Die Stimme der Mutter hat eine besondere Macht. Sie kann Neugeborenen auf der Intensivstation Trost schenken und die Behandlungsergebnisse verbessern. Sie prägt die Art und Weise, wie Babys Sprache im Gehirn verarbeiten und sie kann Kindern helfen, mit Schmerz und Stress umzugehen.

Was geschieht, wenn ein Baby die Stimme seiner Mutter hört?

Das beginnt schon vor der Geburt.

Im letzten Trimester können Babys ihre Mütter reden hören, und sie reagieren auf das, was sie hören. Sie bewegen sich. Sie wippen. Ihre Herzfrequenz verändert sich.

Außerdem können diese Babys zwischen der Stimme ihrer Mutter und der Stimme von Fremden unterscheiden. Sie können sogar zwischen der Muttersprache ihrer Eltern und einer Fremdsprache unterscheiden.

Neugeborene sind also nicht ahnungs- und wahrnehmungslos, was Stimmen angeht. Sie haben bereits Erfahrungen mit dem „Hinhören“ gemacht.

Wenn Kinder älter werden, zeigen sie weiterhin eine Vorliebe für die Stimme ihrer Mutter und profitieren in vielerlei Hinsicht davon, ihrer Mutter zuzuhören. Hier sind die Highlights.

Neugeborene bevorzugen die Stimme ihrer Mutter

Neugeborene, die erst ein paar Tage alt sind, können die Stimmen ihrer Mutter erkennen. Und sie scheinen die Stimme ihrer Mutter den Stimmen anderer Frauen gegenüber zu bevorzugen.

In einer Studie hörten Neugeborene zum Beispiel Stimmen, die über einen Lautsprecher abgespielt wurden, und ihr Interesse nahm zu oder ließ nach, je nachdem, wen sie hörten. War es die Stimme ihrer eigenen Mutter, waren sie wesentlich aufmerksamer. Sie verbrachten mehr Zeit damit, ihren Kopf in Richtung des Lautsprechers zu drehen.

Die Stimme der Mutter zu hören, kann die Chancen von Neugeborenen im Krankenhaus verbessern

Wenn Babys zu früh geboren werden, besteht ein erhöhtes Risiko für medizinische Probleme. Deshalb landen viele Frühgeborene auf der Intensivstation für Neugeborene, und die Ärzte und Ärztinnen suchen ständig nach Möglichkeiten, um die gesunde Entwicklung dieser Babys zu fördern.

Eine gute Methode hierfür? Babys den Stimmen ihrer Mütter auszusetzen. Wie Forscher/innen in einer kürzlich veröffentlichten Studie festgestellt haben, kann das Hören der Mutter die emotionale Stabilität von Frühgeborenen verbessern und eine gesunde Gewichtszunahme fördern.

Ich habe keine ähnlichen Studien zu den gesundheitlichen Auswirkungen auf Babys in der Schwangerschaft gefunden. Aber ich habe Studien gesehen, die darauf hindeuten, dass die Stimme der Mutter allen möglichen Arten von Babys im Krankenhaus – Frühgeborenen und Neugeborenen – helfen kann, mit den Schmerzen medizinischer Eingriffe zurechtzukommen.

In neueren Studien fanden Forscher/innen zum Beispiel heraus, dass Babys weniger intensiv auf schmerzende Eingriffe (wie Blutabnahmen) reagierten, wenn sie ihren Müttern beim Sprechen zuhören durften.

Die Stimme der Mutter kann auch besondere Einflüsse auf die sprachliche Wahrnehmung haben

Wenn Eltern mit ihren Babys sprechen, haben sie oft eine ganz bestimmte Tonlage. Ihre Stimmen werden melodischer und überspitzt im Tonfall. Sie sprechen in einem langsameren Tempo und wiederholen gewisse Stichwörter.

Diese „Babysprache“ fesselt die Aufmerksamkeit des Babys und hilft uns, unsere Gefühle zu vermitteln. Sie kann sogar die Geschwindigkeit beschleunigen, in der Babys das Sprechen lernen.

Aber Babys hören von vielen Menschen, auch von freundlichen Fremden, gezielte Babysprache. Gibt es etwas Besonderes – etwas “ Außergewöhnliches“ – an der Babysprache der Mutter?

Anscheinend ja. Wenn du den Effekt der Stimme einer Mutter mit dem einer fremden Frau vergleichst, reagieren Babys nicht auf die selbe Art und Weise, selbst wenn beide Personen „Babysprache“ verwenden und genau dasselbe sagen.

In einer aktuellen Studie haben Forscher/innen mit Hilfe von bildgebender Technologie (Nahinfrarotspektroskopie) untersucht, wie das Gehirn von Babys Sprachlaute verarbeitet, die sie hören.

Es ist ein harmloses Verfahren. Jedes Baby – ein Neugeborenes – bekam eine kleine Mütze mit Elektroden aufgesetzt. Dann hörte das Baby verschiedene Tonaufnahmen.

