Reine Mobber/innen sind eine ganz besondere Gruppe

In Harry Potter und dem Orden des Phönix lernt Harry Potter eine entsetzliche Wahrheit: Sein verstorbener Vater war in der Schule ein Mobber gewesen.

Wie verstörend. Immerhin war Harry Potters Vater kein sozialer Tölpel – ein hirnloser Außenseiter, dem nichts Besseres einfiel. James Potter war ein angesehener Schüler der Oberstufe, ein Spitzensportler, ein „cooler“ Typ. Es gab keine Rechtfertigung dafür, ein Mobber zu sein.

Doch ist das wirklich ungewöhnlich? Nein.

Oft hört man, dass Mobber andere Menschen schikanieren, weil sie gefühlsmäßig unsicher sind oder keine sozialen Kompetenzen haben. Sie schikanieren und schüchtern ein, da ihnen kein besserer Weg einfällt, um Aufmerksamkeit zu bekommen.

Die Wirklichkeit ist aber komplizierter als das.

Zwei Arten von Mobber/innen

Ja, es gibt Mobber/innen, die sich als gesellschaftliche Außenseiter fühlen. Es gibt Mobber/innen, die deprimiert, ängstlich oder einsam sind.

Doch diese Mobbe/innenr gehören in der Regel zu einer besonderen Gruppe – nämlich zu den Mobber/innen, die auch Opfer anderer Mobber/innen sind.

Im Gegensatz dazu gibt es auch die „reinen“ Mobber/innen. Das sind die Menschen, die ausschließlich die dominante Rolle einnehmen. Sie sind kein Opfer anderer Mobber/innen. Sie stehen an der Spitze der sozialen Nahrungskette. Und sie scheinen die Früchte ihrer Position zu ernten.

Was ist ein/e reine/r Mobber/in?

Die Forschung hat einige Irrtümer über Mobber/innen entlarvt.

Mobber/innen sind nicht unbedingt aufbrausend, unsicher, sozial unbeholfen oder akademisch ungeschickt.

Außerdem geht es beim Mobben nicht nur um körperliche Aggression.

Körperlich aggressives Mobbing – auch direktes Mobbing genannt – kann Schläge, Tritte oder die Entwendung von Eigentum des Opfers beinhalten.

Es gibt aber auch beziehungsorientiertes Mobbing, bei dem es um die subtileren Formen des Mobbings geht: soziale Sticheleien, Beschimpfungen und das Verbreiten von böswilligen Gerüchten.

Seitdem die Forscher/innen Mobbing genauer unter die Lupe nahmen, hat sich ein verändertes Bild ergeben.

Einige reine Mobber/innen sind möglicherweise geschickte soziale Strategen – coole, selbstbewusste Manipulatoren, die Mobbing nutzen, um ihren sozialen Status zu verbessern.

Was spricht für diese Theorie? Schau dir folgende Punkte an.

Reine Mobber/innen leiden offenbar nicht unter einem geringen Selbstwertgefühl

In einer Studie mit amerikanischen Sechstklässler/innen befragten die Forscher/innen Kinder, um herauszufinden, wer die Mobber/innen, die Mobber/innen/Opfer und die Opfer waren. Dann stellten sie jedem Kind eine Reihe von persönlichen Fragen.

Im Vergleich zu anderen Kindern stimmten reine Mobber eher Aussagen wie „Ich mache das meiste richtig.“ zu. Am seltensten stimmten sie Aussagen wie „Ich mache mir Sorgen darüber, was andere denken“ zu. Sie stimmten auch am seltensten Aussagen zu, die auf Einsamkeit oder soziale Ängste hinweisen (z. B. „Ich kann mit niemandem reden“ und „Ich fürchte mich davor, was andere von mir denken“).

Die Opfer von Mobber/innen zeigten ein anderes Bild. Sie zeigten mehr psychische Probleme als Kinder, die nicht in Mobbing verstrickt waren.

Doch reine Mobber/innen schienen von allen Kindern am wenigsten ängstlich, depressiv und einsam zu sein – einschließlich der Kinder, die überhaupt nicht in Mobbing involviert waren.

Andere Studien unterstützen die Idee des selbstsicheren Mobbers. Studien aus Finnland, Irland und den Vereinigten Staaten ergaben, dass Kinder, die mobben, eher ein gutes Selbstwertgefühl haben.

Tatsächlich neigen Kinder mit einem hohen Selbstwertgefühl dazu, aggressiver zu sein als andere Kinder. In einer Studie baten Forscher/innen Hunderte amerikanischer Kinder (aus der 3., 4. und 5. Klasse), die Aggressivität ihrer Mitschüler/innen zu bewerten. Die Kinder gaben auch an, wie sie sich selbst sahen.

