützer. Sie zogen “ Wohltäter“ den Umstehenden vor, die nichts taten.
Babys bevorzugen hilfsbereite und faire Personen
Kann man also festhalten, dass Babys hilfsbereite Personen vor neutralen Personen – und neutrale Personen vor schlechten Akteuren bevorzugen?
J. Kiley Hamlin und Kollegen gingen dieser Frage in bahnbrechenden Versuchen mit 6 und 10 Monate alten Babys nach, und ihre Ergebnisse wurden in späteren Studien bestätigt.
Die Aufgabe? Die Forscher/innen zeigen den Babys eine Folge von Szenen mit einem Protagonisten, der versucht, einen Berg zu erklimmen.
- Manchmal trifft der Protagonist auf eine Figur, die ihm hilft.
- Ein anderes Mal trifft der Protagonist auf eine andere Figur – eine, die ihn aktiv behindert.
- Und manchmal trifft der Protagonist auf einen neutralen „Mitreisenden“, der weder hilft noch behindert.
Danach werden die Babys vor die Wahl gestellt, für welche Figur sie sich entscheiden, und die meisten Babys folgen demselben Muster.
Bei einem direkten Vergleich bevorzugen die Babys die hilfsbereite Figur gegenüber der neutralen Figur. Wenn sie zwischen der neutralen Figur und dem Antagonisten wählen müssen, entscheiden sich die Babys für die neutrale Figur.
Der einzige Haken an der Sache ist, dass Babys anscheinend eindeutige Beweise brauchen, um ein Urteil zu fällen. Als die Forscher 9 Monate alte Babys mit Figuren konfrontierten, die sich manchmal widersprüchlich verhielten (z. B. meistens hilfsbereit und gelegentlich feindselig), zeigten die Babys keine Vorlieben. Es scheint, dass die Herausforderung Urteile über Personen mit gemischten Verhaltensweisen zu fällen, zu schwierig für die Kleinen für sie war.
Studien zeigen darüber hinaus auch, dass Babys Menschen bevorzugen zu scheinen, die Dinge fair (im Sinne von gleich) aufteilen.
Sind Babys eher egalitär veranlagt? Vielleicht ja – zumindest wenn es darum geht, Interaktionen mit anderen zu beobachten. Kelsey Lucca und Kollegen präsentierten 13 und 17 Monate alten Babys Videoclips, in denen menschliche Schauspieler um einen Esstisch versammelt waren.
- Einige Videos zeigten eine Frau, die gleiche Portionen Essen an die am Tisch sitzenden Personen verteilte.
- Andere Videos zeigten eine andere Frau, die unterschiedliche Portionen verteilte. Unfair!
Nachdem die Babys diese Clips gesehen hatten, durften sie auf eine der Frauen zugehen. Für welche Frau entschieden sich die Babys? Die Babys bevorzugten die Frau, die das Essen gerecht aufgeteilt hatte.
Wenn sie also durch Handlungen entscheiden, neigen sie dazu, Außenseiter und nette Menschen zu bevorzugen.
Das heißt aber nicht, dass alle Babys diese Vorlieben immer und überall aufweisen.
Wie gesagt, brauchen Babys wahrscheinlich sehr beständige, eindeutige Informationen, um ihre Urteile zu fällen. Und nicht alle Studien konnten einen Einfluss auf die Präferenz der Babys feststellen. Zum Beispiel konnten Forscher die Ergebnisse einer frühen Studie nicht reproduzieren, die darauf hindeutete, dass selbst 3 Monate alte Babys Helfer gegenüber Unterdrückern bevorzugten.
Doch das allgemeine Muster ist ziemlich klar. Als Francesco Marconi und Luca Surian kürzlich die Daten aus veröffentlichten und unveröffentlichten Studien untersuchten, fanden sie Beweise für einen insgesamt gut beobachteten Zusammenhang. In allen Studien zeigten etwa 2 von 3 Babys eine Vorliebe für wohlwollende Menschen.
Zeigen Babys Mitgefühl?
Die erwähnten Versuche geben Aufschluss darüber, ob sich Babys bestimmten Personen nähern (oder sie meiden). Das ist kein Beweis dafür, dass Babys Mitgefühl für andere empfinden. Es beweist auch nicht, dass Babys helfen wollen.
Um diesen Fragen nachzugehen, haben Forscher nach Zeichen im Gesichtsausdruck und im Sozialverhalten von Babys gesucht. Und diese haben sie gefunden.
Babys geben ihre Aufmerksamkeit – und sehen besorgt aus – wenn sie Menschen in Not sehen
In einer Studie baten Forscher Mütter, eine kleine Verletzung vorzutäuschen (z. B. sich die Zehen an einem Möbelstück zu stoßen), während sie mit ihren Babys spielten.
Die Mütter taten so, als würden sie leise wimmern und traurig gucken, während ihre Babys zusahen. Kleinkinder im Alter von 8 Monaten reagierten mit gerunzelten Brauen und versuchten nachweislich zu begreifen was vor sich ging.
Sie gaben zum Beispiel kleine Laute mit fragendem Tonfall von sich oder schauten zwischen dem Gesicht der Mutter und dem Körperteil, das verletzt wurde, hin und her. In einigen Fällen berührten die Babys die entsprechende Stelle an ihrem eigenen Körper.
In der gleichen Studie wurde festgestellt, dass Babys sich um Gleichaltrige in Not kümmern, die auf einem Bildschirm zu sehen sind. Und in anderen Experimenten haben Forscher/innen beobachtet, dass Babys mit Empathie auf andere Babys reagieren.
Zudem bestätigen Studien, dass Babys helfen wollen.
Felix Warneken und Michael Tomasello haben in ihren Experimenten 14 Monate alte Babys dabei beobachtet, wie eine fremde Person versuchte, einen Gegenstand aufzuheben – und dabei scheiterte. Die meisten Kinder reagierten darauf, indem sie den Gegenstand unaufgefordert weiterreichten. Die Babys bemerkten die Anstrengungen, fanden heraus, was der Fremde wollte, und boten ihre Hilfe an.
In einer anderen Studie gaukelten Sarah Nichols und Kollegen Babys (12 bis 24 Monate alt) vor, dass es sich bei einer echt wirkenden, gewickelten Babypuppe um einen Säugling in Not handelte. Ein versteckter Lautsprecher spielte Aufnahmen von Weinen ab, und die teilnehmenden Babys durften sich nähern.
Babys jeden Alters zeigten Anzeichen von persönlichem Kummer und einfühlsamer Sorge. Und einige Babys versuchten sogar, das weinende „Kind“ zu trösten, indem sie ihm ihr eigenes Spielzeug anboten.
Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/entzuckendes-kleines-kind-auf-wiese-im-garten-5731170/