Sind kleine Kinder von Natur aus selbstsüchtig? Viele Leute nehmen das an. Doch wissenschaftliche Untersuchungen zeigen das Gegenteil. Wie Erwachsene erleben auch Kinder ein Gefühl der Freude beim Geben. Und das ist eine Motivation für das Gute.

Psychologen und Psychologinnen nennen es „das Glücksgefühl des Gebens“ und es ist ein wohlbekanntes Phänomen bei Erwachsenen. Tatsächlich haben Neurowissenschaftler/innen es im Gehirn nachgewiesen.

Wenn wir selbstlos geben – anderen auf eigene Kosten helfen – erfahren wir eine erhöhte Aktivität in den Belohnungszentren des Gehirns.

Das Spannende am Geben ist, dass wir uns nicht an die Wirkung gewöhnen – jedenfalls nicht so leicht.

Bei Experimenten, in denen Forscher/innen Geben und Nehmen miteinander verglichen, stellten sie fest, dass sich Menschen schnell daran gewöhnten, eine tägliche Geldsumme als Belohnung zu erhalten. Je öfter sie das Geld erhielten, desto weniger freuten sie sich darüber.

Doch wenn Menschen diese täglichen Geschenke an jemand anderes weitergaben? Die Freude nahm nicht ab.

Anderen etwas zu schenken, gibt uns also einen sofortigen, wohltuenden, physiologischen Kick. Und warum? Das hängt wahrscheinlich mit dem natürlichen Hochgefühl zusammen, das wir erleben, wenn uns jemand anlächelt. Das Schenken ist ein ziemlich zuverlässiger Vorgang, um diese Reaktion auszulösen.

Möglicherweise hängt es auch von unserer Fähigkeit ab, uns in andere einzufühlen und eine andere Perspektive einzunehmen.

Doch was auch immer die unmittelbaren Gründe sind, es ist klar, dass dieses „Glücksgefühl“ positive Folgen hat. Es motiviert uns, zu geben. Das wirft eine bedeutende Frage zur Entwicklung von Kindern auf.

Empfinden auch kleine Kinder dieses Glücksgefühl? Motiviert es sie zu geben?

Laura Aknin und ihre Kollegen wollten das herausfinden und haben ein bahnbrechendes Experiment durchgeführt.

Die Forscher/inen rekrutierten kanadische Kleinkinder im Alter von 20 bis 22 Monaten und stellten sie zwei Fremden vor: Einem freundlichen Versuchsleiter und einer ebenso freundlichen Tierpuppe namens Monkey.

Der erwachsene Versuchsleiter erklärte, dass Monkey Süßigkeiten mag und wies darauf hin, dass weder Monkey noch das Kind welche hatten.

Dann tat der Versuchsleiter so, als hätte er ein paar Süßigkeiten entdeckt. („Oh, schau mal, ich habe ein paar Süßigkeiten gefunden!„)

Der Versuchsleiter gab sie dem Kind.

Die Forscherinnen und Forscher zeichneten alles per Video auf, damit sie die emotionalen Reaktionen des Kindes festhalten konnten, als es die Süßigkeiten zum ersten Mal erhielt. Und die Kamera lief auch während der restlichen Prozedur weiter, in deren Verlauf drei weitere Ereignisse stattfanden:

  • Der Versuchsleiter „fand“ eine weitere Süßigkeit, die er der Puppe gab. „Oh, schau! Ich habe noch eine Süßigkeit gefunden. Ich gebe sie Monkey!“
  • Der Versuchsleiter hat eine weitere Süßigkeit gefunden. Aber anstatt es Monkey einfach nur zu geben, bat der Versuchsleiter das Kind, eine bestimmte Aufgabe zu übernehmen. „Oh, schau! Ich habe noch eine Süßigkeit gefunden. Gibst du sie bitte Monkey?“
  • Der Versuchsleiter tat so, als würde er nach weiteren Süßigkeiten suchen. Erfolglos. Der Versuchsleiter forderte das Kind auf, das zu tun, was Psychologen und Psychologinnen „kostspieliges Teilen“ nennen. Der Versuchsleiter forderte das Kind auf, eine Süßigkeit aus seinem eigenen, persönlichen Bestand zu geben. „Ich finde keine Süßigkeiten mehr. Magst du eine deiner Süßigkeiten an Monkey geben?“

Um sicherzustellen, dass die Reihenfolge der Ereignisse keinen Einfluss auf das Ergebnis hatte, variierten die Forscher/innen die Reihenfolge. Einige Kinder erlebten die Aufforderung zum Teilen zuerst, andere erst später, nachdem sie beobachtet hatten, wie der Versuchsleiter Monkey eine Süßigkeit gab.

Aber am Ende hatte jedes Kind alle drei Ereignisse erlebt und die Kinder waren kooperativ, wenn sie zum Teilen aufgefordert wurden.

Wie fühlten sich die Kinder also während des Experiments?

Als neutrale, geschulte Beobachter/innen die Videoaufnahmen ansahen, stellten sie bei den Kindern einen kleinen Freudenschub fest, als sie die Puppe zum ersten Mal sahen.

Die Kinder waren deutlich unglücklicher, als sie die ersten Süßigkeiten erhielten.

Danach ging es aber wieder aufwärts – vor allem, wenn die Kinder teilten und vor allem, wenn sie kostspielig teilten.