Auf allen Aufnahmen war eine Frau zu hören, die in “ Babysprache“ sprach und ein Skript vorlas. Doch die Identität der Frau variierte von Test zu Test. Manchmal war es eine Unbekannte und in anderen Fällen war es die Mutter des Babys. Die Auswirkungen unterschieden sich gravierend.

Wenn Neugeborene ihren eigenen Müttern zuhörten (im Gegensatz zu Fremden), erlebten sie eine erhöhte Gehirnaktivität in den linken und rechten Frontotemporalen Netzwerken – Gehirnnetzwerke, die Bereiche verbinden, die mit Sprache und Sprachverarbeitung zu tun haben.

Bedeutet das, dass Babys eher Wörter lernen, wenn sie sie ihre eigenen Mütter sprechen hören?

Ein weiteres Experiment unterstützt diese These.

Forscherinnen und Forscher dachten sich einige unsinnige Wörter aus, die noch kein Kind je gehört hatte. Dann ließen sie Zweijährige diese Phantasiewörter lernen.

In manchen Versuchen wurde den Kindern ein neues Wort von ihrer eigenen Mutter vorgestellt. In anderen Versuchen hörten die Kinder ein Wort, das von einer freundlichen, aber unbekannten Frau ausgesprochen wurde.

Was war das Fazit? Kleinkinder lernten diese neuen, unbekannten Wörter einfacher, wenn sie die Wörter von ihrer Mutter vorgesprochen bekamen.

Das galt, wenn die Kinder die Frauen vor Ort sehen und mit ihnen interagieren konnten ebenso wie dann, wenn die Kinder nur die Stimmen hörten.

Die Stimme der Mutter hat während der gesamten Kindheit einen Einfluss

Bis jetzt haben wir über Babys gesprochen. Es gibt aber Hinweise darauf, dass auch ältere Kinder einzigartig auf die Stimme der Mutter reagieren.

In einer Studie haben Forscher/innen 7- und 8-jährigen Kindern die Stimmen verschiedener Frauen vorgespielt, darunter auch die der eigenen Mutter.

Die Kinder wurden aufgefordert, die Stärke ihrer Gefühle zu bewerten, und ihre Antworten fielen unterschiedlich aus: Die Kinder werteten die Stimmen ihrer eigenen Mütter eher als wütend oder glücklich.

Es scheint, als würden sie eher dazu neigen etwas in die Stimme ihrer Mutter hineininterpretieren.

Dann gibt es noch eine weitere Studie aus der Gehirnforschung – diesmal mit einer Technologie die sich fMRT (funktionelle Magnetresonanztomographie) nennt.

Daniel Abrams und seine Kolleg/innen haben die Gehirne von 24 gesunden Schulkindern gescannt, während die Kinder Sprachaufnahmen anhörten – Wiederholungen verschiedener Frauen, die unsinnige Wörter wiederholten.

Die Audiodateien waren sehr kurz, manche dauerten nicht einmal eine Sekunde. Aber die Kinder konnten die Stimmen ihrer eigenen Mutter leicht identifizieren. Wenn sie ihre eigene Mutter hörten, lief ihr Gehirn auf Hochtouren. Im Vergleich zu den Reaktionen auf die Stimmen Fremder waren die Gehirnregionen der Kinder in einem Großteil des Gehirns stärker aktiiv einschließlich der Bereiche, die auf die Verarbeitung von Gehör, Emotionen, Belohnungen, Gesichtern und Selbstwahrnehmung spezialisiert sind.

Es zeigte sich eine erhöhte Sensibilität für die Stimme der Mutter und es gab einen Zusammenhang mit sozialen Fähigkeiten in der Kommunikation: Die sozial kompetentesten Kinder zeigten nicht nur eine hohe Gehirnaktivität als Reaktion auf die Stimme ihrer Mutter. Sie wiesen auch eine größere Vernetzung zwischen den betreffenden Gehirnregionen auf.

So konnten die Forscher/innen aus den Gehirnscans ableiten, welche Kinder über die stärksten sozialen Kompetenzen verfügten. Die Kinder mit der stärksten „mutterbezogenen“ Gehirnaktivität waren sozial am geschicktesten.


Und weiter? Die Stimme einer Mutter kann den Spiegel der Stresshormone senken und einen Schub von Oxytocin(Glückshormon) auslösen.

Um zu sehen, wovon ich spreche, betrachten wir dieses Experiment von Leslie Seltzer. Ihr Forschungsteam bat eine Gruppe junger Mädchen im Alter von 7 bis 12 Jahren, eine anspruchsvolle akademische Aufgabe vor einem Publikum zu lösen.

Solche Aufgaben lassen den Cortisolspiegel ansteigen, das ist völlig normal. Weniger normal ist es jedoch, wenn der Cortisolspiegel eines Kindes auch nach einer stressigen Situation weiter ansteigt. Idealerweise sollten Kinder wieder in den ihren Normalzustand zurückkehren, den sie vor der Stresssituation hatten.