Kinder mit einem sehr guten Selbstbild wurden von ihren Mitschülern mit größerer Wahrscheinlichkeit als aggressiv bezeichnet. Die Ergebnisse blieben auch dann bestehen, wenn man das Geschlecht und den ethnischen Hintergrund berücksichtigte, und selbst ein leicht positives Selbstbild stand mit einem höheren Maß an Aggression in Verbindung.

Zugegeben, die Studien stützen sich darauf, was die Kinder über sich selbst sagen. Möglicherweise sind reine Mobber/innen einfach zögerlicher, ihre Unsicherheiten zuzugeben.

Als die Forscher/innen den Kindern einen Fragebogen zur Persönlichkeit vorlegten, um Lügen aufzuspüren, zeigten reine Mobber/innen aber weniger Anzeichen des Lügens als Kinder, die nicht an Mobbing beteiligt waren.

Weitere Beweise deuten darauf hin, dass reine Mobber/innen einen relativ kühlen Kopf bewahren.

Reine Mobber/innen sind nicht “ überdreht“ oder „gereizt“

In einer Studie mit jungen britischen Jugendlichen wurde ihr Erregungsniveau untersucht, d. h. der Grad, in dem sie durch Reize in ihrer Umgebung erregt oder gestresst waren. Dabei stellten die Forscher/innen fest, dass Mobber/innen/Opfer einen höheren Erregungsgrad hatten als alle anderen Kinder – einschließlich der passiven Opfer.

Das Erregungsniveau von reinen Mobber/innen war jedoch viel geringer, ähnlich wie das neutraler Kinder (die weder Mobber/in noch Opfer waren). Der niedrigere Erregungszustand könnte reinen Mobber/innen helfen, ihre Emotionen besser im Griff zu haben, was sie zu erfolgreicheren Mobbern macht.

Reine Mobber/innen sind keine sozial nicht unbeholfen

Experimente mit britischen Jugendlichen haben erwiesen, dass Mobber/innen bei Aufgaben der sozialen Kognition besser abschneiden als ihre Altersgenossen. Vor allem konnten die Kinder im Alter von 7 bis 10 Jahren die mentalen Zustände und Emotionen der Hauptfigur einer Geschichte besser einschätzen.

Eine neuere, italienische Studie bestätigt einige dieser Ergebnisse.

In dieser Studie bat der Psychologe Gianluca Gini Grundschüler/innen, zu erkennen, wer von ihnen Mobber/innen und wer Opfer war. Darüber hinaus bat Gini die Schüler, Gleichaltrige zu identifizieren, die

  • dem Mobber halfen
  • über die Gemobbten lachen
  • sich für das Opfer einsetzen
  • gewöhnlich nicht anwesend sind, wenn jemand gemobbt wird

Dann stellte Gini jedem Schüler Aufgaben zur sozialen Kompetenz – eine Reihe von Kurzgeschichten, die die Schüler interpretieren sollten.

In den Geschichten wurden Charaktere mit ihren Gedanken, Überzeugungen, Zielen und Emotionen dargestellt – darunter auch moralische Gefühle wie Schuldgefühle.

Gini fand heraus, dass Kinder, die als Mobber/innen eingestuft wurden, genauso gut abschnitten wie die anderen Kinder. Darüber hinaus schnitten die Kinder, die als die schlimmsten Mobber/innen eingestuft wurden, sogar besser ab als der Durchschnitt.

Reine Mobber/innen tun sich in der Schule nicht unbedingt schwer

In einigen Studien wurde berichtet, dass Mobber/innen sich in der Schule schlechter einfügen. Diese Studien enthielten jedoch keine objektiven Messungen der schulischen Leistungen.

Was geschieht, wenn wir uns ansehen, wie Mobber/innen bei standardisierten Schultests abschneiden?

Britische Forscher/innen haben über tausend junge Schulkinder (im Alter von 6 bis 9 Jahren) beobachtet und stellten keinen Zusammenhang zwischen Mobbing und schlechten schulischen Leistungen fest.

Die Ergebnisse deuten vielmehr darauf hin, dass einige Mobber/innen überdurchschnittlich gute Schüler sind. Kinder, die “ beziehungsorientierte“ Mobber/innen waren – also Mobber, die vor allem “ psychologisch mobbten“ , z. B. bösartige Gerüchte verbreiteten und ihre Opfer aus der Gruppe ausschlossen – erzielten durchschnittliche oder überdurchschnittliche akademische Ergebnisse.

Andere Studien legen nahe, dass niedrige Leistungen mit Mobber/innen, die gleichzeitig auch Opfer sind zusammenhängen und nicht mit „reinen Mobber/innen“.