Die Kinder schienen das Geben sogar mehr zu genießen als das Nehmen. Sie waren glücklicher, wenn sie Süßigkeiten mit Monkey teilten. Und das größte Glücksgefühl? Die Kinder schienen sich am meisten zu freuen, wenn sie eine Süßigkeit aus ihrem eigenen Bestand weitergaben.

Ein Zufall? An diesem Experiment haben nur 23 Kleinkinder teilgenommen, und es ist fraglich, ob die Ergebnisse einer einzigen, kleinen Studie dem Zufall zuzuschreiben sind. Wir sollten auch Vorsicht walten lassen, wenn wir von einer Kultur auf die andere schließen. Diese Kinder lebten in Kanada. Vielleicht werden kanadische Kinder dazu erzogen, sich besonders über das Geben zu freuen.

Doch weitere Studien, die in verschiedenen Ländern durchgeführt wurden, bestätigen die zentrale Idee: Kleine Kinder bekommen ein Glücksgefühl, wenn sie großzügig sind.

Die Gruppe von Lara Aknin besuchte zum Beispiel ein abgelegenes, ländliches Dorf auf Tanna, einer kleinen Insel im Südpazifik.

Die Forscherinnen und Forscher führten das selbe Experiment mit einer Gruppe von 20 Kindern im Alter zwischen 28 und 50 Monaten durch und kamen zum selben Ergebnis.

Kinder schienen glücklicher zu sein, wenn sie gaben, als wenn sie etwas erhielten und sie waren am glücklichsten, wenn sie ihre eigenen Süßigkeiten weitergaben.

Erst kürzlich hat ein anderes Forschungsteam unter der Leitung von Yue Song Aknins Vorgehensweise an 122 Kleinkindern in den Niederlanden und 91 Vorschulkindern in China getestet.

Auch hier fanden die Forscher/innen Beweise für das „Glücksgefühl“ des Gebens. Kinder waren glücklicher, wenn sie teilten – vor allem, wenn das Teilen mit einem persönlichen Verlust verbunden war.

Es scheint also tatsächlich so zu sein, dass kleine Kinder gerne teilen. Und es gibt weitere Beweise dafür, dass diese Gefühle Kinder dazu bringen, großzügig zu sein.

In einer Studie mit Vorschulkindern waren die Kinder am großzügigsten, die sich der Vorteile des Gebens bewusst waren.

Aber Moment mal. Wie passt das mit unseren täglichen Beobachtungen zusammen? Mit Auseinandersetzungen? Bei Kindern, die sich weigern, zu teilen?

Wenn die Ergebnisse dieser Studien deinen Alltagserfahrungen widersprechen – wenn das Lieblingswort deines Kleinkindes „meins!“ zu sein scheint – dann bedenke den Rahmen.

Bei den Experimenten mit der Puppe wurden die Kinder von einem freundlichen Erwachsenen angeleitet und es wurde nur relativ wenig Großzügigkeit von ihnen gefordert. Kinder, die viele Süßigkeiten hatten, wurden gebeten, wenige davon abzugeben.

Es war ein kostspieliges Teilen, aber die Kosten waren nicht sonderlich hoch. Niemand verlangte von den Kindern, dass sie ihre liebsten Besitztümer hergeben.

Falls dein Kleinkind sich sträubt, sein Lieblingsspielzeug einem anderen Kind zu überlassen, denk daran: Das ist eine ganz normale Verhaltensweise und es ist nicht nur bei Kleinkindern so.

Die meisten Eltern teilen ihre wertvollsten Besitztümer vermutlich auch nicht mit Leuten, die sie zufällig irgendwo treffen. Für kleine Kinder kann sich diese Art des Teilens besonders riskant anfühlen. Ihnen fehlt es an Autorität, Erfahrung und Vertrauen. Wenn ich Mike mit meinem Spielzeuglaster spielen lasse, gibt er ihn dann zurück? Möglicherweise nicht!

Wenn es um diese gewagten Formen des Teilens geht, müssen wir Kindern also genug Spielraum lassen. Das ändert aber nichts an der Hauptaussage der „Glücksgefühl“-Experimente. Schon sehr kleine Kinder spüren bei Großzügigkeit Freude.

Und das ist es, worauf wir bauen können.

Wir können Kinder ermutigen, großzügig zu sein, indem wir ihnen einfache, unkomplizierte Gelegenheiten zum Geben und Teilen bieten.

Der entscheidende Einwand? Wir müssen den Einsatz von Zwang vermeiden. Wenn Kinder gezwungen werden, zu geben oder zu teilen, erfahren sie keinerlei Glücksgefühl.

Das scheinen auch die heutigen Jäger und Sammler zu verstehen. Das Teilen zu lernen, ist für ihre Lebensweise unerlässlich und sie fördern es bei ihren Kindern von klein auf. Allerdings tun sie das nicht, indem sie ihre Kinder herumkommandieren.

Stattdessen spielen sie mit ihren Kleinkindern Spiele zum Teilen und bringen ihnen bei, Perlen und Kugeln untereinander zu tauschen.

Das ist eine Lektion, die für uns alle von Nutzen sein kann.

Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/person-die-rotes-band-mit-weissem-strick-textil-halt-6348104/

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