Selzers Team wollte also herausfinden, ob Mütter den Prozess der Stressbewältigung fördern können und untersuchten dies, indem sie jedes Mädchen nach dem Zufallsprinzip einer von drei Bedingungen nach der Stresssituation zuordneten:

  • die Kontrollgruppe, in der ein Mädchen 75 Minuten lang einen „neutralen“ Film (d.h. einen, der weder stressig noch beruhigend war) sehen sollte;
  • Direktkontakt, bei dem das Mädchen 15 Minuten lang mit seiner Mutter von Angesicht zu Angesicht spricht und dann weitere 60 Minuten lang den neutralen Film anschaut; oder
  • nur die Stimme, bei der ein Mädchen 15 Minuten lang mit ihrer Mutter telefonierte und sich dann 60 Minuten lang den Film ansah.

Die Forscher/innen beobachteten die Veränderungen im Hormonspiegel der Mädchen und konzentrierten sich dabei auf Cortisol (das Stresshormon) und Oxytocin. Oxtocin ist ein Hormon, das Gefühle der sozialen Zusammengehörigkeit fördert. Es hilft dabei, uns zu beruhigen.

Welche Zusammenhänge haben die Forscher/innen festgestellt?

Bei allen Mädchen stieg der Cortisolspiegel unmittelbar nach ihrem öffentlichen Auftritt drastisch an.

Doch die Mädchen, die Zeit mit ihren Müttern verbringen konnten – entweder vor Ort oder am Telefon – erholten sich am schnellsten. Ihr Cortisolspiegel ging innerhalb von 30 Minuten auf den Ausgangswert zurück. Und ihr Oxytocinspiegel erhöhte sich für mindestens eine Stunde.

Was war mit den Mädchen, die überhaupt keinen Kontakt zu ihren Müttern hatten? Ihr Cortisolspiegel stieg nach der Stressituation weiter an und sie erlebten keinerlei Schub an Oxytocin.

Die Mütter haben ihren Kindern also sehr geholfen, und das sogar, ohne selbst anwesend zu sein. Sie konnten die Stressbewältigung ihrer Kinder allein durch ihre Stimme verbessern.

Können nur Mütter diese Wirkung erzielen?

Mit Sicherheit nicht. Die Stimmen der Mutter wirkt sich in so besonderem Maß auf die Kinder aus, weil die Mutter eine so wichtige Rolle im Leben der Kinder spielt. Spielen andere Personen eine wichtige Rolle, haben auch sie einen gewissen Einfluss.

Denk zum Beispiel daran, was mit dir als Erwachsenem passiert, wenn du dich mit einem Freund oder einer Freundin unterhälst.

Ein freundliches Gespräch verbessert deine Stimmung. Du fühlst dich dadurch stärker eingebunden und sicherer.

Und – wie wir im Fall von Leslie Seltzers Experiment mit jungen Mädchen gesehen haben – können deine Worte spürbare Auswirkungen auf das Gehirn haben.

In Experimenten mit Erwachsenen wurde festgestellt, dass der Cortisolspiegel bei Menschen, die sich mit Freunden unterhielten, sofort sank. Außerdem erlebten sie einen Anstieg von Oxytocin.

Auch wenn die Stimme einer Mutter eine gewisse Anziehungskraft hat, hat das keine ausschließende Wirkung. Vermutlich werden wir von den Stimmen aller Menschen, die uns nahe stehen, beeinflusst – zumindest auf die eine oder andere Weise.

Trotzdem ist es unumstritten, dass Mütter eine sehr bedeutende Rolle spielen. Für die meisten Babys sind sie die erste und wichtigste Bezugsperson in ihrem Leben. Wie wir bereits festgestellt haben, beginnt diese Beziehung schon vor der Geburt.

Die Art dieser ersten Beziehung beeinflusst auch die anderen Beziehungen in ihrem Leben. Fühlen sich Babys sicher an ihre Mütter gebunden, ist das eine gute Voraussetzung dafür, dass sie gute Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen können. Wenn Babys keine sicheren Beziehungen haben, können sie es schwer haben.


Das bringt mich zu meinem letzten Punkt: Die Stimme der Mutter hat nicht immer einen guten Einfluss.

Kinder – selbst Babys – können Stress und Wut in unserer Stimme erkennen. Und das kann schädliche Folgen haben. Wenn ein Kind zum Beispiel häufigen Konflikten ausgesetzt ist und wütende Streitereien mit anhört, kann dies zu Veränderungen in der Entwicklung des Systems der Stressbewältigung führen.

Mütter (und andere Bezugspersonen) müssen sich also über die negativen Folgen bewusst sein, die ihre Stimmen haben können.

Bildquelle: https://www.freepik.com/free-photo/side-view-shot-charming-joyful-young-woman-pajamas-playing-hide-seek-with-toddler-daughter-adorable-cute-infant-child-sucking-pacifier-looking-mother-having-playful-facial-expression_11193336.htm

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