So ergab eine Studie mit finnischen Schülern der 5. Klasse, dass Schüler mit schlechten Lese- und Schreibfähigkeiten häufiger zu Mobber/innen wurden als andere Schüler. Die Forscher haben jedoch den Verdacht, dass die Mobber/innen/Opfer – nicht die reinen Mobber/innen – eher Lernschwächen haben.

Und eine Studie mit über 3500 amerikanischen Kindern (aus den Klassen 3 bis 6) ergab, dass Mobber häufiger zu den leistungsschwachen Schülern gehörten. Das galt allerdings nur für Mobber/innen/Opfer, nicht für reine Mobber/innen.

Reine Mobber/innen haben einen höheren sozialen Status

Mobber/innen scheinen ziemlich selbstbewusst und sozial geschickt zu sein. Wozu führt das? Offenbar zu einem höheren sozialen Status.

Eine Studie mit Schweizer Kindern (im Alter von 5 bis 7 Jahren) ergab, dass Mobber über bessere Führungsqualitäten verfügten als Kinder, die nicht in Mobbing verwickelt waren. Außerdem gehörten die Mobber höheren sozialen Schichten an.

Die Tendenz hält auch bei älteren Kindern an.

In einer irischen Studie gaben die Forscher Mobber/innen gute Noten für Sozialkompetenz und Führungsqualitäten.

Und in der oben erwähnten Studie mit amerikanischen Sechstklässlern stuften die Schüler die Mobber/innen als die „coolsten“ Kinder der Schule ein. Dies galt für beide Arten von Mobber/innen. Jedoch war der Effekt bei reinen Mobber/innen viel größer. Reine Mobber wurden von den Lehrern auch als die beliebtesten Schüler wahrgenommen.

Doch ein hoher Status bedeutet nicht unbedingt, dass man gemocht wird. Auf die Frage, mit welchen Kindern sie am liebsten Zeit verbrachten, nannten die Schüler am ehesten Gleichaltrige, die nichts mit Mobbing zu tun hatten.

Eine kürzlich durchgeführte Studie mit niederländischen Kindern ergab dasselbe: Mobber wurden als beliebter wahrgenommen, obwohl die Kinder Mobber nicht wirklich mochten.

Was ist das Problem mit reinen Mobber/innen?

Wenn reine Mobber/innen nicht unter Defiziten an sozialer Kompetenz, Selbstwertgefühl, Selbstbeherrschung oder sozialem Status leiden….was genau fehlt dann?

Sind Empathie und moralisches Verständnis die fehlenden Teile?

Neue Studien weisen auf eine altmodische Antwort hin. Mobber/innen haben vielleicht einfach Probleme mit ihrem moralischen Urteilsvermögen.

Eine Studie ergab, dass Mobber bei einem Test zur empathischen Reaktionsfähigkeit schlecht abschnitten. Weitere Studien zeigen, dass Mobber ihr Verhalten eher

  • mit den Folgen für sie selbst rechtfertigen
  • auf Rationalisierungen zurückgreifen, die unsoziales Verhalten akzeptabel erscheinen lassen
  • machiavellistische Überzeugungen vertreten

Heißt das, dass Mobber/innen Soziopathen sind?

Nicht unbedingt. Doch Kinder, die andere tagtäglich mobben, haben ein höheres Risiko, asoziale Züge zu entwickeln, vor allem wenn sie auch andere Verhaltensstörungen zeigen.

Deshalb ist es sinnvoll, Mobber/innen, die regelmäßig mobben, auf psychische Probleme zu untersuchen und den Kindern, die Symptome haben welche darauf hindeuten, Hilfe anzubieten.

Was können wir sonst noch tun?

Ziemlich viel, denke ich.

Abgesehen davon, dass wir Kinder auf mögliche psychische Probleme untersuchen, können wir Mobber/innen in den Bereichen helfen, die wichtig sind.

Das bedeutet zum Beispiel

  • die Denkweise von Mobbern in moralischen Fragen anzugehen
  • zu überprüfen und zu korrigieren, wie Mobber/innen mit anderen Familienmitgliedern kommunizieren
  • autoritative (im Gegensatz zu autoritärer) Disziplin zu betonen

Es könnte auch bedeuten, die Art und Weise zu ändern, wie Mobber/innen die Absichten anderer deuten. Studien zeigen, dass aggressive Kinder in einer neutralen sozialen Situation eher feindselig reagieren. Es ist also sinnvoll, diesen Kindern zu vermitteln, wie sie die Absichten anderer Menschen besser deuten können.

Vor allem aber bedeutet es, eine klare Stellung gegen Mobbing einzunehmen.

Wenn Unbeteiligte nichts tun, vermittelt es die Botschaft, dass Mobbing akzeptabel ist. Wenn Unbeteiligte – auch Gleichaltrige – eingreifen, hören die Mobber/innen meist auf.

Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/schule-jung-kinder-studenten-6936401/

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